von Clemens Fischer
Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado begann seine berufliche Vita als studierter Ökonom. In Berührung mit Fotografie kam er erst mit Mitte 20 und hängte dafür sehr bald eine aussichtsreiche Karriere bei der Weltbank an den Nagel. In den folgenden Jahrzehnten realisierte er unter anderem gemeinsam mit seiner Frau Lélia konzipierte Langzeitprojekte, die sich in der Regel über Jahre erstreckten, und hat sich weltweit einen Namen gemacht als sozial engagierter Fotograf. Noch ziemlich am Anfang kam ihm der Zufall zu Hilfe: Er war am Ort des Geschehens, als am 30. März 1981 ein psychisch kranker Attentäter auf den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan schoss. Salgados Fotos gingen international durch die Medien und brachten ihm Geld für seine Projekte.
So dokumentierte er in schwarz-weiß den über wiegend archaisch anmutenden Arbeitsalltag körperlich hart arbeitender Menschen rund um den Globus – von Schiffsabwrackern in Bangladesch über Stahlwerker in der Sowjetunion und die internationalen Crews, die nach dem ersten Golfkrieg die von irakischen Truppen auf ihrem Rückzug in Brand gesteckten über 500 Ölquellen löschten, bis zu Goldschürfern in Brasilien. Geradezu Ikonen der modernen Fotografie wurden Aufnahmen der letzteren: 50.000 Menschen ameisengleich in einem riesigen Erdloch, die dort ohne jede Maschinenkraft den Boden aufkratzen und ihn in mit Stirnbändern fixierten Säcken über abenteuerliche Kaskaden hölzerner Leitern aus der Grube transportieren.
Über den Rand seiner Kräfte hinaus brachten Salgado die Dokumentation von Flüchtlingselend und dem damit verbundenen Tod von Menschen auf verschiedenen Kontinenten und insbesondere seine Begegnungen mit humanitären Katastrophen wie in Ruanda beim Genozid an den Tutsi und der anschließenden Flucht von Hutu nach dem Kongo, bei der ebenfalls Hunderttausende starben. Er konnte seine sozialdokumentarische Arbeit danach nicht mehr fortsetzen, denn ihm war sein Glauben an die Menschen – „das Salz der Erde“ – verloren gegangen.
Kürzlich sprach er darüber in einem Spiegel-Interview:
„Salgado: Es hat Momente in meinem Leben gegeben – beim Irakkrieg, im ehemaligen Jugoslawien, vor allem in Ruanda, Kongo oder Burundi –, in denen ich unvorstellbare Brutalität erlebt habe. Mehr und mehr bekam ich Gewissheit, dass uns Menschen ein großer Fehler unterlaufen ist. Immer wieder wird uns erklärt, dass wir einander lieben sollen: Wir stellen Regeln auf für ein Gemeinwesen. Sokrates, Platon, Sie wissen schon. Ich glaube inzwischen, dass da der Fehler liegt. Ich glaube inzwischen, unsere wahre Bestimmung ist es, dass wir uns bewaffnen. Und dass wir uns gegenseitig töten bis zum Ende.
Spiegel: Wirklich? Dann wäre alles hoffnungslos. Dann können wir hier im Grunde aufhören, uns zu unterhalten.
Salgado: Dieses Wissen über uns Menschen, das ich durch mein Leben als Fotograf erlangt habe – ich sage Ihnen, dieses Wissen ist kaum auszuhalten. Ich habe den Glauben an uns verloren.“
Seine Fotos von den von ihm genannten Orten zeigen teilweise die reine Apokalypse und erinnern an Aufnahmen, wie die Alliierten sie im Zweiten Weltkrieg nach der Befreiung deutscher KZs gemacht haben.
Salgado ging Mitte der 1990er Jahre nach Brasilien zurück, und seine Frau hatte die Idee, auf der nach Kahlschlag und landwirtschaftlicher Übernutzung völlig verödeten Farm seiner verstorbenen Eltern den ursprünglichen Regenwald wieder aufzuforsten. Das ist auf einer mehrere hundert Hektar umfassenden Fläche gelungen, die inzwischen Nationalpark ist und wo zur Regenwaldregeneration geforscht wird. Salgado erwuchs daraus die Idee und die Kraft für ein weiteres Langzeitprojekt – „Genesis“: Über acht Jahre dokumentierte er die letzten Naturräume – Wüsten, Meere, Urwälder –, die der Zugriff unserer Zivilisation noch nicht verändert hat, sowie die Menschen und Tiere, die in ihnen leben.
Jetzt hat der Filmemacher Wim Wenders zusammen mit Salgados ältestem Sohn, Juliano Ribeiro Salgado, diesem Ausnahmekünstler eine kongeniale Hommage gewidmet.
Seit die Rubrik „Film ab“ im Blättchen besteht, hat der Autor es vermieden, „Prädikate“ zu vergeben, und das soll auch so bleiben. Aber Wenders Film fällt dermaßen aus dem Rahmen, dass die Ausnahme von der Regel hier einfach fällig ist: Diesen Film – unbedingt ansehen! Und möglichst im Kino, denn Salgados Fotos und Wenders Bilder erheischen die Größe der Leinwand, um ihre volle Wucht zu entfalten.
„Das Salz der Erde“, Regie: Wim Wenders und Juliano Ribeiro Salgado. Jetzt in den Kinos.
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Wer apokalyptische Endzeitschnurren mit Happyend mag, die überdies mit einem Touch von philosophischem Tiefgang übertüncht sind, der dürfte bei diesem Hollywood-Streifen ganz besonders auf seine Kosten kommen.
Science Fiction-Freaks, die mehr auf Action à la „Armageddon“ gepolt sind, sollten vielleicht vom größten Los Popcorn, den ihr Lichtspielhaus anzubieten hat, eher drei als nur eine Ladung mit in den Vorführsaal nehmen, denn sie werden bei den überreichlichen „philosophischen“ Passagen des knapp dreistündigen Epos genügend Zeit haben zum Verzehr, ohne den in Sachen Audiospur dann eintretenden Hörverlust infolge Kau-Radau als störend zu empfinden. Entschädigt werden sie auf jeden Fall durch opulente, spektakuläre Szenen aus dem tiefen All sowie aus fremden Welten jenseits unserer Galaxis, inklusive cineastischer Erstbegehung eines Schwarzen Loches, die den Vergleich mit „Gravity“ nicht zu scheuen brauchen.
Vor allem aber wird, wer weiland im Physikunterricht – gleich dem Autor – die Relativitätstheorie nicht wirklich verstanden hat, insbesondere nicht das Phänomen, dass bei Fortbewegung mit Lichtgeschwindigkeit sich die Zeit für den Reisenden so ungemein verkürzt, dass er sehr viel jünger zurückkehrt, als sein beim Start zurückgebliebener altersgleicher Zeitgenosse, der ihn wieder in Empfang nimmt, durch diesen Streifen, was die Theorie anbetrifft, zwar auch nicht mehr Durchblick gewinnen, aber ihm wird zumindest ein Gefühl dafür vermittelt, welche familiären Probleme diesem Phänomen entspringen, wenn Papa zu lange draußen bleibt.
Da es sich um Entertainment handelt, ist auch die zentrale Hypothese des Films nicht wirklich störend, dass nächst Zeit als vierter und Gravitation als möglicherweise fünfter Dimension Liebe nicht nur die sechste, sondern die alles beherrschende sein könnte – neben psychischen und physischen auch mit physikalischen Wirkungen ausgestattet. Und selbst an den über das Ende des Films hinaus offenen Fragen, ob denn nun Extraterrestrische am Werk waren oder nicht, und, wenn nicht, wer dann das Wurmloch nahe Saturn angelegt hat, durch das der Sprung ans andere Ende der Galaxis gelingt, reiben sich allenfalls restlos Verwirrte, die aus der scheinbaren (und höchst beeindruckenden) Realität der Bilder den Fehlschluss ziehen, sie hätten einem Dokumentarfilm beigewohnt.
„Interstellar“, Regie: Christopher Nolan; derzeit in den Kinos.
Schlagwörter: Christopher Nolan, Clemens Fischer, Sebastião Salgado, Wim Wenders