16. Jahrgang | Nummer 25 | 9. Dezember 2013

Richard Wagner in Mitteldeutschland

von Mathias Iven

Es wäre eine Mammutaufgabe: ein Kompendium, das alle von Richard Wagner besuchten Orte erfasst. Das ganze natürlich versehen mit Daten und Hintergründen zur Werkgeschichte, ergänzt mit Karten, einem Literaturverzeichnis und praktischen Hinweisen für den Wagner-Reisenden von heute …
Die Wagner-Verbände von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben sich dieser anspruchsvollen Aufgabe gestellt und zum Wagner-Jubiläum ein derartiges Buch vorgelegt, das zumindest einen Überblick zu den (wichtigsten) in Mitteldeutschland liegenden Orten vermittelt. Der großformatige, im Leipziger Passage Verlag erschienene und reich ausgestattete Band erfasst insgesamt 20 Orte. Dabei geht es einerseits um historische Rückverweise auf Wagners Familien- und Lebensgeschichte, andererseits wird der Blick immer auch auf die Rezeptionshistorie seines Werkes gelenkt. Die Herausgeber proklamieren also nicht eine allgemeine „Erinnerungskultur“, sondern es geht ihnen zuvorderst um „ein lange Zeit vernachlässigtes Thema – Richard Wagner als mitteldeutsche Musikikone“. Und so bestimmen denn zwei Fragen die Herangehensweise: Wie sah Wagners Leben vor und neben Bayreuth aus? Welche Orte spielten eine Rolle für ihn und durch welche Ereignisse wurde er geprägt?
Die Spurensuche beginnt selbstverständlich in Wagners Geburtsstadt Leipzig. Da auf diese Zeit, wie auch auf Wagners Beziehungen zu Dresden und Graupa bereits an anderer Stelle eingegangen wurde (siehe Blättchen 14/2013), soll es hier um die abseitigen, nur selten mit Wagner in Verbindung gebrachten Orte gehen. – Werfen wir zunächst einen Blick auf die Ortschaften, die mit Wagners Familie zusammenhängen. Da wäre zunächst das in der Nähe von Wurzen gelegene Müglenz zu nennen. Im Februar 1736 kam hier Gottlob Friedrich Wagner zur Welt, der Großvater des Komponisten. Die beiden lernten sich allerdings nie kennen, da G. F. Wagner bereits 1795 starb. Wagners Schwester Clara Wilhelmina lebte seit 1838 in Chemnitz. Bereits mit 16 Jahren konnte sie in Dresden ihren ersten Erfolg als Sängerin verbuchen. Anhand der Tagebücher von Cosima lassen sich mehrere Besuche Wagners bei ihr nachweisen. Zu erwähnen ist in diesem Kontext aber vor allem das 1909 eröffnete, Wagners musikalisches Erbe bis heute pflegende Chemnitzer Opernhaus. Es war Richard Tauber, der Vater des berühmten Tenors, der als Intendant seinerzeit an eine langjährige Tradition anknüpfen konnte und Chemnitz nach dem Ersten Weltkrieg den Ruf eines „sächsischen Bayreuth“ verschaffte. Nicht weit von Chemnitz entfernt liegt Oederan. Erst 1935 erinnerte man sich hier daran, dass Minna Planer, die erste Frau des Komponisten, ihre frühe Kindheit in dem sächsischen Ort verbracht hatte. Heute verweisen eine Tafel an ihrem Geburtshaus und eine nach ihr benannte Straße auf sie. Und auch in Weißenfels fehlte lange Zeit ein Wagner-Erinnerungsort. So vergingen 30 Jahre, bis 2012 an der Stelle des nicht mehr existenten Geburtshauses von Wagners Mutter ein mit einer entsprechenden Inschrift versehener Gedenkstein enthüllt wurde.
Nach dem frühen Tod von Richard Wagners Stiefvater Ludwig Geyer, nahm dessen jüngerer Bruder Karl den achtjährigen Richard im Oktober 1821 bei sich in Eisleben auf. Ein Jahr verbrachte er in der Lutherstadt, dann kehrte er nach Dresden zur Mutter zurück. Fünfzig Jahre später suchte er noch einmal Eisleben auf und führte seine Frau Cosima zu den Stätten seiner Kindheit.
Bad Lauchstädt, Bernburg und Magdeburg – drei Orte in Sachsen-Anhalt, die eng mit Wagners Karriere verbunden sind. Es war Heinrich Bethmann, der Direktor des Magdeburger Stadttheaters, der Wagner Mitte 1834 als Musikdirektor engagierte. Im August des Jahres kam es zu einem ersten Treffen in Lauchstädt. Drei Dirigate Wagners an diesem Ort sind bezeugt, darunter Mozarts „Don Juan“. Doch noch wichtiger als der musikalische Erfolg war für Wagner die dortige Begegnung mit der von Bethmann ebenfalls engagierten Minna Planer, die er zwei Jahre später in Königsberg heiraten sollte. Nach einem sechswöchigen Gastspiel in Rudolstadt (leider geht das Buch nicht darauf ein) zog Wagner mit der Bethmann’schen Truppe nach Bernburg. Allerdings lässt sich nur noch bruchstückhaft belegen, welche Stücke Wagner während des 37 Tage dauernden Gastspiels dirigierte. Schließlich kam das Ensemble zurück nach Magdeburg, wo Wagner zwei Spielzeiten lang wirkte und wo er 1836 seine zweite Oper „Das Liebesverbot“ zur Uraufführung brachte.
Auch im anhaltischen Dessau lassen sich mehrere Besuche Wagners nachweisen. Doch nicht allein das hat der Muldestadt (wie übrigens auch Rostock) schon früh den Beinamen „Bayreuth des Nordens“ eingebracht. Seit über einem Jahrhundert widmet man sich hier der Pflege von Wagners Werk und macht mit herausragenden Aufführungen auf sich aufmerksam. Ähnlich sieht es in Halle aus, denn dort haben Wagner-Inszenierungen bis heute einen festen, von der Kritik geschätzten Platz im Repertoire.
Die Verbindung Wagners zum sächsischen Altenburg wurde durch zwei Personen hergestellt. Da war zum einen der hier seit 1838 wirkende Christian Gottlieb Müller, der den Gymnasiasten Wagner zwischen 1829 und 1831 in Leipzig in die Harmonielehre einführte und ihm die Grundlagen des Dirigierens nahebrachte. Zum anderen war das der Architekt Otto Brückwald, dessen erstes großes Bauprojekt das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Leipziger Neue Theater war. Es folgte das Herzogliche Hoftheater zu Altenburg und schließlich war er es, der von Wagner als verantwortlicher Architekt für das Bayreuther Festspielhaus engagiert wurde.
Dem Verlag, den Herausgebern, vor allem aber den beteiligten Wagner-Vereinen gebührt Dank für dieses Buch, das einmal mehr zeigt, wie notwendig persönliches Engagement für die Pflege des kulturellen Erbes ist.

Ursula Oehme und Thomas Krakow (Hrsg.): Richard Wagner in Mitteldeutschland, Passage Verlag, Leipzig 2013, 224 Seiten, 29,00 Euro.