19. Jahrgang | Sonderausgabe | 11. Juli 2016

Sechziger Jahre und das Zickzack-Prinzip

von Thomas Behlert

Der aus Braunschweig stammende und die literarische Welt ein klein wenig verändernde Frank Schäfer ist ein lustiger Bursche. Er verfasste mit guten Worten und voller Hingabe Schriftgut über den Gitarrenjünger Jimi Hendrix, mehrere Bücher über den Heavy-Metal-Sound im Allgemeinen und sein Verhältnis zu ihm im Besonderen. Ganz feiner Stoff zum Thema Woodstock-Festival ist in gut sortierten Buchhandlungen ebenfalls noch zu haben. Und nun eben ein neues Buch über das wunderbare, unheimliche und böse Jahr 1966. Gleich zur Warnung an alle doofen Geschenkebuch-Käufer: Das ist ein 200-Seiten-Werk zum Lesen und Schmökern. Hier muss man mehr als nur einpacken, auspacken und in die Schrankwand stellen. Hier muss jeder Mensch, der diesem Jahrgang angehört oder der schon immer etwas über den Beginn einer neuen popkulturellen Epoche wissen wollte, zugreifen. Schäfer-Mann vergaß nichts, weder den Beginn der chinesischen Kulturrevolution, noch den ersten Sprung der Black Panther und schon gar nicht den perversen Vietnamkrieg, der gerade in diesem Jahr zum Problem wird. Aber auch die kleinen Dinge des Lebens, die unverständlichen Aktionen der Politiker oder die Sportereignisse (Fußball!) beschreibt der Musikjournalist und Schriftsteller mit spannenden und aussagekräftigen Sätzen. Man verliebt sich regelrecht in die Texte und will sie am liebsten auf einen Ritt durchlesen. Wer weiß noch, dass gerade 1966 Bob Dylan seinen unheimlichen Motorradeunfall hatte, Kiesinger in der BRD die große Koalition befürwortete und Andy Warhols Velvet Underground auf ihre „Expolding Plastic Inevitable“ Tour gingen? Die Mode bekommt ihren spannenden Teil, die Kunst und die Beatles („Revolver“) sowieso. Tja, und dann gibt es noch die unvergessliche Rede vom Bundespräsidenten Heinrich Lübke, in Afrika: „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger“, die Frank Schäfer überaus spöttisch und ironisch beschreibt.
Bum, das sitzt und ist genialer Stoff. Natürlich werden die Kinofilme nicht vergessen und auch die Hits des Monats bekommen ihre Seite. „1966“ ist einfach umwerfend, genial und lesenswert. Schäfer, weitermachen!

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Wer nun gute Musik liebt, der stößt früher als später auf begnadete Bands, wie: Die Haut, Blumfeld, Abwärts, Henry Rollins, Einstürzende Neubauten, FSK und Die Krupps. Alle Bands erschienen oder erscheinen noch bei ZickZack und What`s So Funny About. Wer es genau wissen will und über den Mann hinter den ZickZack-Kulissen alles wissen möchte, der sollte sich unbedingt das Buch von Christof Meueler besorgen, der höchst interessant und lesenswert über Alfred Hilsberg schrieb. Eigentlich sollte es eine Autobiographie werden, mit Christof Meueler als Co-Autor. Doch zeitliche und gesundheitliche Gründe ließen dieses Projekt nicht zu. Nun ist es eine Biographie geworden, die das Leben des „Punk-Papstes“ genau beschreibt und auch Zeitzeugen, Weggefährten und Beobachter der Szene zu Wort kommen lässt.
Schon in seiner Kindheit musste Alfred Hilsberg gegen die Normalität des Lebens vorgehen. Er hatte einen ziemlich beschissenen Vater und eine Mutter, die ihm auch nicht den Weg ins Leben aufzeigen konnte. Schon früh entdeckte Hilsberg die Musik, die bei ihm bis in Bauch und Hirn vordrang und so manchen Knall auslöste. Ab 1976 lebte er den Punk, mischte schon vorher bei mancher Revolte auf und bestimmte entscheidend die Neue Deutsche Welle mit. Als Initiator, Organisator kreativer Ideen, als freier Filmverleiher, Hochschuldozent, Journalist, Konzertveranstalter und Betreiber unabhängiger Musiklabels nennt Alfred Hilsberg einen festen Platz in der bundesdeutschen Musikgeschichte sein eigen. Im Buch nun kommt alles zur Sprache: Wie man sich gegen die Musikindustrie wehrt, wie Verträge auf Bierdeckel entstehen und welcher Schnaps bei welchen wichtigen Gesprächen wichtig ist.
Mit seinen Bands und Platten und dem dazugehörigen Label hat Alfred Hilsberg in Deutschland viele Menschen glücklich gemacht und macht es auch weiterhin. Endlich konnten sich unangepasste Jugendliche mit echten, kritischen und anarchistischen Texten befassen, sich damit für den nächsten Marsch fit hören. Die Klänge dazu plätschern nicht, sie krachen gar gewaltig, sägen und fiepen, wummern und scheppern, dass es eine Freude ist.
Mit Meueler konnte Hilsberg keinen besseren Autor haben, denn dieser ist bis heute nah dran an der Szene, legte schon früher genau solche Platten auf und begann in den 1980er Jahren mit dem Noisepopfanzine „Rat Race“ seine journalistische Karriere. Das sehr gut recherchierte und auf jeder Seite lesenswerte Buch ist eine Mischung aus Musiklexikon, Thriller und Geschichtswerk, für alle Musikbegeisterte unbedingt zu empfehlen.

Frank Schäfer: 1966. Das Jahr, in dem die Welt ihr Bewusstsein erweiterte, Residenz Verlag, Salzburg 2016, 200 Seiten, 19,90 Euro.
Christof Meueler: Das ZickZack-Prinzip. Alfred Hilsberg – Ein Leben für den Underground, Heyne-Verlag, München 2016, 384 Seiten, 22,99 Euro
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