von Renate Hoffmann
„Recipe!“ (Nimm!) – Aufforderung des Arztes an den Apotheker. Als Patient versäume man jedoch nicht, beide nach den Risiken und Nebenwirkungen der Verordnung zu fragen.
Im Hof des Heidelberger Schlosses brandet der Touristenstrom. Im Deutschen Apotheken-Museum, untergebracht in drei Gebäudeteilen des mächtigen Bauwerkes, ebbt er ab. Wissenswertes aus 2.000 Jahren der Heilkunst erwartet den Neugierigen. Cosmas und Damian, die Schutzheiligen der Ärzte und Apotheker, übernehmen die Einstimmung. Cosmas hält ein „Harnschauglas“ in der Hand. Die Beschaffenheit des Urins galt lange Zeit als Grundlage einer Diagnosefindung. Man prüfte Geruch, Aussehen (Farbe, Trübung) und Geschmack (!). Damians Beigaben, Reibschale und Salbenspatel, kennzeichnen zwei der Tätigkeiten des Apothekers: Zerkleinern der Zutaten und mischen zum Wohle des Kranken.
So alt die Menschheit – so alt das Bestreben, zu heilen. Man erfährt vom Wissensschatz der Antike und den Einflüssen der arabisch-islamischen Heilkunde. Im christlichen Abendland übernehmen Klöster, zu Nutz und Frommen der Patienten, die damals bekannten Methoden. Der Apothekerstand, in den Städten herausgebildet, bedient sich ihrer und entwickelt sie weiter. – Seine Offizin, die „Werkstatt“, einzurichten und zu führen, bedarf es allerdings einer Erlaubnis. Und der hohen Verantwortung wegen, bestand man auf einem Schwur des Betreibers. Im „Nürnberger Apothekereid“, vorgegeben um 1350, heißt es dazu: „Es soll ein jeder Apotheker schwören, daß er Armen und Reichen, ohne sie zu gefährden, […] in jedem Falle das anfertigen soll, was man ihm mündlich empfohlen oder aufgeschrieben hat. […] Für seine Arbeit möge er ein solches Entgelt nehmen, daß er nach seinem Gewissen zeitgemäßen und bescheidenen Gewinn zu seiner Kost, Nahrung und Arbeit hat.“
Die Offizin. Ein Ort, an dem sich Kenntnis und Kunstsinn begegneten. Weitgreifend angelegt, barock geschwungen, in Hellgrün und Gold gefasst, die Regale mit kostbaren Gläsern und Gefäßen bestellt, in denen Rohstoffe (Simplicia) und fertige Arzneien (Composita) vorrätig waren: Die Apothekeneinrichtung des Benediktinerklosters Schwarzach (Baden / Rheinmünster) um 1724. Auf dem eichenen Rezepturtisch fertigte man – ohne den Heilungssuchenden zu gefährden, (siehe oben) – Pulver, Pillen, Mixturen, Salben, heilsame Tees, Abführ- und Aufbau-, anregende und beruhigende Mittel und manch‘ pharmazeutisches Gebräu an. Aesculap und Hygieia, als Statuetten anwesend, überwachen mit aufmerksamen Blicken das Geschehen.
Biedermeierlich, aus rotem Kirschbaumholz gefertigt und dem Auge wohlgefällig, präsentiert sich die „Apotheke zur Krone“ aus Ulm. Cristoph Jacob Faulhaber, der Besitzer, vereinte guten Geschmack und fortschrittlich-wissenschaftliches Denken. Er ließ die Regale in Fächer unterteilen, ordnungsgemäß beschriften und verschließen. Dahinter verbargen sich die Standgefäße, ebenfalls exakt gekennzeichnet. Demnach eine doppelte Buchführung, die Verwechslungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschloss. Diese Art der Aufbewahrung bot auch Schutz vor Lichteinfluss, Austrocknung und unerwünschtem Kleingetier, welches die Gerüche all der Samen, Blüten, Blätter, Wurzeln unwiderstehlich anzogen.
Um aus den pflanzlichen, tierischen und mineralischen Rohstoffen der Natur eine heilende „Arzeney“ zu bereiten, benötigt man fundiertes Wissen. Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770 – 1837), „Professor der Chemie auf der Universität zu Erfurt und Apotheker daselbst“, dachte darüber nach und gab das „Journal der Pharmacie für Ärzte, Apotheker und Chemisten“ heraus. Nunmehr erste wissenschaftliche Zeitschrift, die der pharmazeutischen Forschung diente.
Exkurs: Johann Trommsdorff, wack‘rer Mann, legt sich mit Napoleon an.
Der Potentat fragt bei seinem Besuch in Erfurt 1807 den bedeutenden Pharmazeuten, wen er für den größten Chemiker der Gegenwart halte. Trommsdorff weicht aus. Napoleon fragt eindringlich nach. Trommsdorff antwortet nun frei heraus: „Die Chemie hat keinen großen Kopf mehr, seit Lavoisier den seinigen verlor!“ (A. L. Lavoisier, französischer Chemiker, 1794 unter der Guillotine zu Tode gekommen.) Napoleon fühlt sich brüskiert und bricht das Gespräch unvermittelt ab.
„Die ganze Welt ein Apotheken“, schreibt Paracelsus (1493/94 – 1541). Ich schaue mich darin um. Mehr als tausend Rohstoffe enthält die Sammlung des Museums. Bekannte, vergessene, dubiose, bodenständige, fremdländische. Über ihre Herkunft, Wirkung und Anwendung wird Auskunft gegeben. Zeitgenössische Abbildungen und wertvolle Standgefäße runden das Bild. Salbei, Weißdorn und Lindenblüten, Fenchel und Thymian; Chinarinde, Zimt und Opium – das „göttliche Medikament“. Und Semen cacao, die anregende Kakaobohne. Viele Jahre war sie ausschließlich in Apotheken erhältlich, denn sie galt als Arzneimittel. Verständlich, wenn man von ihrem Wirkungsspektrum erfährt. Aus einem Arzneibuch von 1685: „Sie nutzt für den kalten Magen, die Brust, den Husten, das Geräusper und den Schwindel. So soll sie auch den Lebensbalsam und die Venusbegierde vortrefflich stärken […]“
Alles übertreffend in Zusammensetzung und Heilkraft scheint jedoch das Universalmittel „Theriak“ gewesen zu sein.
Exkurs: „Theriaca, wie man spricht, hilft unverzüglich (oder nicht).“ Die Mixtur kannte man bereits in der Antike und schwor auf sie zur Stärkung der Lebensgeister sowie gegen Schlangenbiss und Gifte aller Art. Die Kaiser Nero und Marcus Aurelius nahmen sie ein (sie wussten schon, weshalb). Späterhin soll sich Theriak als hilfreich bei Cholera, Pestilenz und Syphilis erwiesen haben. – Ursprünglich eine einfache Kräutermischung, kamen beständig andere Inhaltsstoffe hinzu. Die Zusammensetzung stieg auf 54 Ingredienzien an und in der Folge weit darüber hinaus. Galenos (129/31 – vermutlich nach 204) empfahl das Beimengen von Vipernfleisch; und Quacksalber sollen angeblich die magische Wirkung durch Zugabe von „Menschenfett“ erhöht haben. Um die Kurpfuscherei zu beenden, erschien 1882 in der „Pharmacopoea Germanica Ed. I“ die verbindliche Rezeptur, sie ist wesentlich appetitlicher und enthält neben anderem: Spanischen Wein, Angelika- und Baldrianwurzel, Opium, Zimt, Kardamom, Myrrhe und „72 Teile gereinigten Honig“. (Das entspricht einem bekömmlichen Getränk nach dem Festessen.)
Die Kräuter- und Materialkammer war der Ort zur Vorratshaltung und Aufbereitung in der Apotheke. Große Gefäße stehen bereit und kleine Spanschachteln. In einem gefächerten Regal tragen die unteren Reihen drei weiße Kreuze. Achtung! Stark wirkende Inhalte! Mörser und Reibschalen, Schneidebretter, Waagen – man wähnt sich in einem Küchentrakt und meint, bei nötiger Stille, das Stampfen, Schneiden, Knirschen und Schaben zu hören.
Sind die Rohstoffe fachgerecht vorbereitet, dann übernimmt das Labor die Endfertigung. Es ist im „Apothekerturm“, einem Teilstück der ehemaligen Schlossbefestigung eingerichtet. Stufen führen hinab. Ich befinde mich inmitten arbeitstechnischer Abläufe von der Alchemie bis zur pharmazeutischen Chemie. Gerätschaften zum Destillieren, Sieben, Filtrieren und Zentrifugieren machen die Methoden anschaulich. Was wäre das „Aqua vitae“, das Lebenswasser, ohne den Destillations-Apparat oder die sterile Impföse zur Übertragung von Material auf (in) Nährmedien ohne den Bunsen(Gas)-Brenner? Letzterer wurde vom Chemiker Robert Bunsen (1811 – 1899) während seiner Heidelberger Lehrtätigkeit wesentlich verbessert und in die Laborarbeit eingeführt? – Prüfvorrichtungen, Laborgefäße, Analysenwaagen. Ein Reich des wissenschaftlichen Experimentes und seiner Erfolge.
Die Apotheke soll weithin sichtbar sein, wenn der Hilfesuchende dringend ein Mittel gegen Diarrhoe oder Migräne benötigt. Bis zum einheitlichen Symbol, dem roten gotischen „A“ mit Standschale und Schlange, war die Kennzeichnung der wichtigen Instanz offen für Fantasie und freie Gestaltung. Apothekenschilder aus der Frühzeit, reich bebildert und beschriftet: „Mein größte Lust ist, daß ich fein / Einsammle Kraut und Blümelein […]“, lässt Adrianus Friedericus Jungius, „Pharmacopoeus“, seine Kundschaft 1696 wissen. – Von den einfallsreich gestalteten Löwen-, Adler- und Elefanten-Wahrzeichen bis zum nüchternen Entwurf der Bauhaus-Periode (Arzneiflasche und drei Löffel) lässt sich auch diese Entwicklung verfolgen.
Mit einem hübschen Döschen Apothekerpfefferminzpastillen aus dem Museumsladen in der Tasche beende ich den Gang durch die Geschichte der Pharmazie.
Deutsches Apotheken-Museum. Im Heidelberger Schloss, 69117 Heidelberg. Öffnungszeiten: April-Oktober: täglich 10:00-18:00 Uhr; November-März: täglich 10:00-17:30 Uhr.
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