17. Jahrgang | Nummer 11 | 26. Mai 2014

Botschaft aus Mainz

von Heerke Hummel

In allen Teilen der Gesellschaft gärt es infolge einer tiefen Unzufriedenheit mit der weltweiten neoliberalen Politik und Ökonomie; auch in christlichen Kreisen. Von dort geht seit kurzem eine „Mainzer Botschaft der Ökumenischen Versammlung 2014“ aus. Ihr Thema: „Die Zukunft, die wir meinen – Leben statt Zerstörung“.
2013 rief die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) zu einem auf sieben Jahre angesetzten „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“ auf. Davon ermutigt fanden sich in Mainz Anfang Mai dieses Jahres mehr als 500 engagierte Menschen aus Österreich, der Schweiz, Deutschland und anderen Ländern, darunter viele Expertinnen und Experten, zusammen, um in Workshops, Vorträgen und Diskussionsforen aktuelle Probleme der kapitalistischen Wirtschafts- und Lebensweise zu erörtern. „Mit Papst Franziskus“, heißt es in ihrer über das Internet verbreiteten Botschaft, „sind wir der Meinung: ‚Diese Wirtschaft tötet‘. Wir suchen eine ‚Ökonomie des Lebens‘.“
Die Botschaft beleuchtet zunächst „Aspekte von Gerechtigkeit heute“ und reklamiert
– eine weltweite solidarische Sicherung der Grundbedürfnisse eines jeden Menschen,
– eine Angleichung von Einkommen und Vermögen,
– einen für die heutige und zukünftige Generation gerechten Zugang zu den Ressourcen,
– eine Geldschöpfung in öffentlicher Hand nach demokratisch gefassten Regeln.
Um der zerstörerischen Spirale der Gewalt zu begegnen, setzen sich die Teilnehmer der Mainzer Versammlung ein
– für einen sofortigen Stopp von Rüstungsexporten,
– für einen Militärausstieg in Schritten,
– für die Anerkennung von gewaltfreier Kommunikation und ziviler Konfliktbearbeitung als Lebensmaxime.
Die Menschen, die sich als „Krone der Schöpfung“ verstanden haben, heißt es in der Botschaft, seien zur Krone der Erschöpfung der Welt geworden. Darum werden
– die Abkehr vom Wachstumsdogma,
– das Ende der Ausbeutung der Mitwelt (Natur und Mensch) und
– die Anerkennung der ökologischen Vielfalt der Kulturen
gefordert.
Die ökumenisch-christliche Basisbewegung stehe vor einer Entscheidungssituation, die Jesus vor 2.000 Jahren zum Ausdruck gebracht hat. Der entscheidende Zeitpunkt (Kairos) für eine grundlegende Einsicht zu einem bewussten Handeln sei gekommen. Das aktuelle Zivilisationsmodell stehe sozial, ökologisch und ökonomisch grundsätzlich in Frage – woraus die Feststellung abgeleitet wird: „Frühe jüdische Propheten, Vertreter anderer Weltreligionen und Jesus von Nazareth traten öffentlich auf – so auch wir, weil Gerechtigkeit, Frieden und Ablassen von der Schöpfungszerstörung Anliegen der Menschen-Gemeinschaft sind.“
Das ganze Leben, so die Botschaft, wird von einer kapitalistischen Anhäufungs- und Wachstumslogik beherrscht, die zur „Staatsreligion“ geworden ist. Diese beherrscht unseren Alltagsverstand. Zwar erkennen viele, dass wir Nutznießer des Systems sind, aber wir lassen uns immer noch benutzen, dieses System bereitwillig oder gedankenlos zu legitimieren. Wir machen uns dabei eines Verbrechens gegenüber einem Großteil der Menschheit schuldig. Dieses Verbrechen hat viele Gesichter: Ausbeutung und Missbrauch unserer Mitwelt, soziale Gegensätze, Ausgrenzungsmechanismen, Abwehr schutzsuchender Flüchtlinge, Rüstungsproduktion und bewaffnete Konflikte auch für wirtschaftliches Wachstum, die mit unserem Steuergeld finanziert werden.
Der Realität eines „Guten Lebens“ von Wenigen, müsse die Realität eines „Guten Zusammenleben“ aller Menschen entgegengestellt werden. Dafür sollte die Ökumene die Transformation auf sozialer, ökologischer, ökonomischer und politischer Ebene voranbringen. Man könne dabei auf eine Fülle an biblischen Überlieferungen, aber auch anderer Philosophien und Religionen zurückgreifen. „Das tätige Mitgefühl für die Mitmenschen, die Ehrfurcht vor dem Leben, die Bewahrung und Heilung der Schöpfung, die Gewaltfreiheit, das sind Handlungsansätze für uns, die für eine radikale Veränderung des derzeitigen Zivilisationsmodells sorgen können“, heißt es.
Die Konferenzteilnehmer lehnen die derzeitige „marktkonforme Demokratie“ ab, stattdessen wollen sie eine demokratiekonforme Wirtschaftsweise und das Abschaffen jeglicher oligarchischer Strukturen. In der solidarischen Ökonomie fänden sich die beiden Prinzipien „Kooperation statt Konkurrenz“ und „Sinn statt Gewinn“. Diese, erweitert um die Ideen einer gemeinwohlorientierten Ökonomie, münden in konkreten politischen Forderungen. Die derzeitige private Geldschöpfung müsse in die öffentliche Hand mit demokratisch gefassten Regeln übernommen werden. Jeder Kredit soll an seiner Gemeinwohlorientierung überprüft werden. Das biblische Zins-Verbot und die prophetische Anklage von Nahrungsmittelspekulation seien als konkrete Forderungen zu beachten.
Den Illusionen der kapitalistischen Ökonomie soll mit der Mainzer Botschaft eine konkrete Alternative entgegengestellt werden. Eine dezentral verwaltete solidarische Ökonomie könne neben der Ernährungssouveränität auch die Energiesouveränität durch erneuerbare und nachhaltige Energien erreichen. Vor allem im Hinblick auf die CO2-Reduzierung auf zwei Tonnen pro Person pro Jahr und dem Zwei-Grad-Ziel als Grenze der globalen Klimaerwärmung seien Energiesuffizienz (verantwortungsvoller Verbrauch) und Energiesubsistenz (Selbsterzeugung) wichtig. Daher sei auch eine „industrielle Abrüstung“ vonnöten.
Abgelehnt werden die aktuell diskutierten transatlantischen Freihandels- und Investitions-abkommen TTIP (EU-USA) und CETA (EU-Kanada) Sie müssten durch einen breiten und starken zivilgesellschaftlichen Protest verhindert werden, da sie alle erreichten und noch angestrebten Standards einer Wirtschaft im Dienst des Lebens aushebeln würden. Unterstützt werden daher die zivilgesellschaftlichen Kampagnen, unter anderem des Bündnisses „Unfairhandelbar“, die dazu aufrufen, die Europawahl zur Entscheidung gegen das TTIP und CETA zu nutzen. „Wir brauchen Strukturen, die faires Handeln wirklich ermöglichen und die sich an ökologischen, sozialen und friedensfördernden Bedingungen messen lassen müssen. Wir regen an, dass das Ökumenische Netz in Deutschland einlädt zu einer Strategiekonferenz mit den Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und allen Initiativen, die sich für die große Transformation der Gesellschaft einsetzen“, stellt die Botschaft fest.
Entschieden wird dem militärischen Engagement der Bundesrepublik Deutschland und aller anderen Länder widersprochen. Aus dem Teilnehmerkreis der Ökumenischen Versammlung wurde die Idee zur Bildung einer Arbeitsgruppe eingebracht, die sich aus Fachleuten der zivilen Konfliktbearbeitung, des Entwicklungsdienstes, von Organisationen der alternativen Ökonomie und Ökologie und der Friedensbewegung zusammensetzen soll. Aufgabe wäre, ein Konzept für den Militärausstieg – Friedenssicherung und Schutzverantwortung ohne Militär – zu erarbeiten. Dieses soll zur öffentlichen Diskussion gestellt werden.
Für das Überleben der Menschheit ist es elementar, formulieren die Konferenzteilnehmer, „dass wir unseren Kindern und Enkeln ermöglichen, dass sie das, was sie beim Eintritt in diese Welt mitbringen, weiter entfalten können: ihr urwüchsiges Vertrauen, ihre Neugierde auf die Welt, ihre Freude und Kreativität. Der Wandel von Lebenseinstellungen in unserer Kultur, zu der auch das Bildungswesen gehört, vollzieht sich durch die Begegnung auf Augenhöhe, der Gleichwertigkeit der Meinungen und gegenseitiger Wertschätzung. Damit wird den Kindern der Raum geöffnet, Vielfalt stärker als Chance begreifen zu können. So können sie in achtsamem, vertrauens- und liebevollem Umgang miteinander zu Konsenslösungen kommen. Das ist die kulturelle Voraussetzung für friedlichen, Kriege ausschließenden Umgang miteinander. So leben wir unsere Allverbundenheit in heilsamer Weise. Wir haben uns auf diesen Weg begeben und bitten dabei um die Unterstützung aller gesellschaftlichen Kräfte, die sich für das Überleben der Menschheit engagieren, und bieten allen diesen Kräften unsere Unterstützung an.“
Am Ende ihrer Botschaft sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Versammlung eine konkrete Selbstverpflichtung zu einem persönlichen Aufbruch, zur Teilnahme am sieben Jahre langen Pilgerweg der Ökumene zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung eingegangen. Auch als konfessionell nicht gebundener Beobachter möchte man ihnen dabei viel Erfolg wünschen!