18. Jahrgang | Nummer 6 | 16. März 2015

Deutsche Gesänge

von Holger Sudau

Sollte man in der jetzigen Zeit überhaupt noch über deutsche Musik schreiben, sich darüber Gedanken machen und eventuell gar rezensorisch tätig werden? In welche Ecke wird man gestellt, wenn Kritiken negativ ausfallen? In welche, wenn Lob aus dem PC fließt? Wegen all der Pegida-, Lolida- und Dummbida-Vereine und ihrer willfährigen Lügenpresse kommt ein kritisches (wohlwollendes) Wort zur rechten (sic!) Zeit rasch arg in Verruf. Nun denn, ich wage es trotzdem und präsentiere hier den neuesten Singsang aus deutschen Landen.
Da wäre zunächst die Band, die im Moment neben Die toten Crackhuren im Kofferraum den schönsten Gruppennamen ihr Eigen nennen: Feine Sahne Fischfilet. Gerade in diesen Tagen überrascht die Combo ihre stetig größer werdende Fangemeinde mit einem in allen Belangen kräftig eingespielten Album. Ihre Musik bleibt, wie sie bisher schon war: Nicht modern, verdammt punkrockig und zum Abhängen und sich wild Gebärden bestens geeignet. Ska klingt aus den Liedern und Punk der ersten Stunde, dreckig, roh und grob gezimmert. Als die Fischfilets ihr erstes Album „Backstage mit Freunden“ herausbrachten, hatten sie auch gleich den Verfassungsschutz auf dem Hals. Dieser verdammt falsche Verein, der immer noch die rechte Szene verharmlost, wollte in dem Werk einen Aufruf zur Gewalt sehen und schaltete die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ein. Die norddeutschen Musiker ließen sich aber davon nicht entmutigen, kämpfen bis auf den heutigen Tag gegen Nazis und leben den Antifaschismus, speziell in ihrer Heimat. Gut im Übrigen, dass sie nicht in Sachsen wohnen. Im mittlerweile vierten Album „Bleiben und gehen“ hat das Sextett einen gewaltigen Schritt nach vorn gemacht. Die Musik bläst die Ohren frei, stampft die ganze rechte Schei… tief in den Boden und überzeugt mit intelligenten Texten, die gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen den jetzigen Polizeistaat („Polizisten sein heißt, dass Menschen mit Meinungen Feinde sind / Ihr verprügelt gerade wieder Kinder, als wär`n es eure eigenen“), gegen aufkeimenden Faschismus, aber für Gerechtigkeit und Freiheit sind. Feine Sahne Fischfilets Rotzpunkpop ist so gut, dass sie deswegen in diesem Jahr noch bei „Rock am Ring“ (Das Festival ist ausverkauft!) über die Bühne springen dürfen.
Ähnliches „Gebimmsel“ präsentieren Dritte Wahl aus Rostock, deren Album „Geblitzdingst“ noch härter, radialer und intensiver in die Köpfe der Hörer eindringt. Obwohl seit 2010 ein Keyboarder das Ensemble verstärkt, klingt alles nach einer Mischung aus Punk, Metal und deftigem Rock. Neben einigen Songs, die sogar nach Hardcore duften und während eines Wutanfalls entstanden sein könnten – . Wut wie der Song „Teufel und Dämonen“, der die Ungerechtigkeiten von Kriegen beschreibt und allen noch einmal ins Gedächtnis hämmert, dass Kriege, wie jetzt in der Ukraine oder vor Jahren der von SPD und Grünen mitgetragene in Jugoslawien, von Politikern und Militärs gemacht werden. Sänger, Gitarrist, Texter und Komponist Gunnar Schröder meint dazu: „Die Unzufriedenheit ist die Triebfeder des Menschen, doch sie verursacht auch sein Unglück.“ Musikalisches Neuland betreten Dritte Wahl mit „Stillstehen“, einem Song, der an die wenigen guten Titel der Neuen Deutschen Welle aus den 80er Jahren erinnert. Schließlich wären da noch der zum Mitgrölen auffordernde Titelsong „Geblitzdingst“ und die Gutelaunemelodie „Zu wahr, um schön zu sein“, die mit einem Banjo überrascht und sogar balladeske Elemente präsentiert. Geiler Stoff und erste Wahl.
Und dann rutschte irgendwie noch das zweite Album „Kein Abschied“ des Trios Prag in meinen Player und wollte ebenfalls gleich besprochen werden. Prag – das sind Erik Lautenschläger, Tom Krimi und die Schauspielerin Nora Tschirner, die einmal im Jahr durch das Provinznest Weimar kaspert, um in einem „Tatort“ mitzuspielen. Doch musikalisch ist sie sehr schön unaufgeregt und mehr im Hintergrund agierend. Da gibt es allerliebst klingende Liedchen, die mit großer Orchestrierung an alte Kinofilme erinnern und überhaupt nicht mit dem ganzen deutschen Schlagerpop à la Oerdingbenzkocluesobourani zu vergleichen sind. Es ist mehr so Pop mit, äh …, Seele. Vieles ist sentimental und verschroben gehalten. Prag lässt den Sound aus den Boxen plätschern, nörgelt glasklar den Text dazu, und der berichtet über Narben, dunkle Wege, letzte Häuser und einsame Spaziergängerinnen. Prag muss man nicht nur sehen, man kann es auch hören.

Feine Sahne Fischfilet: „Bleiben oder gehen“, Audiolith 2014, 14,99 Euro.
Dritte Wahl: „Geblitzdingst“, Indigo 2014, 14,99 Euro.
Prag: „Kein Abschied“, Tynska Records 2015, 14,99 Euro.