17. Jahrgang | Nummer 2 | 20. Januar 2014

Neues zum „Dritten“ Mann?

von Literat

Man hatte es häufig vermutet, aber nun grenzt die Wahrscheinlichkeit an Gewissheit. Blättchen-Leser wissen mehr und früher, selbst wenn sie das zuvor nicht wussten.
Per Zufall jetzt zum Beispiel dies unvermutete Ergebnis bei der Suche nach dem „Dritten Mann“: „Zum dritten Mann“ – das ist „das Agenten-Cafe’ in Berlin“. Das war mir bislang unbekannt. Doppelte Vorsicht beim Zugang dahin scheint aber angemahnt, folgt man der Empfehlung laut Internet-Anzeige: „Zwar bekommt man im ‚Z 3. M.’ zum Frühstück Leckereien wie Eierspeis von Freilandeiern mit Frischkäse ins Auge. Sie kommt mit steierischem Gourmetschinken und Zwiebeln.“ Da wenden wir uns doch lieber dem dritten Mann zu, zu dem Blättchen-Leser seit längerer Zeit einen Wissensvorsprung haben können: Alexander Rahr.
In den letzten Monaten war das deutsch-russische Verhältnis immer wieder Thema im Blättchen, unter anderem mit Beiträgen von Herbert Bertsch „Über die Russen und über uns“ (15/2012), Karsten D. Voigt „Wertorientierte Außenpolitik statt Besserwisserei“ (26/2012). In der Ausgabe 24/2012 veröffentlichte Alfons Markuske als eine Art Zwischenbilanz einen inhaltsreichen Dialog mit Alexander Rahr: „Russland ignorieren wäre die falsche Strategie“. In Heft 14/2013 wurde dann Andre’ Sikojevs Aufsatz „Deutschland – Russland: Was verbindet, was trennt?“ veröffentlicht. Sikojev schrieb darin mit Kritik an Veröffentlichungen in Zeit und Süddeutscher Zeitung ebenfalls mit Bezug auf unseren Autor: „Alexander Rahr hatte schlicht den Finger in die Wunde gelegt und mit klaren Worten seine Frustration und Unzufriedenheit über den Niedergang und das letztliche Versagen der deutschen Osteuropa- und Russlandpolitik ausgesprochen […] und gefordert: weg von belehrender und ideologischer Erziehungsmission der Deutschen – hin zu einem respektvollen neuen Kennenlernen und einer pragmatischen Verantwortungspolitik. Dafür wurde er fast gesteinigt.“
Ab 21. Dezember 2013, dem Weihnachts-Sterntag deutscher Russlandpolitik, erschien nun das Bild von Rahr überall da, wo was abzulichten geht: Denn er ist der dritte Mann, zwischen Chodorkowski und Genscher, auch wenn dies nicht immer angezeigt wurde. Man brauchte ihn aber dringlich, allein schon aus praktischen Gründen als Sprachmittler und Bekanntschaftsvermittler; denn die ausgewiesenen Akteure waren sich nach Presseinformationen erstmals in Berlin begegnet und fanden ohne Beihilfe keine gemeinsame Sprache.
Desto sensationeller das Ereignis. „Jahrelange Geheimverhandlungen haben dies möglich gemacht“, enthüllt SPIEGEL ONLINE; einen Satz später aber auch, dass die Begnadigung dann „überraschend“ kam, wobei es sich aber jedenfalls und wie auch immer um einen „Triumph deutscher Geheimdiplomatie“ handelt, üblicherweise eine zweiseitige Sache.
Rahr habe zusätzlich überdies erklärt, so schreibt SPIEGEL ONLINE ihm zu, „Berlin verfügt über Kanäle, die Briten und Amerikaner nicht haben.“ Nun ist dies genauso gut möglich wie das Gegenteil. Könnte ja auch sein, dass nicht alle „Europäer“ so sehr danach gierten, den seinerzeit nach Jelzin-Recht, aber weniger nach anderen Rechtsauffassungen legal zum reichsten Mann Russlands gewordenen Steuervergeher, als „Messias der Opposition“ gegen Putin aufzunehmen. Zumal nicht als hier lebenden Steuerzahler, sondern, um des juristischen Vorzugs willen nicht direkt aus Russland, sondern aus Deutschland in die Schweiz einreisen zu können. Hat für ihn, aber auch die zeitweilig gastfreundliche Schweiz, offenbar Vorteile, die möglicherweise mit früheren und aktuellen Geldtransfers zu tun haben. Gutes Stichwort!
Wohl noch erinnerlich, als Zypern vor der Pleite stand, oder es so jedenfalls beschrieben wurde. Da gehörte es zum Vokabular auch der Kanzlerin als Begründung für die Ablehnung von Hilfsmaßnahmen, dort haben reiche Russen ihr Geld gebunkert. Und das wollten „wir“ dort doch nicht für diese retten! Also muss es im Fall Chodorkowski wohl um anders zu bewertendes Geld und/oder überhaupt auch noch anderes gehen. Munkelte man da nicht, auch die deutsche „Deutsche Bank“ habe seinerzeit an Finanzmanipulationen mit dem erlauchten Gast und um ihn herum nicht nur interessiert zugesehen?
Sind die deutschen Beziehungen zu Russland wirklich so günstig, dass ein zweimaliges Treffen von Genscher mit Präsident Putin – das eine Mal soll es sich um eine unbeobachtete (!) Begegnung auf dem Flugplatz Tegel im Juni 2012 gehandelt haben, im Anschluss an dessen Antrittsbesuch bei der deutschen Regierung – ausreicht, um Herrn Chodorkowski direkt aus dem Gewahrsam heraus- und herzukriegen: dann Glückwunsch zu solchen von uns dominierten Geheimbeziehungen! Nur, was sind das für Geheimdiplomaten, die dies dann nicht still genießen, sondern ohne Not die Verbündeten im Kampf gegen Putins Selbstherrschaft gleichsam vorführen? Könnte die List der Vernunft vielleicht gerade darin bestehen, dass deren „unbedarfte“, jedenfalls nicht so erfolgreiche Geheimdiplomaten weiter unbelastet eben offizielle Beziehungen zu Russland nutzen, und Deutschland stattdessen den undankbaren Part gewählt hat, Putin auf den Pfad der westlichen Tugenden zu geleiten? Natürlich mit offenem Ergebnis, aber betont eifrig. Nur, was wenn die russische Seite genau das als Ergebnis kalkuliert hat, eventuell mit amerikanischem/britischem Segen? Tue Gutes, aber rede nicht darüber! Wäre mal ein Rat.
„Wenn ich den Namen Genscher schon höre, gehen die Alarmglocken los“, twitterte „optional“ am 21. Dezember. Man könnte da eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen. Müssen Genschers Freunde – zumal auch mit Schweizer Wohnsitz – automatisch besonders gute Freunde Deutschlands sein? Am Tag nach dem Großereignis druckte die FAZ einen Leitartikel mit dem schönen Titel „Der Kreml und der Veteran“. Verfasser ist Reinhard Veser, Jahrgang 1968. In dessen Geburtsjahr begann die große FDP-Karriere Genschers, auch als Bundesinnenminister mit Ostpolitik-Ambitionen, was ihn allerdings nicht hinderte, die „Ostverträge“, auch zwecks möglicher Ablehnung, vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen und so Brandt/Bahr den Erfolg zu gefährden. Interessenten aller Couleur für ein Misslingen gab es überall reichlich – unabhängig, zu welchen Machtblöcken gehörig. Mit nur geringen Zweifeln kann man der Schlussbetrachtung des Autors zu der causa Genscher zustimmen, gerade aus gegenwärtiger Erfahrung: Die Zeiten dieser Geheimdiplomatie mit Geheimdienst-Hintergrund hatten ihre Gründe für alle Beteiligten am Kalten Krieg: Aber das war/ist Praxis einer abgelaufenen Epoche.
Und so ist dies Ereignis, auch vermittels Beihilfe unseres „dritten Mannes“, vermutlich ein Abgesang, wie der von dem gealterten Tenor, der enthusiastisch beklatscht wird, weil er vor zwanzig Jahren einer der besten im seinem Metier gewesen ist. Also: Gala für den Veteran, und Putin als Sponsor machte das möglich.

P.S: In dem Rang derer, die „die Freilassung des Kreml-Kritikers sehr positiv aufgenommen haben“, hatte SPIEGEL ONLINE vom 21. Dezember auch Stefan Liebich, „Außenpolitiker der Linkspartei“, geortet: „Er freue sich über die Freilassung. […] ‚Man hat allerdings den Eindruck, dass der Staatschef entscheidet, wer ins Gefängnis kommt und wer frei kommt.’“ Wenn wir mal unter Staatschef den jeweiligen Präsidenten verstehen, trügt der Eindruck Herrn Liebich nicht, was Begnadigung angeht. Der dortige Herr Gauck ist eben Herr Putin und sollte Recht oder Pflicht dazu nach eigenem Ermessen ausüben dürfen. Texte zur Rechtslage sind allgemein zugänglich und aus Gründen zur Lektüre empfohlen.