19. Jahrgang | Nummer 16 | 1. August 2016

Friedrich und Heinrich: Lebensstil und die Sexualität

von Lutz Unterseher

Der Kronprinz (der spätere Friedrich II. von Preußen – L.U.) wuchs auf im Konflikt zwischen seinen Neigungen und den Anforderungen des Vaters, im Spannungsfeld elterlichen Streits. Als es nach langer Eskalation zum großen Knall kam, sein Liebster hin­gerichtet wurde und auch sein eigenes Leben zu­mindest für einen Augenblick in Gefahr schien, zerbrach er inner­lich, verödete er see­lisch – so jedenfalls eine gängige Lesart.
Die Unterstellung, dass Friedrich nach solch traumatischer Er­fah­rung echter Zuneigung nicht mehr fähig sein und von nun an in­trovertiert seiner Wege gehen würde, ist aber falsch. Während der Jahre in Ruppin und Rheins­berg pflegte er fröhliche Geselligkeit und auch – wohl eher kurzlebige – Freund­schaften.
Aber selbst zu stabileren Beziehungen war er durch­aus in der Lage. Da gab es etwa die Intellektuellenfreundschaft mit Voltaire, den er 1750 bis 1753 in Sanssouci, seinem neu erbauten Lustschloss, be­her­bergte.
Und da war das sehr intime, herzliche Verhältnis, das sich zwi­schen ihm und seinem langjährigen Kammerdiener Michael Gabriel Fre­ders­dorf ent­wickelte. Fredersdorf, ein kräftiger Kerl, hatte ur­sprüng­lich in Küstrin als Heeresmu­siker gedient und war dann in des Königs per­sönlichen Dienst getreten. Nach seinem Ausscheiden hatte er es dann mit Friedrichs Zuwendungen zum wohlhabenden Gutsbe­sitzer ge­bracht.
Als Fredersdorf gegen Ende seines Lebens krank darnie­derliegt, schreibt ihm der König auf Behelfsdeutsch so liebevolle wie anrüh­ren­de Brie­fe: „Ich habe gemeinet, du häst mir lieb und wirst mir nicht den chagrin machen, Diehr umbs leben zu bringen glaube, dass ich es recht guht mit diehr meine […].“
Oder: „Es thuet mihr recht leit, daß das Fiber Dihr noch nicht verlassen wil. ich wolte es Dihr gerne abnehmen […] Wohr heute Mit­tag die Sonne Scheint, So werde ich aus­rei­ten. Kome doch am fen­ster, ich wolte Dihr gerne sehen! Aber das fen­ster mus feste zu-blei­ben; un in der Camer mus Stark feüer Seindt! Ich Wünsche von hertzen, das es sich von tagezu-tage mit Dihr besseren Möhge. gestern habe ich Deine Besserung Celebriret mit 2 buteillen ungerschen wein. Carel (ein Page – L.U.) hat vor Kitzelln gequipt […].“
Nein, der Kronprinz war durch den Schock von 1730 nicht see­lisch verarmt, ausgebrannt. Wenn er in den späteren Jahren als König immer miesepetriger, eigenbrötlerischer und misstrauischer wur­de, hat­te das andere Gründe. Gründe, die in seiner spezifischen Art zu re­gieren lagen – wovon noch die Rede sein wird.
Was dieser Schock allerdings bewirkte, war, dass Friedrich es un­ternahm, beides unter einen Hut zu bringen: seine Neigungen und die Anforderungen des Vaters, was zu­nächst wohl eher nur äußerlich geschah. Als aber dann aus diesen Anfor­de­rungen mit dem Tode des Alten, im Jahre 1740, seine eigenen Pflich­ten als König geworden waren, wurde es plötzlich ernst.
Er bieb bei dem Spagat zwischen diesem und jenem, was dann immer mehr zu einer titanischen Anstrengung, zur Überlastung, aus­arten sollte. In den „normalen“ Jahren als noch relativ junger König, zwischen dem Zweiten Schlesischen und dem Siebenjährigen Krieg, versuchte er typischerweise folgende Aktivitäten in einem Ta­ges­ablauf unterzu­bringen:
Kurzes Frühstück, kleine Toilette, knappes Privatissimum mit aus­gesucht hübschen Pagen, die dabei mitunter ihre culottes herunter­zulas­sen hatten (es wurde dabei aber wohl nur gekitzelt), kurzer Spa­zier­gang oder Ausritt, mehrstündige Erle­digung von Regierungspost (Briefe mit Anweisungen, Randnotizen zur Kommentierung von Bitt­schriften und Verwaltungsberichten), Anhören von Berichten seiner Räte, zwei aus­giebige Hauptmahlzeiten in ge­sel­liger Runde, musizie­ren und kom­ponieren, spielen mit den Wind­hunden, Lektüre von schö­ner, aber auch von Sachliteratur, Arbeit an staatsphilosophischen oder auch mi­li­tä­rischen Traktaten sowie an schöngeistigen Texten.
Besonders wichtig waren für Friedrich II. die Tafelfreuden. Sein Hofstaat war zwar größer als der väterliche, aber sicherlich immer noch viel bescheidener als etwa der sächsische. Doch am Essen sollte möglichst nicht gespart werden. Hatte es bei Friedrich Wilhelm drei bis vier Schüsseln zu Mittag gegeben, waren es bei seinem Sohn meist acht – manchmal auch mehr.
Die meist zwölfköpfige Koch­mannschaft war interna­tional: mit fran­zö­si­scher Mehrheit, aber auch deutschen, italienischen, rus­sischen Mit­glie­dern. Wenn sich bei Friedrichs morgendlichem Tun beson­ders viel Kohldampf aufgestaut hatte, ließ er den Lunch gele­gent­lich vor­verle­gen.
Die Speisekarte hatte er nach dem Frühstück selbst redigiert. Man aß viel Fisch und Fleisch, in oft aufwendiger Zubereitung, aber we­nig Salat und Gemüse. Als Sättigungsbeilage bevorzugte Friedrich in Butter geschwenkte Polenta mit Parmesan: richtig schön fett. Hin­terher gab es meist frisches Obst aus den eigenen Gärten und Ge­wächs­häu­sern. Der Wein musste unbedingt fremd­ländisch sein, in ers­ter Linie fran­zösisch.
Friedrich war sowohl Gourmet als auch Gourmand. Er fraß wie ein Scheunendrescher mit den Manieren eines Schweins (verzeiht, lieb­ste aller Mitsäuger!). Wo er saß, verwandelte sich das Tischtuch in ein Schlachtfeld, markiert durch Weinflecken und Essensreste jegli­cher Art.
Solcherlei Esssitten behielt Friedrich bis ans Ende seines Lebens bei. Die Warnungen der Ärzte, dass die Völlerei seine Gicht ver­schlim­mere, schlug er in den Wind.
Trotz der Völlerei magerte der König immer mehr ab. Am Ende seiner Zeit war er zu einer Art Klappergestell ge­wor­den. Dies wirft Fragen auf, hatten doch beide Elternteile zu Kör­perfülle geneigt.
Zur Abmagerung kam körperliche Vernachlässigung. Er hat sich, wie viele seiner Zeitgenossen, nie gern gewaschen, und er trug wie schon sein Vater fast nur Uniform. Friedrich nutzte diese Be­kleidung und die dazugehörigen Hüte bis sie dreckig und speckig wa­ren: nor­malerweise nur zur Bekleidung von Vogelscheuchen zu ge­brau­chen.
Wer heute eine enge Korrelation zwischen Schwulsein und ex­zessiver Körperpflege sieht, mag sich irritiert zeigen: doch Friedrich  war homosexuell. Es gibt immer noch homophobe Apologeten, die eine solche „sexu­elle Verir­rung“ für unmöglich und die Rede davon für die Beleidigung eines ganz Großen halten.
In diesem Kontext sind Erklärungen dafür gesucht worden, dass Fried­rich mit seiner Frau keine Kinder gezeugt hat. (Seine loyale Ge­mahlin behauptete zwar mehrmals, sie hätte Fehlgeburten gehabt. Doch ihre Zofen lachten nur darüber, und auch sonst wurde dies nicht ernst ge­nom­men.) So spekulierte man über einen missglückten chirur­gi­schen Ein­griff im Intimbereich oder etwa die Folgen einer vene­ri­schen Er­krankung, die sich der Kronprinz bei galanten Abenteuern mit Da­men in Dresden re­spektive Wien zuge­zo­gen hätte. Schnick­schnack.
Derartige „Erklärungen“ konnten nur deswegen auf eine gewis­se Resonanz hoffen, weil Friedrich selbst sich in Sachen Sexualität eher bedeckt hielt. Der Eindruck ist der einer verschwiemelten Verklemmt­heit. Zunächst wohl dadurch zu erklären, dass der Kronprinz in den Ruppiner und Rheinsberger Jahren seinem Vater nicht unangenehm auffallen durfte. Später, auf dem Thron, könnte unser Kandidat ge­meint haben, dass der allzu offene Um­gang mit ungewöhnlichen Se­xu­alpartnern sich für einen Herrscher nicht zieme.
Dass die Neigung zumindest gelegentlich in eine wie auch im­mer geartete Praxis mündete, war bei Hofe allgemein bekannt. Es wur­de nur nicht an die große Glocke gehängt. Praxis ist für die Fest­stellung homosexueller Orientierung aber auch gar nicht relevant. So machen wir uns die vornehme Formulierung des Grafen Krockow zu eigen: „Wenn Friedrich für die Frauenliebe nicht geschaffen (war), dann umso mehr für die Männerfreundschaft.“
Prinz Heinrich, 14 Jahre nach Friedrich geboren, hatte eine glück­li­che­re Kindheit als dieser. Auch er stand unter dem rigiden Er­zie­hungs­regime des Vaters. Da er aber nicht der Kronprinz war, galt ihm weni­ger kritische Aufmerksamkeit, gab es für ihn größere Spiel­räume.
Auch er hatte, wie sein großer Bruder, ein Faible für die fran­zösische Kultur und die schönen Künste. Doch fand er das, was er in Bezug auf Staatskunst oder das Militärische zu lernen hatte, zu­neh­mend interessant. Sein schon früh erwachender Intellekt half ihm, selbst disparates zu verdauen.
Dem Herrn Papa fiel die schnelle Auffassungsgabe des Kleinen angenehm auf. Auf die Idee, in seinem Drittältesten einen möglichen Nachfolger zu sehen, wäre er aber wohl nicht gekommen.
Auch Heinrich war ein besonderer Liebling der Mama. Doch waren die Besuche bei ihr weniger eine Flucht aus der Pflicht als eine zusätzliche Be­rei­cherung, eine Anregung seiner musischen Seite.
Bruder Friedrich hatte zwar einen französischen Hauslehrer, ei­nen Hu­genot­ten, der ihm neue Wis­sens­welten eröffnete und zu dem er ein freund­schaft­li­ches Ver­hältnis ent­wickelte. Doch sonst war er mit sei­nen pubertären Nöten allein.
Heinrich hingegen gehörte einer kleinen Gang an. Diese bestand aus dem Bruder August Wilhelm, der vier Jahre älter war und dem entsprechend jüngeren kleinen Ferdinand. Wir sehen eine fröhliche Rasselbande, die durch allerlei lustige Streiche auffiel. Man nannte sich das „göttliche Trio“.
Zunächst war August Wilhelm als der Älteste und Kräf­tig­s­te ihr Anführer. Auwi war ein großzügiger, gutmütiger Bur­sche mit offenem Gesicht. Seine literarischen und musischen Inter­essen hielten sich in recht engen Grenzen. Schon früh strebte er eine mili­tärische Lauf­bahn an.
Bald aber gab der kluge, kleine Heinrich den Ton an. Er hatte die besten Ideen. Auwi fühlte sich nicht verdrängt. Er und Fer­di­nand er­kannten in Heinrich ihren natürlichen Führer, ja sie liebten ihn innig­lich. Diese Liebe sollte die Jahre überdauern.
Und der Kronprinz? Den machte diese vollkommen erscheinen­de Brüderlichkeit eifersüchtig. Seine Eifersucht sollte ebenfalls die Jah­re überdauern.
Heinrich machte früher engere Bekanntschaft mit dem Militär als Friedrich. Während Letzterer mit 20 Jahren sein Regiment bekam, war Ersterer erst vierzehn, als ihm der frischgebackene König ein ent­sprechendes Kommando zuwies – allerdings nicht, ohne einen er­fahrenen Obristen zwecks Beratung und militärischer Ausbildung des Bruders abzustellen.
Friedrich hatte, nachdem er König geworden war, Heinrich zu schülerischen Leistungen ange­spornt und kontrollierte diesen laufend, allerdings ohne Androhung von Prü­gel.
Bald erkannte er die militä­ri­sche Eignung des Prinzen, ließ diesen als seinen Adjutanten und dann als eher no­mi­nellen Befehls­ha­ber eines militärischen Großverbandes in die Füh­rung des Ersten Schle­sischen Krieges hineinschnuppern so­wie sich im Zwei­ten bereits praktisch bewähren (der Prinz entging da­bei knapp dem Tode), was mit Beför­de­rungen auf den unteren Stufen der Gene­rals­ränge einher­ging.
Das militärische Talent trat dann im Siebenjährigen Krieg voll­ends zu Tage. Wie noch zu demonstrieren sein wird, etablierte sich der Prinz als der bedeutendste Feldherr Preu­ßens, wenn nicht gar Europas. Der König zollte zwar Aner­ken­nung, war zugleich aber von Neid zerfressen. Er sah sich in beun­ru­higender Konkurrenz mit seinem be­gabten Bruder.
Die Irritation des Königs wuchs noch, als er bemerkte, wie Prinz Hein­rich nicht nur große militärische, sondern auch außenpolitische Ana­lysekraft und diplomatische Fähigkeiten entwickel­te. Der Prinz, der sich als loyaler Berater seines Bruders sah, fand sich immer wie­der übergangen, zurückgewiesen und gekränkt. Der König wusste eben alles besser. Es ergab sich ein – allerdings von längeren Phasen der Verständigung unterbrochener – brüderlicher Dauerzwist, der bis zum Lebensende Friedrichs dauern sollte. Gleichwohl standen beide in fort­währendem brieflichen Kontakt.
Besonders in der Zeit vor dem Siebenjährigen Krieg, als Prinz Heinrich noch nicht in der obersten Liga von Politik und Heerführung spielte, unternahm es der König immer wieder, den kleinen Bruder zu gängeln und zu provozieren. Zum Beispiel: Einerseits machte er üppi­ge Geschenke, andererseits untersagte er bestimmte Reisen.
Auch nach dem Siebenjährigen Krieg musste Prinz Heinrich bei Rei­se­plä­nen mit di­plo­matischen Implikationen die Erlaubnis des Kö­nigs einho­len. Das mag legitim erscheinen. Wohl aber nicht, dass Hein­rich mit­un­ter demütigend lange darauf warten musste.
Der König schenkte dem Bruder 1744 das Schloss Rheinsberg und später einträgliche Landgüter. Bereits 1748 bestimmte er den Bau­platz für das „Palais Heinrich“ unter den Linden in Berlin (das aller­dings erst 1766 bezugsfertig wurde und übrigens heute der Hum­boldt-Universität als Hauptgebäude dient).
Prinz Heinrich durfte zunächst aber nicht in Rheinsberg re­si­die­ren, wollte der König ihn doch in seiner Nähe, in Potsdam, wis­sen, um bessere Kontrolle ausüben zu können. Nur einmal vor dem Ende des Siebenjährigen Krieges konnte Heinrich sich etwas länger in Rheins­berg aufhalten. 1753 verbrachte er dort nämlich in Gesell­schaft seiner Frau den Sommer. Sonst gab es nur einige wenige Stippvisiten.
Auch er hatte geheiratet, und zwar 1752 auf Geheiß des Königs. Mit seiner Gemahlin, der Prinzessin Wilhelmine von Hessen-Kassel, wohnte er eine Zeit lang unter einem Dach, aber nie zusammen. 1766 kam dann, nach dem Muster Friedrichs, die klare räumliche Trennung.
Ab 1763 war Rheinsberg die Hauptresidenz des Prinzen. Theo­dor Fontane irrt, wenn er meint, Heinrich habe dort bereits seit 1753 resi­diert.
Es wur­de eingangs bereits angedeutet: Prinz Heinrich erweiterte und ent­wi­ckel­te Schloss Rheinsberg und den dazugehörigen Park zu einem ästhe­tisch höchst be­frie­digenden Ensemble. Zu seinen Neu­e­run­gen gehörte der Bau ei­nes klei­nen Opern­theaters, das er durch Ge­win­nung talentierter Kün­st­ler und mit sei­nen schriftstellerischen Fä­hig­keiten als Librettist zu einer der ersten Büh­nen Europas machte – so jedenfalls ein ge­wich­ti­ges fran­zösisches Urteil.
Während Friedrich sich hauptsächlich dem Kompo­nieren und Mu­sizieren zugewandt hat­te, bezogen sich die musischen Interessen des kleinen Bruders eher auf die Performance, das Um­setzen von Ton und Text in „Theater“. Konkret: Wenn einmal ein Schau­spieler oder eine Schauspielerin ausfiel, übernahm er gerne selbst deren jeweilige Rolle. Ein Exhibitionist?
In Rheinsberg entwickelte sich ein prinzlicher Hofstaat mit bis zu 110 Bediensteten, fest engagierte Künstler mitgerechnet. Heinrich konnte all dies, die Hofhaltung und seine Baumaßnahmen, norma­ler­weise aus den Einnahmen seiner prosperierenden Güter be­zahlen. Nur einmal war er knapp bei Kasse, aber das war, wie wir noch sehen wer­den, auf außergewöhnliche Umstände zurückzu­führen.
Am prinzlichen Hof ging es fröhlich, oft ausgelassen und doch gesittet zu. Feste, zu denen immer wieder auch Bürgerinnen und Bür­ger aus der Um­gebung eingeladen waren, wechselten sich ab mit Opern- oder Thea­ter­aufführungen vor anspruchsvollstem Publikum.
Heinrich war ein kleiner Mann – noch kleiner als sein Bru­der Friedrich, dessen Körpergröße unter dem damaligen Durch­schnitt für Männer lag. Anders als Friedrich jedoch, der mit zu­nehmen­dem Alter von Gicht gebeugt war, hielt sich Heinrich gerade (was wohl typisch ist für relativ kleingewachsene Menschen).
Heinrich war zwar schmächtig, magerte aber nicht so sehr ab wie Friedrich. Er ernährte sich anspruchsvoll, aber nicht üppig – be­vorzugt aus dem eigenen Gemüsegarten. Die Esssitten des königlichen Bru­ders wa­ren ihm ein Graus.
Prinz Heinrichs Äußere wirkte auf Menschen, die ihn zum ers­ten Mal sahen, nicht sonderlich einnehmend. Wie das der Mutter war sein Gesicht pocken­narbig. Er hatte eine ziemlich lange Nase, die in einer Art Knubbel endete. Seine großen blauen Augen waren zwar ein­drucks­voll, doch trat eines davon mit zunehmendem Alter auf irri­tie­rende Weise hervor. So zeigte sich in der Tendenz ein phy­siog­nomi­scher Vorgriff auf Marty Feldman, den beliebten britischen Ko­mö­dian­ten der 1970er Jahre.
Der Prinz war eitel. Er hielt sehr auf sich. Im Rheinsberger All­tag trug er keine Uniform, sondern elegante höfische Gewänder. Auch von seinen Gästen wurde dies erwartet. Bei offiziellen Anlässen zeigte er sich aber doch oft in Uniform. Die war freilich nie abge­wetzt oder speckig. Auf Porträts, die ihn im Waffenrock zeigen, er­scheint die­ser verziert: mit einem Futter aus Leopardenfell oder einem herr­scherlich wirkenden Überwurf. Auch lassen diese Porträts er­ken­nen, dass seine Perücken toupiert wurden, um ihn größer aus­sehen zu las­sen. Und wir dürfen vermuten, dass die Absätze seiner Stie­fel noch hö­her waren als damals ohnehin üblich.
Auch Heinrich war schwul. Seine Homo­sexua­lität nahm jedoch eine völlig andere Gestalt an als die Friedrichs. Da gab es keine Ver­klemmung. Für ihn war das etwas Normales, Alltägliches. Jeder konn­te davon wissen, aber es wurde auch kein Kult daraus gemacht.
Einer seiner frühen Liebhaber, der dann den Lebensweg des Prin­zen über eine lange Strecke hinweg mit Sympathie begleiten soll­te, hat 50 Affären gezählt. Gleichwohl hatte Prinz Heinrich nichts für das übrig, was der postmoderne Deutsche als „Wonneitstänt“ be­zeich­net.
Den prinzlichen Popo zu präsentieren, war für ihn kei­neswegs eine Sache flüchtigster Gelegenheit. Nein, seine Affären hat­ten Stil, sie wa­ren ganzheitlich, kommunikativ – eingebettet in geselli­ge, hö­fische Kultur. Prinz Heinrich musste sich nicht „outen“. Das wäre sei­ner barocken Umgebung völlig unangemessen gewesen.
Die freie Art der Sexualität Heinrichs, die dem König nicht ver­gönnt war, vertiefte dessen Eifersucht gegenüber dem Bruder um ein Üb­ri­ges. Oh­ne Kenntnis dieser Dimension ist die spannungsreiche Be­zie­hung beider letztlich nicht zu verstehen.
Doch gab es eine Ausnahme vom leichten und kultivierten Ver­kehr mit Vertretern des eigenen Geschlechts, den Prinz Heinrich so schön ent­wickelt hatte: eine große und bedrückende zumal.
1767 begann Heinrich eine Affäre mit dem jungen, athletischen und hübschen Offizier Christian Ludwig von Kaphengst. Ein kurioser Name: Honi soit qui mal y pense!
Dieser war ein Hallodri, ein Hansdampf in allen Gassen: das, was man heute als Partylöwen bezeichnen würde (Adjutant des Prin­zen, letzter Dienst­grad: Major). Die Beziehung war sehr obsessiv, von Eifer­sucht, Streit und – zumeist nur kurzen – Trennungen geprägt. Erst 1785 konnte sich Prinz Heinrich unter Schmerzen und Zahlung ei­ner beträcht­lichen Abfindung von Kaphengst weitgehend befreien. Theodor Fontane meint allerdings, dass dieses Ver­hältnis damit noch nicht vollends vorüber war, und datiert dessen endgültiges Ende auf 1798.
Während ihrer engen Beziehung hatte von Kaphengst den Prinzen ausge­nom­men wie eine Weihnachtsgans. Gegen Ende war Heinrich prak­tisch plei­te, musste beim Personal einsparen, Geld leihen und Gemäl­de nie­der­ländischer Meister an Katharina II. von Russland verkaufen (die heute noch in der Eremitage zu Sankt Petersburg hängen).
Die großartige Biographin des Prinzen findet dies alles so selt­sam, dass sie die Frage riskiert, ob denn da etwa Erpressung im Spiel war. Aber bei wem hätte man Heinrich verpetzen können? Und womit? Vom König hatte er doch ohnehin nicht viel zu erwarten. Be­lassen wir es also bei der Obsession!
Als diese vorüber war, erholte sich der Prinz recht schnell, nicht nur seelisch, sondern insbesondere auch finanziell. Seine Kompetenz in der Bewirtschaftung der Güter machte es möglich.
Im Übrigen ist zu betonen, dass Heinrich in der Zeit der Affäre Kaphengst, trotz aller psychischen Beeinträchtigung, als Politiker und Di­plo­mat in Sachverstand und Initia­tive nicht beeinträchtigt war.

Aus: Lutz Unterseher: ANTIFRITZ. Hommage an Prinz Heinrich von Preußen, LIT VERLAG Dr. W. Hopf, Berlin 2015.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Auf die Übernahme von Zwischenüberschriften und Quellenhinweisen wurde verzichtet.