17. Jahrgang | Nummer 12 | 9. Juni 2014

Fragezeichen und dreckige Spiegel

von Thomas Behlert

Einer der vielseitigsten Künstler ist wohl Tomi Ungerer. Er zeichnet ganz hervorragend, malt wunderbar, illustriert Bücher mit Schwung und guter Laune und beschäftigt sich mit Werbegrafik, die dann auch noch intelligent wird. Der 1931 in Straßburg geborene Ungerer lernte Mitte der 1950er Jahre in New York wie man richtig Stift und Pinsel hält und ging dann seinen Weg bis in den Olymp der Grafiker. Seit 2007 gibt es in seiner Heimatstadt gar ein Museum über ihn und die Kunstpreise in der Welt sind schon gar nicht mehr zählbar. Die bekommt der Meister auch immer wieder für seine Kinderbilderbücher, die mit „Crictor“ (1963), „Die Drei Räuber“ (1963), „Kein Kuß für Mutter“ (1974) heute alle schlauen Eltern an eine schöne Zeit erinnern und bei den Kindern diese geradezu herauf beschwören. Neben den eigenen getexteten und bebilderten Werken gibt es auch unerhört geniale Illustrationen zu J.P. Hebels „Der Bauer und der Esel“ und Goethes „Der Zauberlehrling“. Weiter ging es dann mit „Der Flache Franz“, einer Geschichte von Jeff Brown, und der mutigen Autobiographie vom Teddybären „Otto“ (1999). In diesem Jahr soll es nun ein recht schmales Büchlein über das Fragezeichen sein. Schon im Titel „Na so was?“ präsentiert Ungerer dieses nett geschwungene Zeichen in all seiner Ausführlichkeit. Jede Seite präsentiert ein buntes Bild, das mit verdammt kräftigen Farben jeweils zum Höhepunkt gemalt wurde. Da steht die Frage für alle Neureiche im Raum: „Woher weiß man, ob ein Rolls-Royce hungrig ist?“ Ja, lieber Tomi Ungerer, Sie stellen so sinnvolle Fragen, dass die Kinder dann bestimmt eine längere Zeit beschäftigt sind. Wie der sinnfreie Fragesatz: „Wenn zwei Hunde von Ichtratzheim nach Spitzvogelnestberg sechs Stunden brauchen, was wurde aus dem dritten Hund?“ Ja, du liebe Zeit, was ist denn mit dem dritten Hund? Sollen wir den Tierschutzverein einschalten oder schnell weiter blättern? Auf dem Bild sind nur zwei springende und hechelnde Hunde zu bewundern, die bestimmt auf der Strecke sind und als Ohren kräftige Fragezeichen besitzen. Wenn der begeisterte „Bilderstürmer“ dem Kinde die Frage gestellt hat und es nach Antworten suchen lässt, kann die Suche noch nach den Fragezeichen fortgesetzt werden. Oft ist es leicht zu entdecken, dann wieder hat es sich in der hochgesteckten Frisur versteckt, in einer wundervollen Krone oder gar am Ende eines Bootes, das in Richtung Horizont und der Frage „Wer braucht Antworten auf blöde Fragen?“ entgegen schippert. Das Buch „Na, so was?“ hat leider nur 30 Seiten, kann aber das Kind mindestens 30 Minuten aus dem Verkehr ziehen. Ist das nicht schön?
Und in dieser halben Stunde müssen sich die Eltern das neu aufgelegte Buch „Babylon“, ebenfalls von Tomi Ungerer, zu Gemüte führen. Endlich gibt es diesen provokanten und schockierenden Band wieder, der manch Elternteil die Sorgenfalten auf die Stirn zaubert. Genau sollten Mann und Frau schon hinsehen, denn dann entdecken sie den ekligen Vermieter, den bescheuerten, nur noch Arsch tragenden, Chef oder eben den Politiker, der wieder versucht, in den Allerwertesten des Vorgesetzten zu kriechen. Ungerers Menschen tragen keine Gesichter, sondern zwei riesige Backen zur Schau. Die Brüste zerlaufen auf das schauerlichste und Sex findet nur in kleinen Kammern ohne Durchblick statt. „Babylon“ ist ein starkes Stück Zeitgeschichte voller menschlicher Wesen, die oft pervers sind und dem deutschen Lande Seite für Seite den dreckigen Spiegel vorhalten.

Tomi Ungerer: Babylon, Diogenes Verlag Zürich, 1979 / 2014, 172 Seiten, 29,90 Euro.
Tomi Ungerer: Na so was?, Diogenes Verlag Zürich, 2014 , 30 Seiten, 14,90 Euro, für Kinder ab 4 Jahren.