18. Jahrgang | Nummer 12 | 8. Juni 2015

Liebermann und van Gogh am Wannsee

von Angelika Leitzke

Auch wenn sie einander nie begegnet sind, die Kunstgeschichte will sie als Wahlverwandte zusammenzwingen: Max Liebermann, ausgebildeter Maler, und Vincent van Gogh, nahezu Autodidakt. Der Deutsche fuhr fast vier Jahrzehnte regelmäßig in die niederländische Provinz Holland, im Sommer 1882 kam er nach Zweeloo in der Provinz Drente; van Gogh war im Herbst 1883 in dem kleinen Dorf, das heute uninteressant wäre, hätten die beiden VIPs hier nicht einmal gastiert.
Hier entstand im Sommer 1882 Liebermanns „Rasenbleiche“: Frauen in bäuerlicher Tracht, die ihre Wäsche zum Trocknen auf die Wiese legen, im Hintergrund des Künstlers damalige Logis nebst buntem Federvieh. Das Gemälde fand 1883 Einlass in den renommierten Pariser Salon, stieß jedoch auf Kritik. Später übermalte Liebermann die allzu pittoreske Wäscherin im Vordergrund. Van Gogh erinnerte sich in Zweeloo zwar an Liebermanns Waschweiber, doch mehr interessierten ihn Licht und Farbe von Himmel und Erde. Ihm galt es, dasselbe Motiv stets anders zu malen, anstatt wie Liebermann nach neuen Motiven im fremden Land zu suchen. Kurzzeitig mochte er, noch zu Beginn seiner Karriere, den Älteren als künstlerisches Vorbild erwogen haben, man sieht es am Apfelbaumgarten von Zweeloo, der beide zu einer Zeichnung inspirierte. Zu sehen in der Liebermann-Villa am Wannsee, die sich die Gegenüberstellung der beiden Künstler geleistet hat, danach gibt es Kaffeetrinken auf sonnenbeschienener Liebermann-Terrasse, aber ohne van Goghsche Kartoffeln. Obwohl dessen berühmte „Kartoffelesser“ Teil der Schau sind.
Wenig günstig die Arbeitsbedingungen für van Gogh, der am Geld sparen musste: als er 1883 frühmorgens von seiner Unterkunft Niew-Amsterdam nach Zweeloo fuhr, nahte der Winter, und zu dieser Saison ließ sich hier kein Maler blicken. Dafür schwarze Erde, Torf, faulende Heide. Kaum dürfte ihm der Sinn danach gestanden haben, wie Liebermann Genreszenen im Stil von Jacob van Ruysdael und Meindert Hobbema zu malen. Van Gogh fand nie so recht Gnade vor Liebermanns Augen, die stets das Leben im Sonnenschein sahen. Der Deutsche liebte die alten Meister: „Wenn man Frans Hals sieht, bekommt man Lust zu malen. Wenn man Rembrandt sieht, möchte man aufhören.“ Seine Vorbilder hat Liebermann nie erreicht: der großstädtische Millionärs- und Fabrikantensohn, selbst aller harter Arbeit standesgemäß enthoben, inszenierte die handwerklichen Tätigkeiten der zeitgenössischen Holländer stets noch so glänzend, als wäre seinen Bauern, Wäscherinnen und Webern das Leben ein Sonntagsvergnügen. Zumal galt es, die dröge deutsche Genre- und Historienmalerei aufzurütteln, deswegen auf nach Paris, Barbizon, Holland, auf zu Impressionismus und Freilichtmalerei. Ex occidente lux.
Was für damalige Verhältnisse noch unschöne Motive waren, veredelte Liebermann in großbürgerlicher Attitüde: man sieht bei ihm zufriedene Menschen in meist sonnendurchfluteten Räumen, das Mobiliar ist nicht abgeschabt aus Gebrauchsgründen, sondern weil es so ins Bild passt. Kaum Schmutz, dafür eine detailverliebte Ausstattung, bis hin zur letzten Gesichtsfalte der Großmutter. Das harte Erwerbsleben wird zur Anekdote. Hatte Nolde vielleicht doch recht, als er Liebermann einen Kitschmaler schimpfte?
Bei van Gogh, dem Pfarrerssohn, dem die Malheimat des anderen echte Heimat war, ist der Mensch an Erde und Scholle gebunden, sie sind sein Gehäuse, auch wenn es noch so drückend sein mag: eng die Stuben, niedrig deren Decken, spärlich das Licht. Van Goghs Weber ist in seinem Webstuhl eingespannt, es ist sein tägliches Joch, und nichts lenkt ihn ab. Selbst der Mensch scheint aus demselben Holz geschnitzt wie sein Handwerkszeug: kantig, karg. Aus seinen Materialien holt der Maler das Letzte heraus, um zu einer Magie des harten Brotverdienens zu gelangen, die sich der Wahrheit nicht schämt. Der Preis? Van Gogh betrieb eine brotlose Kunst.
Liebermanns Arme-Leute-Malerei dagegen fand schließlich auch im Deutschen Kaiserreich allmählich ihre Abnehmer, der Künstler sorgte selbst für ihre Vermarktung durch die von ihm geführte Berliner Secession und seinen Galeristen Paul Cassirer, der wiederum van Gogh posthum in Deutschland bekannt machte. Dabei wollte der Niederländer, wie er in einem Brief an seinen Bruder Theo schrieb, lieber ein kümmerliches Dasein als Maler führen statt sich in die Hände des Kunsthandels zu begeben, sprich, sich dem Diktat eines bestimmten Berufstandes unterzuordnen. Er wollte „ein Stück Natur betrachten – denken: das will ich malen“. Van Gogh logierte in Drente die meiste Zeit im Gasthaus Scholte in Nieuw-Amsterdam, das heute das Van-Gogh-Haus beherbergt – zu einer Liebermann-Villa hat es der Deutsche hier nicht gebracht. Dafür stehen die Besucher am Wannsee Schlange.