18. Jahrgang | Nummer 6 | 16. März 2015

He did it his way

von Wolfgang Hochwald

Es soll durchaus noch (nur ältere?) Menschen geben, die eine CD oder gar LP nach wie vor komplett von der ersten bis zur letzten Note hören! Also nicht ausschließlich einzelne Songs nach dem Zufallsprinzip via iPod, wie es deren Kinder oder Enkelkinder tun? Speziell solchen Zeitgenossen könnte die neue Platte von Bob Dylan, „Shadows In The Night“, sein immerhin 36. Studioalbum, ein bewegendes Hörerlebnis verschaffen.
Der „Alte“, wie ihn die Presse seit einer Weile nennt, hat ja schon für so manche Überraschungen und Irritationen bei seinen Hörern gesorgt. Und auch wenn man ihm nachsagt, sich so gut wie kein anderer Musiker im amerikanischen Songkatalog auszukennen, so hätte doch niemand damit gerechnet, dass der Meister ein Platte mit Titeln aufnimmt, die ausgerechnet durch Frank Sinatra berühmt geworden sind.
Dass das Ergebnis gleichwohl gefällt, mag an verschiedenen Faktoren liegen: Vielleicht daran, dass die Aufnahmen in den Capitol Studios in Los Angeles erfolgten, wo viele der Originale entstanden waren, und dass mit Al Schmitt ein Toningenieur gewonnen wurde, der auch an Sinatras Platten mitgearbeitet hatte.
Produziert hat, wie so oft, Jack Frost, hinter dem sich niemand anderes als Dylan persönlich verbirgt. Doch entscheidend ist, dass Dylan die Songs nicht – wie zu befürchten war – im Sinatra Big Band Stil eingespielt hat, sondern mit der Band, mit der er nun schon seit vielen Jahren auf Tour ist – also nur mit Bass, Schlagwerk, zwei Gitarren und einer Steel Guitar, die viele der Songs geradezu trägt. Nur drei Titel werden durch zarte Bläser unterstützt. Dem Vernehmen nach habe die Band sogar vor den Aufnahmen geübt. Und Dylan singt mit so viel Herz, so einnehmend, ruhig und gefühlvoll, wie schon lange nicht mehr – und überdies verständlich.
Dylan hat bis auf einen Titel ausschließlich Lieder ausgewählt, die Sinatra in den 40er und 50er Jahren aufgenommen hat. So beginnt die Reise in die Nacht mit dem getragenen „I‘m A Fool To Want You“, bekannt auch durch die Fassung von Billie Holiday, und setzt sich nicht sehr zuversichtlich fort mit „The Night We Called It A Day“ (sinngemäß: Die Nacht, in der wir Schluss machten). Dylan schmerzt weiter mit „Stay With Me“, aber zeigt wenig Einsicht: „Why Try to Change Me Now?“ Trotz eines „Enchanted Evening“ bleibt er auch bei Vollmond allein: „Full Moon And Empty Arms“. Seinen Höhepunkt findet das Album im letzten Titel „That Lucky Old Sun“. Die Nacht ist vorbei, der Hörer ist mit Dylan ans Ende der Reise gelangt. „Show me that river and take me across / Wash all my troubles away”.
Ist das der Trost des Morgens? Auf jeden Fall ist Dylans neue Platte ein Trost für den Hörer, der wirklich noch hören mag.
Bob Dylan: Shadows In The Night, Columbia 2015, ab 11,99 Euro.

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Apropos Dylan: Für alle, die sich (noch) einmal näher mit dem alten Herrn befassen möchten, folgt hier eine – natürlich streng subjektive – Auswahl der bemerkenswertesten Dylan-Songs überhaupt. Vielleicht hat der eine oder die andere ja doch einen iPod …
Blind Willie McTell (aus „The Bootleg Series Vol. 3“, 1991): Erstaunlich ist, dass Dylan den Song nach der Aufnahme am 05.05.1983 nicht veröffentlichen wollte und dieses Meisterwerk erst im Rahmen der inzwischen auf 11 Teile angewachsenen Bootleg Serie das Ohr der Welt erreichte. Selten hat Dylan bewegender gesungen und auf dem Klavier gespielt. An der Gitarre wird er kongenial von Mark Knopfler unterstützt.
Mississippi (aus „The Bootleg Series Vol. 8“, CD 1, 2008): Es gibt kaum andere Lieder, die nur mit einer Gitarre einen solchen Rhythmus entfachen. Und die Sätze „I have been in trouble since I set my suitcase down“ und „Only one thing I did wrong: / stayed in Mississippi a day too long“ sind ja vielleicht doch literaturnobelpreisverdächtig.
Like A Rolling Stone (aus „Highway 61 Revisited“, 1965): Ist ein wirklich bahnbrechendes Stück und wurde nicht zu Unrecht vom Rolling Stone zum besten Song aller Zeiten gekürt.
Tangled Up In Blue (aus „Blood On The Tracks“, 1974): Die perfekte Eröffnung eines wunderbaren Albums, mit dem Dylan offensichtlich seine Scheidung verarbeitete.
Most Of The Time (aus „Oh Mercy“, 1989): Dylan singt mit einer Stimme, die tief aus seinem Körper kommt und beim Hörer auch irgendwo tief dort landet.
Shooting Star (aus „Oh Mercy“, 1989): Selten einen so romantischen Dylan gehört – „Seen a shooting star tonight and I thought of you.“
Shelter From The Storm (aus „Blood on The Tracks“, 1974): Weil wir uns gerade das in dieser verrückten Welt wünschen.
Not Dark Yet (aus „Time out of Mind“, 1997): Wie schön wäre es gewesen, wenn Sinatra dieses Lied einmal gesungen hätte.
Every Grain of Sand (aus „Shot of Love“, 1981): In seiner christlichen Phase hat Dylan nie ein besseres Lied geschrieben.
Spirit On The Water (aus „Modern Times“, 2006): Damit zeigte er schon vor neun Jahren die Gelassenheit, die das Alter im günstigen Fall mit sich bringen kann.
Und das beste Cover: You Ain‘t Going Nowhere (aus „The 30th Anniversary Concert Celebration“, 1993), gesungen von Mary Chapin Carpenter, Rosanne Cash und Shawn Colvin; endlich mal ein Gute-Laune-Dylan und überhaupt – Johnny Cash sagt den Song an.

Wolfgang Hochwald war jahrzehntelang als Personalmanager in der Finanzdienstleistungsbranche tätig und ist nun im Vorruhestand. Der Autor lebt in Köln.