18. Jahrgang | Nummer 18 | 31. August 2015

„Sing, mei Sachse sing“ oder über Eigen- und Fremdwahrnehmung

von Stephan Wohanka

Erinnern Sie sich noch der „Hymne der Sachsen“; entstanden 1979? Können Sie sie noch mitsummen, gar mitsingen? Unter anderem heißt es da: „Der Sachse is der Welt bekannt als braver Erdenbercher, und fährt er ringsum durch das Land, da macht er keenen Ärcher. Da braucht er seine Ruhe und ausgelatschte Schuhe!“ Heute noch findet man in einschlägigen Blogs Loblieder wie diese: „Ich bin zwar kein Sachse, lebe aber schon sehr lange hier. Diese Sachsenhymne charakterisiert die Menschen in Sachsen und ihre Probleme wunderbar. Im Allgemeinen ist der Sachse ein lieber und verträglicher Mensch. Genauso hat Jürgen Hart (der Leipziger Kabarettist und Sänger des Liedes – St. W.) diesen Menschenschlag beschrieben und damit ein gültiges Denkmal gesetzt.“ Oder: „‚Sing mei Sachse sing‘ ist sowieso die geheime Hymne aller Sachsen. Rauf und runter und am liebsten als Endlosschleife spielen. Jürgen Hart singt über das, was wir eigentlich nur wollten“. Und: „Eine Liebeserklärung an meine sächsischen Freunde … ein super-lustiges Lied aus Sachsen – ich finde es einfach und herrlich! Der sächsische Humor, die Gemütlichkeit der Sachsen und die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen – daran kann man sich ein Beispiel nehmen!“ So viel zur Selbstwahrnehmung der Sachsen; auch wenn sie zum Teil von Fremden kommt.
Die Fremdwahrnehmung dazu differiert heute erheblich, ja ist eine diametral andere! Sie gipfelt darin, dass eine große Wochenzeitung „im Ernst“ den „Säxit“ ins Spiel bringt – das Ausscheiden Sachsens aus der Bundesrepublik. Woher nimmt sich dieses Wahrnehmungsgefälle? Es sind ebenfalls Sachsen, die wie etwa Carsten Rentzing, der evangelische Landesbischof Sachsens, provokant verkünden: Solange Pegida „den Regeln dieser (sic!) Gesellschaft folgt, gibt es auch kein Recht, das zu kritisieren“. (Übrigens stammt von Rentzing auch Folgendes; ebenfalls gut dafür, einen Kontrast zu anderen zu begründen: „Die Bibel sagt, dass die homosexuelle Lebensweise nicht dem Willen Gottes entspricht.“)
Warum hat die verdruckst-aggressive Pegida ihre Hochburg ausgerechnet in Dresden, der Stadt, die sich als „Elbflorenz“ versteht, was ja eine gewisse Kunstsinnigkeit und kein politisches Rabaukentum unterstellt? Der Dichter Durs Grünbein, gebürtiger Dresdner, äußert, dass der Dresdner Groll viel mit einer gepflegten Weltabgeschiedenheit Dresdens zu tun habe. Was für die stumme Erbitterung gilt, gelte für das lautstarke Ressentiment umso mehr, so Grünbein, und weiter: „Seit der Schulzeit war mir die Denkweise dieser Starrköpfigen, von der Geschichte Frustrierten, geographisch in die Ecke Gestellten immer wieder begegnet. Das spezifische Dresdner Wir-Gefühl: Wir sind hier die Dummen, die Abgehängten“. Bestürzt ist er auch vom „Sound der Unbelehrbarkeit, der Einschwörung und Einschüchterung“ in seiner Heimatstadt: „Es wundert mich nicht, dass es an der Elbe ausbrach, dies diffuse Gefühl der Bedrohung. Auch woanders schneiden Wirtschaftskrise, Europolitik, Glaubenskriege und Flüchtlingsströme in die Existenz. Aber nur in Dresden schlagen sie auch aufs Gemüt. Nur dort konnte Islamisierung zur Chiffre werden für alles, was den Kleinbürger heute bedroht, alles Fremde und Ungewohnte.“
Man mag von dem Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ halten, was man will; wenn aber der sächsische CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich sich angesichts der brisanten Lage vor seiner Haustür dazu versteigt zu sagen „Der Islam gehört nicht zu Sachsen“, dann gebricht es dem Mann schlicht an politischer Intelligenz: Er signalisiert den Krakeelern Verständnis, ja Unterstützung! Paradoxerweise hat Tillich sogar Recht – in Deutschland leben rund vier Millionen Muslime, 98 Prozent von ihnen in den westdeutschen Bundesländern, in Sachsen sind es nur 0,7 Prozent.
In Harts „Sachsenhymne“ heißt es im letzten Vers: „Doch kommt der Sachse nach Berlin, dort könn’se ihn nich’ leiden! Da wolln’sen eene drüber ziehn, da wolln’se mit ihm streiten! Und tut mern ooch verscheißern – sei’ Liedchen singt er eisern!“ Schon damals also liebte man die Sachsen offenbar nicht überall; das geschieht auch anderen Stämmen und Dialekten. Entscheidend ist jedoch – die Zurückweisung deckt sich mit dem Grünbein‘schen „Wir-Gefühl“ als das von den „Dummen, Abgehängten“. Das sonnige sächsische „Gemüt“ bog und biegt derartige Misshelligkeiten um – und machte und macht daraus einen dünkelhaften Stolz! Er ähnelt dem bayrischen „Mir san mir“. Wenn es in den damals Sachsen ausmachenden DDR–Bezirken und nunmehr im „Freistaat Sachsen“ also etwas Durchgängiges gegeben hat, dann jenen „Sachsenstolz“! Der Bürger hat eine hohe Meinung von sich und seinesgleichen: „Sachse ist das Höchste, was ein Mensch auf Erden werden kann!“, twitterte kürzlich ein junger CDU-Landtagsabgeordneter. In Fraktur – kein Witz!“ – so ist in dem erwähnten Wochenblatt zu lesen.
Solange nicht deutlich mehr sächsische und in Sonderheit Dresdner Bürger als bisher – und natürlich auch die sächsische CDU-Politik in Gestalt des Ministerpräsidenten und anderer Mandatsträger – entschlossener Front gegen diesen larmoyant-räsonierenden Mahlstrom rassistischer, fremdenfeindlicher und teils homophober Wahnbilder, garniert mit Verschwörungstheorien, Deutschtümelei und Antiamerikanismus machen, wird sich wohl an der Grundhaltung (zu) vieler Sachsen und Dresdner, eine Spezies ausgedachter Exklusivität zu sein, die sie zu schlimmsten Ausfällen gegen das genuin Humane ermuntert, nichts ändern.