18. Jahrgang | Nummer 23 | 9. November 2015

Uran für die Sowjetunion

von Wolfgang Schlott

Hinter dem lapidaren Titel des autobiographisch verbürgten Berichtes des tschechischen Schriftstellers und Bürgerrechtlers František Šedivý (Jahrgang 1927) verbirgt sich eines der schrecklichsten Kapitel der böhmischen Nachkriegsgeschichte: die Produktion von Uranerz für die nach 1945 in der Sowjetunion einsetzende Herstellung von Atombomben. Nancy Aris von der sächsischen Behörde für die Verwaltung der Stasi-Unterlagen weist in ihrem Vorwort darauf hin, dass der Abbau des Urans unter menschenunwürdigen, brutalen Bedingungen erfolgte und eine gemeinsame, bislang kaum bekannte sächsisch-tschechische Leidensgeschichte auf dem Gebiet des Erzgebirges darstelle. Durch ein System von 18 Zwangsarbeitslagern auf dem tschechoslowakischen Territorium wurden im Zeitraum zwischen 1945 und 1964 zehntausende überwiegend politische Häftlinge geschleust, mit vielen aufgrund von Mangelernährung, Arbeitsunfällen in den unzureichend abgesicherten Bergstollen, gescheiterten Fluchten und Folterungen verursachten Todesfällen.
In seinem ausführlichen „Überblick über die Geschichte des Uranabbaus und die Uran-Lager in Böhmen“ verweist der Zeithistoriker František Bártík einleitend auf die notwendige transnationale Darstellung des Uranabbaus. Er wurde von der Sowjetunion nach 1945 auf beiden staatlichen Territorien forciert vorangetrieben und erfolgte auf tschechischer Seite zwischen 1945 und 1950 vor allem unter Einsatz deutscher Kriegsgefangener wie auch so genannter „Retributionsgefangener“ (nach 1945 als Kollaborateure des Naziregimes verurteilt). In dem Zeitraum zwischen 1945 und 1989 wurden in den Bergwerken im Joachimsthaler Gebiet (Jachýmov) mehr als 3.000 Tonnen Uran unter unterschiedlichen technischen Bedingungen, aber immer zu Lasten der bis in die 1960er Jahre zwangsweise rekrutierten Arbeitskräfte, die für extrem gesundheitsschädliche Zwangsarbeit bis in die 1950er Jahre eine sehr geringe Entlohnung erhielten. Bártík klassifiziert die einzelnen Phasen des Arbeitslagersystems von dem NS-Kriegsgefangenenlager (1940-1945) bis zu dem so genannten Uran-Besserungs-Arbeitslager (1949-1953), beschreibt minutiös die Lebensumstände der Zwangsarbeiter, unter denen viele aufgrund politischer Motive verurteilt waren, und verweist auf die 511 Personen, die beim Uranabbau für die Sowjetunion infolge von Arbeitsunfällen, Krankheiten oder Suizid ums Leben kamen. Der analytische und beschreibende Charakter seiner Ausführungen ermöglicht nicht zuletzt die Einordnung des autobiografischen Leidensbericht des Häftlings Pavel – ein Name, den der Autor Šedivý benutzt, um gleichsam eine gewisse psychische Distanz zu seinem Ich herzustellen. Sie bildet eine Schutzfunktion, die diesen erschütternden autobiografischen Bericht in vieler Hinsicht für den Leser transparenter erscheinen lässt. Es handelt sich um einen beinahe zwölfjährigen Zwangsaufenthalt, den Frantisek unter unmenschlichen Bedingungen zwischen 1952 und 1964 in Untersuchungsgefängnissen, im ostmährischen Gefängnis Mirov und als Zwangsarbeiter in verschiedenen Uranerzgruben im Jachýmov-Gebiet verbrachte. Der Ausgangspunkt: Eine Gruppe junger tschechischer Studenten, die Widerstand gegen die kommunistische Herrschaft zwischen 1948 und 1952 leistet, wird verraten. Es folgen erpresste Geständnisse und die Verurteilung zu langjährigen Haftstrafen. Pavel wird zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Was er in diesen Jahren an Schikanen, körperlichen Strafen, Entbehrungen, Erniedrigungen durch das Wachpersonal erlebt, gehört in der vorliegenden Aufzeichnung zu den anschaulichsten Dokumenten der tschechoslowakischen Gefängnisgeschichte. Šedivýs nüchterner Bericht, aus einer gewissen zeitlichen Distanz geschrieben, zeichnet sich durch die genaue Beschreibung der Untersuchungsmethoden der Staatssicherheit, der Zustände in den verwahrlosten Gefängnissen, der Mangelkost für die Gefangenen und der brutalen Ausbeutung ihrer Arbeitskraft aus. Seine durch Sachberichte angereicherten Beobachtungen der Arbeitsbedingungen beim Abbau des Uranerzes bilden eine anschauliche Bereicherung der Darlegung des Historikers Bártík, der im heutigen Museum Vojna als Direktor arbeitet. Zahlreiche im Text abgedruckte Fotodokumente vermitteln dem Leser sicherlich nur distanzierte Eindrücke von dieser Hölle und dem Fegefeuer, wie Šedivý die Lebensbedingungen in den Lagern charakterisiert. Dennoch erlauben sie einfühlsame Einblicke in die Reste einer einstigen Horrorwelt. Als Pavel nach einem Antrag auf Haftverkürzung im Jahre 1964 freigelassen wird, erwarten ihn weder seine Mutter (die zwei Jahre vorher an Krebs gestorben war; an ihrer Beerdigung durfte er nicht teilnehmen) noch nähere Verwandte. Er musste nun sein Leben völlig neu gestalten. Erst nach 1989 konnte František Šedivý die Veröffentlichung seiner Leidensgeschichte in die Wege leiten.

František Šedivý: Uran für die Sowjetunion, Evangelische Verlagsanstalt (Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Band 15), Leipzig 2015, 229 Seiten, 9,90 Euro.