18. Jahrgang | Nummer 2 | 19. Januar 2015

Das ist der Ball der Opfer und der Täter

von Eckhard Mieder

Es tanzt der Staatsmann mit dem Hochverräter.

Die mit den Orden und die fast im Koma
Verschweigen in den Akten ihre Oma.

Die dekolletierte Staatsschauspielerin
Zeigt ihre Brüste und ihr Doppelkinn.

Der Sekt ist warm und falsch der Kaviar,
Es leidet wer, der einst ein Henker war.

Dies Land, dies Land, dies Land, es war ein Lager
Singt jemand seinen allerneusten Schlager.

Das ist der Ball der Opfer und der Täter:
Es tanzt der Stiefel mit dem Fußabtreter.

Dann läuft für alle ein Kulturprogramm:
Zehn Literaten wälzen sich im Schlamm.

Zehn Professoren aus Neandertal
Stelln sich der Ich-bin’s-nicht-gewesen-Wahl.

Es hat ein jeder nur seine Pflicht erfüllt:
So halb als Jäger und so halb als Wild.

1989/1997

Aus –„Untergang der Estonia“.
Es handelte sich beim Untergang der „Estonia“ um das größte Schiffsunglück der europäischen Nachkriegsgeschichte. „Es beunruhigte mich, wie mich der Übergang vom irreal existierenden Sozialismus in den real existierenden Kapitalismus beunruhigte. Es beunruhigte und verunsicherte mich. Ein Schiffsunglück ist ein Fakt, an dem es nichts zu deuteln gibt. Ein Systemwechsel ist ein Fakt, an dem viele herumdoktern können. Und es auch tun. Beide, Schiff und System, zusammenzutun, fand ich seit Jahren immerhin nicht unmöglich, um mir, MIR, ein bisschen Klarheit zu verschaffen. So schlimm es ist: In Katastrophen wird die Welt übersichtlicher.“