17. Jahrgang | Nummer 24 | 24. November 2014

Querbeet (XLV)

von Reinhard Wengierek

Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: diesmal Schuch und Strauss und mittenmang ein kaiserliches Kronjuwel.

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Noch ist Richard-Strauss-Jahr, und da muss man nach Dresden! Unbedingt! Hat doch Sempers Hof- und spätere Staatsoper viele der extrem aufwändigen und kostspieligen Werke des Meisters herausgebracht. Vor allem auch seine frühen, als noch unklar war, ob sie ruhmlos versacken in ihren unerhörten Provokationen oder ob sie ruhmreich werden (an Weltruhm war noch nicht zu denken). Trotzdem hatte der sich seines Genies stets bewusste Komponist seine Not mit „den lieben Dräsdnern“. Damit meinte er die Intendanten, die über satte Honorarforderungen die Stirn runzelten, über spezielle Regie- und Besetzungswünsche und über die schon früh keimende meisterliche Idee, Strauss-Festspiele zu veranstalten. Auch war Strauss genervt von der bis heute üblen Praxis der Journaille, vor Premieren skandalheischende Artikel abzusondern.

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Was inzwischen längst anders ist: Überall gibt es Strauss-Festspiele, Strauss-Opern werden auf allen Kontinenten rauf und runter gespielt; die Tantiemen für die Enkel rollen. Auch aus Dresden, wo zum 150. Geburtstag selbstredend Festtage stattfinden. Geblieben jedoch ist die alte Not mit den Regisseuren. Die Antiken-Phantasie „Daphne“ beispielsweise, uraufgeführt unter Karl Böhm 1938, als die Semperoper längst durcharisiert war (eine Gedenktafel der NS-Opfer unter den Künstlern der „Sächsischen Staatstheater“ befindet sich dankenswerter Weise nebenan im Schauspielhaus), dieser „Daphne“ also, handelnd von mythischer Schäfer-Romantik und egomanischer Machtgier des Gottes Apollo, der seiner Daphne die Liebe zum Hirten Leukippos verwehrt, ihn ermordet und das unglückliche Mädel hämisch in einen Lorbeerbaum verwandelt, diesem tragisch grundiertem Naturidyll stülpte jetzt Regisseur Torsten Fischer Szenen der Tragödie von Hans und Sophie Scholl über, also die Gewaltherrschaft der gestiefelten Nazi-Schergen. Das mag zwar gut und nicht unrichtig gemeint sein, kommt aber nur wenig überzeugend über die Rampe. – Anderntags „Arabella“, eine böse realistische, ziemlich sozialkritische Geschichte um Liebe und Geldheirat in verarmten Adelskreisen um 1900. Dieser sentimental-sarkastischen Story klebt Regisseurin Florentine Klepper arg störende surreale Bildchen auf. Firlefanz!
Soweit die ewigen Sorgen mit den Regisseuren.
Was jedoch ebenfalls gleich geblieben ist – und jetzt kommt’s! –, das ist der einzigartige, seit jeher tief bewunderte und gefeierte Orchesterglanz, vor dem durch die Jahrzehnte hindurch sämtliche Dirigenten auf den Knien lagen. Die Sächsische Staatskapelle ist, wie Strauss nebst nächstem Hausgottvater Wagner, ein Weltstar! Was bei „Daphne“ unter Omer Meir Wellber oder „Arabella“ unter Chefdirigent Christian Thielemann unüberhörbar war. Die Fachkritik im Delirium des so unsäglich feinen oder wuchtigen, lax gesagt eben grandiosen Klangs. Wobei anzumerken ist: In „Arabella“ trat – arabellissimo! – ein Traumpaar des Gesangs an: Anja Harteros und Thomas Hampson. Dirigent, Kapelle, Publikum waren aus dem Häuschen.

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2014 ist aber auch Schuch-Jahr! Ernst Edler von Schuch, geboren 1846 in Graz, gestorben am 10. Mai 1914 in Dresden, war der schon zu Lebzeiten legendäre Generalmusikdirektor der Königlichen Hofoper zu Dresden. Unglaubliche vier Jahrzehnte lang, von 1872 bis zum Tod. Ein Gott seiner Zeit. Unerschütterlich fixiert auf ein Haus, das seins wurde: die Dresdner Oper. Mit sagenhaftem Einsatz für die Moderne mit 120 Ur- und Erstaufführungen in Oper und Konzert, Strauss widmete der Kapelle seine „Alpensinfonie“; als mutiger Förderer von Mahler und Bruckner, Verdi und Puccini und natürlich Strauss. Ohne ihn hätte es die massenhaften Strauss-Uraufführungen (man stürzte in Sonderzügen an die Elbe) in Oper wie Konzert wohl nicht gegeben.
„Mein liebster Schuch, wenn Sie (!!!) nicht wären, könnte mir das ganze Dräsden gestohlen bleiben; Ärger vom Anfang bis zum Ende“, schrieb anno 1910 der eine Meister an den anderen, beide verband eine verständnisinnige Freundschaft.
Und die Kapelle bekam mit Schuch die Perfektion ihres Sounds; den zuvor schon Richard Wagner hingerissen verglich mit einer „Wunderharfe“.

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Den GMD Typ Schuch, immerhin erklärtes Vorbild vom selbst gern durch alle Weltgegenden tourenden Christian Thielemann, den gibt es längst nicht mehr. Seine Kennzeichen: Langfristige, mithin nachhaltig erzieherische Bindung an einen Klangkörper, keine „Fremdgeherei“, also kaum auswärtige Termine, beständige Präsenz im Haus von früh (Proben) bis abends (Vorstellung). Ausdauernde Einzelproben mit den Solisten und Klanggruppen des Orchesters, dessen langfristige Entwicklung durch Traditionspflege sowie Führung zu neuen Ufern. Dazu das beständig feinfühlige Hegen des kapriziösen Solistenensembles. So erwachsen die berühmten Stimm- und Klangwunder! Natürlich besaß Schuch Richtlinienkompetenz in Besetzungsfragen und Spielplangestaltung; kein Intendant oder wie heute Geschäftsführer konnte ihm da dreinreden. Schuch war Big Boss, basta. Mehrere, den Brei bloß verderbende Bosse, das gab’s damals nicht.
Natürlich, jetzt im Jetset-Zeitalter ist fast alles anders im Opernbetrieb. Dennoch lehrt das Prinzip Schuch, das übertragbar ist auch auf Schauspielhäuser und überhaupt auf Kunstinstitute: Die möglichst dauerhafte Bindung freilich eines genialen Könners führt mit Sicherheit zu dauerhaften Spitzenleistungen.

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„Scheiße, Scheiße, Scheiße“, zischt die noch ziemlich junge Fachkraft mit Piercing in der Nase sowie den ziemlich goldenen Händen. Es ist der Fachrestaurator für Uhren und mechanische Geräte im Kunsthistorischen Museum Wien. Er balanciert vorsichtig ein reisetaschengroßes Segelschiff, golden, mit Segeln aus Perlmutt und mit ballernden Kanonen und trompetenden Soldaten, dessen Einzelteile noch vertrackt klemmen. Es ist ein verrücktes Sinnbild en miniature für den kaiserlichen Führer des Habsburgischen Reichs.

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Toll, wie man da beim Fummeln an solch einer Renaissance-Preziose zuschauen kann. Überhaupt bekommt man in Johannes Holzhausens Dokfilm „Das große Museum“ tiefe Einblicke ins Backstage eines Riesenmuseums. Man ist dabei bei Staatsbesuchen, Auktionen und wissenschaftlich-technischen Untersuchungen (die Exponate wie Patienten auf dem OP-Tisch), bei Visitationen der Depots, beim Prüfen der Mottenfallen, beim Kabelverlegen für LED-Beleuchtungssysteme, bei der Diskussion über den neuen PR-Auftritt mit dem Logo „Kaiserlich“ (zieht noch mehr Besucher an), bei problematischen Aussprachen der Direktion mit den Abteilungsdirektoren (Budget) oder dem Aufsichtspersonal (Missachtung), beim Aufhängen und Abhängen und Auswählen und Einrichten von Sonderausstellungen (im Mittelpunkt: Die Urzelle des Museums, die Kaiserliche Kunstkammer). Wahnsinn! Und erst die stille Hingabe und penible Sorgfalt aller Mitarbeiter. Wissen sie doch alle: Ihr Arbeitsplatz ist einzigartig!
Nicht zuletzt bewundern wir, wie selbstverständlich die Regierung eines vergleichsweise kleinen demokratischen Staats, die so überbordende, kostbare kulturelle Hinterlassenschaft seiner monarchischen Vorgänger pflegt und ausstellt und also begeisternd hoch hält. Und wir lernen, wie ein historisches Museumskonzept ins Heute überführt wird; nicht zuletzt zur festlichen, auch stolzen Selbstdarstellung einer Nation. Felix Austria!