16. Jahrgang | Sonderausgabe | 16. Dezember 2013

Über das Eigentum*
(Auszüge)

von Robert Owen

Wir beginnen jetzt mit der Untersuchung eines anderen dieser großen Themen, die wesentlich das Wohl und das Glück aller Angehörigen der menschlichen Gattung beeinflussen: der Sklaven, der Diener, der Herren, der Armen und Reichen, der Ungebildeten und der gebildeten, Männer, Frauen und Kinder aller Altersgruppen, Ränge Berufe und Beschäftigungen sind zutiefst daran interessiert, daß das Eigentum nun auf eine Weise dargestellt wird, daß es von denen, die auf Grund ihrer Stellung die Gesellschaft beherrschen, und von denen, die beherrscht werden, verstanden wird.
Es ist besonders notwendig, jetzt das vollste Verständnis für diesen Gegenstand zu erreichen, um auf der Welt einer solchen Umwälzung im Besitz von Eigentum vorzubeugen, die, wenn zugelassen würde, daß sie sich vollzieht, die Nicht-Produzenten von Eigentum in die hilfloseste und unglücklichste Situation versetzen würde, ohne dabei für seine gegenwärtigen Produzenten einen dauerhaften Nutzen zu schaffen oder überhaupt die allgemeine Beschaffenheit der Gesellschaft zu verbessern.
Es gibt kein Thema von gleich lebenswichtiger Bedeutung für das Wohl der Gesellschaft, das so wenig von allen Klassen und unter allen Bedingungen verstanden würde, wie das Eigentum, und infolgedessen wird nun das Eigentum zusammen mit der Religion und der Konvenienzehe dazu benutzt, die Menschheit ihrer Humanität zu berauben, aus den Menschen Dämonen und die Erde zu einem Pandämonium zu machen.
Das Elend der menschlichen Rasse wird im gleichen Verhältnis wachsen wie die menschlichen Wesen in einen Zustand der Ungleichheit beim Erwerb von Reichtum oder Wissen versetzt werden. Alle Einrichtungen, die das Anwachsen solcher Ungleichheiten unterstützen, sind auf falschen Prinzipien errichtet und müssen, wenn sie fortdauern und ausgedehnt werden, zu jeder Art von Vergehen und Elend führen. Sie müssen öffentlichen und privaten Frevel und Unglück verewigen, bis die Vernunft alle die unter dem Übel Leidenden erwecken wird, um durch Vernunft oder durch Gewalt jedes Überbleibsel dieser Hydra des menschlichen Elends zu zerstören.
[…]
Das erste Stadium der menschlichen Existenz, noch vor der Erfindung von Religion, Privateigentum und Ehe, bestand aus offener Gewalt und Brutalität, ohne irgendein exaktes Wissen von den Tatsachen, die ausgereicht hätten, die frühesten rohen Annehmlichkeiten des Lebens zu fördern. Ihr zweites Stadium des Fortschritts, welches offensichtlich durch die Erfindung der Religion, des privaten ungleichen Eigentums und der Ehe erzeugt wurde, ist eine Periode gemischt aus Legenden, Überlieferung und Geschichte. Sie besteht aus wenig Wahrheit, viel Vorstellungskraft und einem Großteil an Falschheit, die der Unwissenheit oder scheinbarem Selbstinteresse entspringt. Mit Hilfe von Religion, Privateigentum und Ehe wurde dies bis zur Periode der allgemeinen Demoralisierung, in der wir jetzt leben, fortgesetzt.
Die Entdeckung der Täuschungen, auf die sich alle Religionen stützen sowie der Irrtümer im Denken und in den Gefühlen, zu denen sie führen; die Entdeckung der bösen Leidenschaften, der extremen Armut der Vielen, und der Verbrechen, die ungleiches privates Eigentum nach sich zieht; die Entdeckung der Demoralisierung und des Unglücks, welches die Konvenienzehen geschaffen haben, und die Entdeckung der allgemeinen Folge von Falschheit und Betrug, die in jedem dieser künstlichen Systeme die Menschen anhält, zu erwerben, Geschäfte zu betreiben – diese werde nun zusammen mit anderen wichtigen Entdeckungen die Menschheit schnell zum Fortschritt führen. Deshalb dürfen wir bald damit rechnen, in das dritte Stadium des menschlichen Lebens einzutreten, welches mit Recht die Neue Moralische Welt des Menschen oder das erste Vernunftsstadium der Existenz genannt werden kann. In diesem Stadium werden die Religion, ungleiches privates Eigentum und Vernunftehen ohne Zuneigung, aufhören zu existieren; sie werden keinen Teil der neuen Organisation der Gesellschaft bilden, da sie alle mit einem moralischen und vernünftigen Stadium der menschlichen Existent unvereinbar sind. Sie sind einem System von Redlichkeit und unparteiischer Gerechtigkeit, das auf Tatsachen basiert und durch Vernunft, Wahrheit und Güte geleitet wird, direkt entgegengesetzt. In diesem System haben Mystizismus oder Irrtum, Falschheit, Betrug oder Gewalt keinen Platz.
[…]
Das grundsätzliche Ziel des Eigentums oder seine legitime Aufgabe ist es, das höchstmögliche Glück für die Bevölkerung der ganzen Welt zu erlangen und zu sichern.
Wenn Eigentum für die Gesamtheit der Bevölkerung knapp bemessen ist, müssen die Menschen notwendigerweise zu Wilden geformt werden, die von brutaler Gewalt, ohne vernünftige Voraussicht, beherrscht sind, Diese Zeit ist vorbei.
Eigentum, dem einen Teil der Bevölkerung im Überfluß und einem anderen Teil nur kärglich zugemessen, fördern auf langsame Weise Wissen, aber erfüllt den Menschen gleichzeitig mit Angst, Neid, Mißgunst, Haß, Begierde und Lust und macht ihn bereit, alle Verbrechen von Sklaven und Tyrannen zu begehen. Und solange die Ungleichheit an Eigentum anwächst, muß sie notwendigerweise zu einer wachsenden Trennung von Interessen und Gefühlen führen, was mehr und mehr die Menschen demoralisieren muß und die Gesellschaft in einen äußerst schädlichen und künstlichen Zustand bringt. Dies ist die gegenwärtige Periode der menschlichen Existenz – ein Zustand von Konkurrenz, Lüge und Betrug.
Eine volle und gleiche Versorgung mit Eigentum für alle wird einen völlig neuen Charakter der Menschen formen. In diesem Stadium der Gesellschaft werden alle niederen Leidenschaften und Gefühle eines natürlichen Todes sterben, der Mensch wird intelligent und vernünftig werden; Kriege und Kämpfe werden enden. Großzügigkeit und Mildtätigkeit werden in alle Köpfe dringen und Wahrheit und Liebe werden alle Angelegenheiten der Menschen lenken und leiten. Dies ist das dritte oder nächste Zeitalter, auf welches wir uns vorbereiten – die Neue Moralische Welt des Menschen, die erneuerte Welt, in welcher die Menschen neu geboren werden und wo sie einander wie sich selbst kennen; die Zeit, in der die Schwerteer zu Pflugscharen gemacht werden und Speere zu Sicheln; wo jeder Mensch ohne Angst unter seinem eigenen Weinstock und Feigenbaum sitzt, und wo vorzügliches Wissen bzw. die Wahrheit verbreitet wird und alles Denken durchdringt.

* Erster Teil einer in The New Moral World am 21. Februar 1835 publizierten Vorlesung von Robert Owen. Nachlesbar in der bei Reclam erschienenen Textsammlung „Robert Owen. Das soziale System“. Der vormarxistische, utopische Sozialist entwarf darin ausführlich ein neues Gesellschaftsmodell, das er auf der Basis von kommunalem Gemeineigentum auch praktisch zu realisieren versuchte.