18. Jahrgang | Nummer 22 | 26. Oktober 2015

Film ab

von Clemens Fischer

Dass die bundesdeutsche Justiz, insbesondere Staatsanwaltschaften und Gerichte, sowie Ermittlungsbehörden und Dienste wie das Bundeskriminalamt, der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst in der Adenauer-Republik mit Funktionsträgern des Hitler-Regimes, darunter Kriegsverbrecher, durchseucht waren, ist längst aktenkundig. Ebenso ist es der Sachverhalt, dass braune Seilschaften die juristische Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen jahrzehntelang systematisch hintertrieben haben und die allermeisten Täter des Dritten Reiches bis zu ihrem natürlichen Ableben strafrechtlich unbehelligt geblieben sind.
Von jener Zeit eine direkte Linie bis zu der unglaublichen Anhäufung von einseitigen Ermittlungsansätzen, Schlampereien und Vertuschungen seitens heutiger Organe im Zuge dessen zu ziehen, was als NSU-Skandal bezeichnet wird, wäre sicher eine zu grob-gestrickte Simplifizierung. Die Frage allerdings, ob bundesdeutsche Ermittlungsbehörden und Dienste in ihren Gründerjahren durch ihre Nazi-Altlasten nicht mit einem Geist getränkt worden sind, dessen politische Rechts-Blindheit quasi Eingang in deren DNS gefunden hat und entsprechend weiterwirkt, stellt sich schon – spätestens seit dem gescheiterten NPD-Verbot und dem NSU-Skandal.
Wer an diesem „Anfangsverdacht“ Zweifel hegt, dem kann hier eine höchst spannend inszenierte Geschichtsstunde empfohlen werden: „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Dieser hessische Generalstaatsanwalt, Jude und Sozialdemokrat, von den Nazis inhaftiert, später ins dänische, dann ins schwedische Exil entkommen, war die treibende Kraft der Frankfurter Auschwitzprozesse, die 1963 begannen und in denen zumindest ein beschränkter Täterkreis zur Verantwortung gezogen wurde. Gegen welche Widerstände aus den eigenen Reihen wie auch aus der höchsten Politik Bauer dabei ankämpfen musste, zeigt der Film exemplarisch an Bauers Versuch, den Organisator der Judenvernichtung, SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, über dessen Versteck in Argentinien er Informationen erhalten hatte, in der Bundesrepublik vor Gericht zu stellen. Bauer – wieder eine Paraderolle für den grandiosen Mimen Burghart Klaußner – scheiterte damit zwar, hatte seine Informationen allerdings dem Mossad übergeben. Die weitere Geschichte ist bekannt.
Bauers Kontakt zum israelischen Geheimdienst erfüllte seinerzeit übrigens den Straftatbestand des Landesverrats und hätte ihn bei Entdeckung hinter Gitter gebracht.

„Der Staat gegen Fritz Bauer“, Regie: Lars Kraume. Derzeit noch in manchen Kinos und demnächst auf DVD und in Videotheken.

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Als Regisseur Peter Hyams 1977 in „Unternehmen Capricorn“ eine erste bemannte US-Mission zum Mars auf die Spielfilm-Leinwand brachte, wurde dabei das amerikanische Gesellschaftssystem so schön in seiner unleugbaren Perfidität in Szene gesetzt, dass es der Streifen sogar bis in die DDR-Kinos schaffte: Der vorgebliche Weltraumflug fand lediglich im Studio statt, um der Nation und der ganzen Welt etwas vorzugaukeln, weswegen die Beteiligten anschließend über die Klinge springen mussten, um die Sache zu vertuschen! Das ist auch heute noch mindestens cineastisch ansehenswert.
Gesellschaftskritik ist bei Ridley Scotts kürzlich angelaufenem „Marsianer“ nun überhaupt nicht angesagt, stattdessen – große Heldenpathetik à la Hollywood. Und zwar – satt! Würde man dieses Opus nach seinen in naturwissenschaftlicher, logischer, weltraumtechnischer sowie manch anderer Hinsicht teils haarsträubenden, teils einfach dreisten Unwahrscheinlichkeiten und Ungereimtheiten bewerten, müsste man es auf die Deponie für pseudowissenschaftlichen Kokolores entsorgen. Unmittelbar neben den Schwarten von Erich von Däniken. Da es sich aber nicht um einen Dokumentarfilm handelt, sondern um Kino und im vorliegenden Fall erkennbar um Science Fiction, also um Illusionen, die zuvorderst auf Unterhaltung zielen, kann Scott ein professionelles Meisterwerk, ein spannendes Märchen mit grandiosen Bildern, die durch den 3D-Effekt noch weiter gewinnen, bescheinigt werden – mit einem atemberaubenden Hauptdarsteller: dem Mars. (Den kann man übrigens auch privat besuchen, denn gedreht wurde in Jordanien.) Im Film jedenfalls kann Mark Watney (alias Matt Damon) gar nicht lange genug in der Landschaft unterwegs sein – wenn auch in einem Gefährt, dem es, nur so zum Beispiel, an jeglichem Sanitär- und Hygienekomfort gebricht, was bei einer Wochen andauernden Tour nicht nur olfaktorische Fragen aufwirft.

„Der Marsianer: Rettet Mark Watney“, Regie: Ridley Scott. Derzeit in den Kinos.

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Dem ewig bangen siamesischen Frage-Antwort-Zwilling bei fremdsprachigen Filmen („Titel eindeutschen?“ Und: „Falls ja – dann aber gefälligst falsch, irreführend oder blödsinnig!“) wurde im vorliegenden Fall wieder einmal geradezu schulbeispielhaft entsprochen: In dem Streifen „A Walk in the Woods“ gibt es genau eine Szene, in der auch zwei Bären auftauchen, und keine Szene, in der ein (klassisches) Picknick stattfindet. Daher lautet der deutsche Titel völlig folgerichtig „Picknick mit Bären“. Es hätte ebenso auf „Das Wandern ist des Müllers Lust“ hinauslaufen können. Da Titel aber bekanntlich Zuschauer locken sollen, wäre „Camping mit XXL-Dessous“ zwar genauso daneben gewesen, aber vielleicht weit wirkungsvoller … Ansonsten bringt dieser Outdoor-Ratgeber für Senioren, die es noch einmal wissen wollen, neben recht komischen Einlagen ein Wiedersehen mit Robert Redford (78), Nick Nolte (74) und Emma Thompson. Letztere spielt zwar nur eine Nebenrolle, doch ihre Ausstrahlung ist auch als reife Frau so bezaubernd wie eh und je.
Ein kurzweiliger Film mit weiten Landschaften, nicht ohne wohl dosierten lebensphilosophischen Tiefgang hier und da. Genau das Richtige nach anstrengenden Tagen.

„Picknick mit Bären“, Regie: Ken Kwapis. Derzeit in den Kinos.