16. Jahrgang | Nummer 23 | 11. November 2013

Sozialrebell im Gefängnis

von Holger Politt, Warschau

Seine Strafe betrug 1.800 Złoty, umgerechnet weniger als 500 Euro. Zu zahlen hatte er, weil er der Gerichtsentscheidung nicht nachgekommen war, die ihn vor einigen Jahren zu mehreren Stunden Sozialarbeit verurteilt hatte. Nun büßt Piotr Ikonowicz mit 90 Tagen Gefängnis. Er selbst bezeichnet sich als politischen Gefangenen, ganz abwegig ist das nicht. Die Tat, für die er im Jahre 2013 sitzt, liegt eine halbe Ewigkeit zurück. Damals, im Jahre 2000, war er noch Sejm-Abgeordneter, fraktionslos, kritisierte die SLD von links, trat bei den Präsidentschaftswahlen gegen Amtsinhaber Aleksander Kwaśniewski an, der sich das Amt für weitere fünf Jahre bereits im ersten Wahlgang sicherte, und fiel mit 0,22 Prozent aus dem politischen Himmel.
Als Abgeordneter hatte er es sich zu seiner Aufgabe gemacht, selbst aktiv einzuschreiten, wenn Menschen wegen Mietschulden auf die Straße gesetzt werden. Sein Einschreiten vor Ort wurde zur Legende, auch deshalb, weil er häufig Erfolg hatte. Den Betroffenen wurde dann Aufschub gegeben, gegen offenen Widerstand der Eigentümer. Bei diesem einen Fall kam es zum Handgemenge – Eigentümer gegen Abgeordneten oder umgekehrt. Jedenfalls Anlass für die spätere Gerichtsverhandlung, in der Ikonowicz mit mehreren Tagen Sozialarbeit davonkam. Seiner Bitte, das laufende Engagement für die Mietersache als Sozialarbeit anzuerkennen und entsprechend aufzurechnen, wurde nicht entsprochen – es sollte ja Strafe sein. Die Sache zog sich hin, Ikonowicz ging aufs Ganze, die Gegenseite – der Staat – hielt entsprechend Gesetzeslage dagegen. Weil kein Einsehen war, musste der 56-Jährige nun hinter Gitter.
Nachdem er 2001 sein Abgeordnetenmandat verlor, blieb er der sozialen Sache treu, verstand sich als deren erster Ritter in Polen – ein Robin Hood aus unseren Zeiten. Niemand unter Polens Politikern hat so viel ausgeprägte und persönliche Kontakte zur verschämt verborgenen Welt der Ausgestoßenen, der sozial Ausgegrenzten. Das korrespondiert fast unmerklich mit den Misserfolgen, die seine politische Laufbahn treulich begleiten. 1989/90 war er bereits der wichtigste Mann in der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS), die sich noch vor Auflösung der PVAP im Januar 1990 in der neuen politischen Szene zu etablieren suchte. Es war zugleich der Versuch, den „Solidarność“-Wind auch unter linksgerichtete Flügel zu bekommen. Der Versuch scheiterte schnell, das Sagen auf dem linken Flügel bekamen die ansonsten verschmähten und jetzt „Postkommunisten“ genannten PVAP-Erben. Als Lech Wałęsa zu Beginn seiner Präsidentschaft davon sprach, zwei Beine zu benötigen, ein rechtes und ein linkes, war die Entscheidung bereits gefallen: Gegen das Bündnis SLD (Demokratische Linksallianz) war links kein Kraut mehr gewachsen. Gleich einem Magneten zogen die nun sozialdemokratisch aufgelegten PVAP-Nachfolger alles an sich, was dort sich regte. So auch die PPS, die wohl oder übel Teil des SLD-Bündnisses wurde, auf deren Liste Ikonowicz ins Parlament einzog.
Die Beziehung hielt nicht lange, bald schon war er fraktionslos. In der Zwischenzeit zerrieb sich auch die PPS immer mehr zwischen den beiden Optionen, entweder im Fahrwasser der ungeliebten, überraschend erfolgreichen „Postkommunisten“ oder aber ganz nach eigenen Kräften um Einfluss zu kämpfen. Als die SLD sich rechtzeitig vor den Parlamentswahlen 2001 zur Partei wandelte, besetzte die Union der Arbeit (UP) die Stelle, die aus historischen Gründen eher der PPS gebührt hätte – fest an der Seite der SLD unter Leszek Miller. Die von Ikonowicz geführte PPS riskierte den eigenen Weg, der im Nirgendwo endete. Heute machen noch etwas über 300 Beitragszahler die ganze PPS aus, die eher Historische Kommission ist denn Partei. Als die PPS im vorigen Jahr ihr 120-jähriges Bestehen feierte, war Ikonowicz längst nicht mehr an Bord. Vor über zehn Jahren hatte er die Nowa Lewica (Neue Linke) gegründet, wieder so ein kläglicher Versuch, den SLD-Stier bei den Hörnern zu packen. 2007 heuerte er gar bei Andrzej Leppers „Samoobrona“ an, so wie Leszek Miller übrigens, der bisherige Intimfeind im linken Feld. Leppers Niederlage damals besiegelte auch alle parlamentarischen Träume von Ikonowicz.
Worin er sich und seiner kleinen Anhängerschar treu blieb, war der schier aussichtslose Kampf gegen Vermieterwillkür und andere neoliberale Zumutungen. Insofern ist seine Inhaftierung ein Zeichen entschiedenen Protestes gegen Schattenseiten gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse. Die ungewöhnliche Konsequenz seiner Haltung brachte Ikonowicz zurück in die Schlagzeilen, ob es der sozialen Mietersache in Polen dienen wird, wird sich anschließend zeigen.

P.S. (nach Veröffentlichung): Am 12. November ist Piotr Ikonowicz wieder freigekommen. Er hat die noch ausstehende Summe bezahlt, weil er in Freiheit mehr für die soziale Sache ausrichten könne als hinter Gefängnismauern.