19. Jahrgang | Nummer 5 | 29. Februar 2016

Barzahlung, Fitness-Tracker und der Datenschutz

von Stephan Wohanka

Dass Menschen nicht im klinischen jedoch landläufigen Sinne gespaltene Persönlichkeiten sind, ist nichts Neues. Der Klassiker: Das Umweltbewusstsein und das ökologisch-praktische Verhalten vulgo für den Erhalt des Regenwaldes zu spenden und Müll zu trennen, aber zugleich mit einem PS-starken SUV, gleich Sport Utility Vehicle, die Kinder um die Ecke in die Schule zu bringen.
Gerade tut sich ein neues Beobachtungsfeld auf, wie die in einem Individuum versammelten multiplen Persönlichkeiten abwechselnd sein Verhalten determinieren: In einem Falle fühlt es sich in höchstem Maße betroffen, im anderen so gut wie gar nicht. Lediglich das Feuilleton zeigt eine gewisse Erregung. Worum geht es? Der die Betroffenheit auslösende und zu massiven Protest-Verhalten führende Umstand ist die von der Regierung ins Auge gefasste Begrenzung der Barzahlungen auf 5.000 Euro. Dagegen löst die rasant um sich greifende Verbreitung so genannter Fitness-Tracker kaum individuelle Verunsicherung aus. Diese Geräte zählen Schritte, messen den Puls und demnächst auch den Blutdruck, die Körpertemperatur, sie messen die Schlafdauer und werten Informationen zur Ernährung aus.
Mehr Leute, als man denkt, finden es reizvoll, Bares in den Händen zu halten und beispielsweise gebrauchte Autos mit hohen Geldbeträgen zu bezahlen. So verwundert es nicht, dass – wie gesagt – die Erregung in den Medien und namentlich in den einschlägigen Foren und Blogs steigt, ja den Siedepunkt erreicht hat; nur allergrößte Worte und Phrasen sind noch angemessen.
Ein Christian Lindner wittert politische Morgenluft: Bargeld sei „gelebte Freiheit“, weil das einzige Zahlungsmittel, mit dem sich tatsächlich über sein Eigentum verfügen lasse. „Wer Bargeldzahlungen beschränken oder abschaffen will, öffnet Tür und Tor für Überwachung und Enteignung“, so Lindner. Andere assistieren, wie Ex-BDI-Präsident und Ex-Mitglied der AfD Hans-Olaf Henkel. Er sieht das Bargeld-Limit als „Vorstufe für die Abschaffung des Bargelds“. Die Regierungspläne seien der „Einstieg in einen totalen finanztechnischen Überwachungsstaat“. Die Bundesregierung begründe die Notwendigkeit dieser Begrenzung mit der gestiegenen Bedrohung durch den Terrorismus. Henkel vermutet jedoch ein anderes Motiv: „Die wollen die Negativzinsen vorbereiten und dem Bürger jede Möglichkeit nehmen, sich diesem Zugriff zu entziehen“. Unter dem Motto „Ein vollelektronisches Geldsystem – völlig transparent, ohne jeglichen Schutz der Privatsphäre bei Transaktionen und mit dem ständigen Risiko einer Enteignung durch den Staat – bedeutet, dass Geld kein privates Eigentum mehr sein wird. Der Weg in die Hölle ist mit guten Absichten gepflastert“, wirbt Henkel mit Ökonomen, Unternehmen und Finanzmanagern für die Initiative „Finger weg von unserem Bargeld!!!“.
Mit von der Partie ist der Finanzexperte Max Otte, der ebenfalls der These von der bargeldlosen Welt als einer ohne Kriminalität und Terrorismus widerspricht; entscheidend sei, welchen Preis wir für diese vermeintlich schöne neue Welt zahlen müssten. Für Otte ist er definitiv zu hoch, denn „ohne Bargeld sind wir nicht nur noch gläserner als jetzt schon, sondern auch noch restlos manipulier- und steuerbar“. Negativzinsen wären dann „für jedermann unausweichlich“. Mehr noch: Dank der völligen Digitalisierung des Zahlungsverkehrs könnten auch neue Steuern oder Zwangsabgaben „so viel einfacher und unkomplizierter“ erhoben werden. Die Abschaffung des Bargeldes bedeute also „nichts anderes als die Entmündigung des Bürgers“. „Barzahlung ist Datenschutz“ formuliert dann auch die Netzaktivistin Rena Tangens…
Dass Obiges ökonomisch gesehen zum Teil Unfug ist, ist auch richtig, hier jedoch nicht von Belang. Klar ist nur, dass eine von der Regierung ins Auge gefasste Maßnahme, die, sollte sie überhaupt realisiert werden, der Praxis anderer Länder noch nicht einmal nahe käme, hierzulande jedoch schon erhebliche Ängste, Vorbehalte und Gemütswallungen auslöst.
Was die Fitnessarmbänder angeht, so muss man wahrlich kein Gesundheitsexperte sein, um zu verstehen, dass aus den erhobenen Daten nicht nur der körperliche Zustand, sondern auch ein großer Teil des Lebenswandels des Trägers herauszulesen ist. Dass diese Offenlegung intimen individuellen Verhaltens mindestens die Qualität der aus der möglichen Bargeldabschaffung folgenden schon hat, liegt, denke ich, auf der Hand. Jedoch: Der Aufschrei „Nicht mit mir!“ bleibt nicht nur aus – nein, namentlich jüngere Menschen drängen sich geradezu danach, die Fitness-Bänder quasi zur selbstgewählten elektronischen Fußfessel zu machen, wie ein Publizist sagt.
Fast jeder dritte Bundesbürger nutzt Fitness-Tracker; 18 Prozent verwenden Fitness-Armbänder und 13 Prozent Smartphones mit Fitness-Apps, wie eine kürzlich veröffentlichte Umfrage des Digitalverbandes Bitkom zeigt. Weitere sechs Prozent nutzen sogenannte Smartwatches, um Bewegungsdaten aufzuzeichnen. Ein Nutzer: „Ich habe vorgestern mein Mi Band erhalten und bin bis jetzt begeistert! Es macht ganz einfach das, was es machen soll richtig und vor allem sorgenfrei! […] Man kann seine Schritte automatisch nach Aktivitäten während des Tages gruppiert in einem Diagramm nachlesen und Details zu Uhrzeit, Dauer, Distanz und Geh-Art (gehen / rennen) ablesen. Alles wird automatisch gruppiert und unterteilt und gibt einen sehr guten Überblick. Die Schlafmessung hat mich umgehauen. Nicht nur, dass sie bis auf die Minute genau war, sondern weil sie diese automatische Gruppierung da weiter fortsetzt. Man sieht, wie lange man im Bett war und was davon Tiefschlaf oder leichter Schlaf war. Es wird angezeigt, wann man eingeschlafen ist und wann man wieder wach wurde (sehr genau, sehr nützlich) und ob man sogar zwischendurch wach geworden ist und für wie lange! Ich vergesse ja oft, dass ich wach werde und manchmal sogar irgendwohin gehe und finde das genial“. Welch ein Unterschied zur Reaktion auf die potentielle Bargeldablösung!
Dass diese Daten gesammelt Begehrlichkeiten wecken, geht offenbar in dieser Euphorie ziemlich unter. Weder die Industrie, noch Versicherungskonzerne machen einen Hehl aus ihrer „Sammelleidenschaft“. Letztere haben angekündigt, gesundheitsbewusstes Verhalten mit günstigen Tarifen zu belohnen. Auch gesetzliche Krankenkassen können sich vorstellen, die Fitness-Daten in der geplanten elektronischen Patientenakte zu speichern, um sie bei der medizinischen Versorgung nutzen zu können. Der „gläserne“ Patient ist der Realität wesentlich näher als sein bargeldloser Zwilling.
Das alles soll natürlich freiwillig geschehen. Stets wird versichert, der Patient behielte die Hoheit über seine Daten. Aber hat derjenige überhaupt einen Überblick, welche Daten die Apps tatsächlich übertragen? Wird aus der Freiwilligkeit nicht ein Quasizwang, wenn Krankenversicherungen preiswerte Tarife nur gegen Aufgabe der Datenhoheit anbieten? Und wie werden derartige Tarife dann eigentlich umgesetzt? Zulasten derer, die nicht bereit sind, diese Geräte zu tragen oder der Offenlegung ihrer Daten nicht zustimmen? Und was sind Daten, die unter medizinisch völlig unkontrollierten Bedingungen erhoben wurden, für den Patienten wirklich wert?
Fragen über Fragen. Und nicht nur mit medizinischen Daten gehen Menschen sorglos um: Durch Rabattkarten und Online-Shopping verraten sie ihre Konsumtionsprofile, durch die Nutzung von Navigations-Apps lassen sie die Erstellung von Bewegungsmustern zu und in sozialen Netzwerken legen sie ihr Privatestes offen. Ohne Problembewusstsein geben sie biometrische Daten wie den Fingerabdruck preis, um das Smartphone vermeintlich sicherer zu machen. Oder auch ihr Gesicht; Google entwickelt schon die Brille, die es unter Tausenden erkennt…
Es bewahrheitet sich die alte Weisheit: Beim Gelde hört die Freundschaft auf. Und setzt das Hohe Lied des gleichwohl schizophren gehandhabten Datenschutzes ein. Aber eben nur beim Gelde, darüber hinaus „habe ich nichts zu verbergen“. Einer der dümmsten Sprüche jemals…