18. Jahrgang | Nummer 17 | 17. August 2015

Sommer-Lied

von Henry-Martin Klemt

Wie ein Sturmball wird die Sonne aufgezogen
und die Flut spült die zerbrochnen Schiffe an,
tote Seelen, um ihr Paradies betrogen.
Länder brennen vor und hinterm Ozean.

Der Asphalt klebt fest an den Allwetterreifen.
Langsam rollt mein Karren meine Straße auf
und zurück bleibt nur der weiße Todesstreifen,
den ich für mein buntes Leben nahm in Kauf.

Auf den Grund des ausgedorrten Brunnenschachtes
Klirrt mein leerer Eimer, den kein Seil mehr hält.
Nur mein Herz pumpt Regen wie ein schwer bewachtes
Biotop in einem Quarantänezelt.

Meine Freundinnen mäandern durch Gemäuer,
die schon längst getürmte Prinzen für sie bauten.
Vor dem Spiegel sind sie selbst sich nicht geheuer
und sie suchen einen, dem sie nie vertrauten.

Noah pinselt weiter im Museumsgarten
für den Gotteslohn an seinem alten Kasten
und er pinnt die Bilder ausgestorbner Arten
neben Wasserleichen an die nackten Masten.

Die Geheimdienstbosse füllen die Basare,
bieten Spitzel feil und gut erhaltne Kriege.
Wer den Markt betritt, ist selbst schon eine Ware.
Wer den Mund aufmacht, mutiert zu einer Lüge.

Manche Wüsten, die vor Zeiten Meere waren,
malen schaumgeborne Wesen in das Nichts.
Fische fliegen da in himmelblauen Scharen
über Grenzen jedes Dunkels, jedes Lichts.

Wie ein Sturmball wird die Sonne aufgezogen
und die Flut spült die zerbrochnen Schiffe an,
tote Seelen, um ihr Paradies betrogen.
Länder brennen vor und hinterm Ozean.

VIII/2003

Henry-Martin Klemt liest am 21. August, am 18. September sowie 16. Oktober jeweils 19 Uhr in Frankfurt/Oder, Alte Schmiede, am 5. September, 20 Uhr im Theater Frankfurt.