18. Jahrgang | Nummer 21 | 12. Oktober 2015

Antworten

Angela Merkel, Frontfrau – „Ehre, wem Ehre gebührt“, sagt der Volksmund. Wir zählen ja ganz gewiss nicht zu Ihren eingefleischten Fans, aber wenn Sie ein Achtungszeichen setzen, dem Respekt zu zollen wir nicht umhin können, dann tun wir das auch öffentlich. Vergangene Woche, examiniert von Anne Will, haben Sie – im Zusammenhang mit der gegenwärtig besonders großen Anzahl von Flüchtlingen, die nach Deutschland gekommen und weiter zu erwarten sind, nicht zum ersten Mal – Haltung bewiesen: „Ich will mich nicht an einem Wettbewerb beteiligen, wer die Flüchtlinge am unfreundlichsten empfängt.“ Chapeau, Frau Bundeskanzlerin.
Falls Sie und Ihr Finanzminister nun aber noch grübeln sollten, wo und wie Sie die notwendigen finanziellen Mittel für die jetzt anstehenden Integrationsherausforderungen locker machen, hätten wir vielleicht einen Tipp. Gerade hat das Statistische Bundesamt Zahlen für 2014 veröffentlicht, denen zufolge im vergangenen Jahr hierzulande zwar „nur“ Vermögenswerte im Umfang von rund 38,3 Milliarden Euro vererbt wurden, dafür wurden aber knapp 71 Milliarden Euro verschenkt (eine Steigerung von 120 Prozent gegenüber 2013!), um der – im Vergleich zu anderen Staaten eh schon lachhaft geringen – Erbschaftssteuer zu entgehen. Darunter waren allein 44 Milliarden an übertragenem (zum Beispiel von Eltern an ihre Kinder) Betriebsvermögen. All das überwiegend völlig steuerfrei.
Natürlich wissen auch wir, dass man Unternehmensweitergaben nicht so besteuern darf, dass den Empfängern und damit den Unternehmen selbst die finanzielle Puste ausgeht. Aber muss das wirklich gleich heißen – gar nicht?

Ursula von der Leyen, noch Dr. med., noch Chefin im Bendlerblock – Der ganz schwer nach seriöser Wissenschaft klingende Titel Ihrer jetzt ins Gerede gekommenen Dissertation lautet: „C-reaktives Protein als diagnostischer Parameter zur Erfassung eines Amnioninfektionssysndroms bei vorzeitigem Blasensprung und therapeutischem Entspannungsbad in der Geburtsvorbereitung“. Ob bereits Ihr erster Fehler – „Sysndrom“ statt „Syndrom“ – Folge eines Plagiats ist, soll hier dahingestellt bleiben. Die ersten 27 Seiten der Arbeit jedenfalls, die historischen Aspekten und fachlichen Grundlagen gewidmet sind, seien „in großen Teilen ohne korrekten Quellenverweis abgeschrieben“, wie Der Spiegel ausplauderte. Trotzdem bleibt Ihnen die Aberkennung des akademischen Grades womöglich erspart – und zwar deswegen, weil die Sitten bei medizinischen Promotionen hierzulande bereits seit Jahrzehnten dermaßen verludert sind, dass dafür einfach die moralische und rechtliche Handhabe fehlt. Christian Bommarius resümierte in der Berliner Zeitung: „Wenn sich herausstellen sollte, dass Medizinstudenten in Deutschland im Vertrauen darauf plagiieren können, dass der Doktorvater sie ohnehin nicht lesen, und wenn lesen, dann ein Plagiat nicht bemerken, und wenn bemerken, dann nicht melden wird, wenn sich also ergeben sollte, dass sich der wissenschaftliche Anspruch bereits derart verflüchtigt hat, dass Plagiate im stillen Einvernehmen von Professoren und Studierenden entstehen und alle Ge- und Verbote der Promotionsordnungen de facto außer Kraft gesetzt sind, dann hat jede Sanktion nicht nur jeden Sinn, sondern auch ihr Recht verloren.“
Trotzdem raten wir zur Demission – allerdings aus übergeordneten nationalen Gründen: So würde vermieden, dass Sie weiteren sicherheitspolitischen Dadaismus verzapfen wie mit der Entscheidung, für die Reaktivierung und Modernisierung von knapp 100 verschrottungsreifen Alt-Panzern über eine halbe Milliarde Euro zu verplempern (siehe ausführlicher „Panzer & Flüchtlinge“ in den Bemerkungen dieser Ausgabe). Da wir mit so viel Einsichtsfähigkeit auf Ihrer Seite jedoch nicht rechnen, bleibt zu hoffen, dass Ihre Alma Mater die Evaluation Ihrer Dissertation nutzt, um ein Signal für einen Neu-Anfang im deutschen medizinischen Promotionswesen zu setzen.
Für den Fall dass …, hätten wir noch einen Tipp. Einer Ihrer Amtsvorgänger, dem akademische Laxheit bereits zum finalen Fallstrick geworden war, wählte sich als Abschiedsmusik für seinen Großen Zapfenstreich anlässlich Amtsaustritt „Smoke on the water“ von Deep Purple, womöglich um auch damit noch originelle Singularität vorzugaukeln. Zeigen Sie stattdessen, dass sie auch über Eigenschaften verfügen, die man an Ihnen öffentlich weder kennt noch argwöhnt – etwa Humor – und dass Sie der Abklingphase nach Affäre und Rücktritt gelassen entgegensehen; wählen Sie Max Raabe: „Kein Schwein ruft mich an“!

Rechtschreibreform, deutsche (= Synonym für Chaos & Niveauverlust) – Zehn Jahre nach der offiziellen Einführung dessen, was sich eine Horde verkopfter germanistischer Besserwisser und lebensferner Schreibtischtäter hatte einfallen lassen und was die deutschen Kultusminister in ignoranter Verkennung der Folgen abgesegnet hatten, fällt die Bilanz in einem Maße katastrophal aus, wie es sich selbst hartgesottene Kritiker des Gesamtvorhabens nicht hätten träumen lassen. Heike Schmoll hat in der FAZ zusammengefasst: „Ausgerechnet die Kultusminister haben Schülern gegenüber mit langfristigem Erfolg den Eindruck vermittelt, Orthographie sei weniger wichtig, Zeichensetzung weitgehend dem eigenen Stilempfinden überlassen. […] Den heutigen Zustand wird man ohne Übertreibung als sichtbares Schreibchaos charakterisieren können. […] In den Schulen hat die mehrere Milliarden teure Rechtschreibreform die Fehlerquote nahezu verdoppelt.“
Alles nicht so schlimm – angesichts Ukraine-Krise, Bürgerkrieg in Syrien und Flüchtlingswelle? Vorsicht! Es könnte unter anderem ausgerechnet die Rechtschreibreform sein, die uns mit internationalen Entwicklungen wie den genannten und ihren Konsequenzen künftig noch schlechter zurechtkommen lässt als bisher. Dazu abermals Heike Schmoll: „Wer nun meint, das Land habe wahrlich wichtigere Probleme, sollte nicht übersehen, dass die Rechtschreibreform ein Indiz für eine allgemeine Nivellierung im Denken ist, deren Folgen nicht nur im Bildungssystem ruinös sind.“