16. Jahrgang | Nummer 19 | 16. September 2013

Film ab

von Clemens Fischer

Für Alt-Linke mit Vorliebe für ideologisch klar Konturiertes könnte diese Besprechung folgendermaßen beginnen: Bereits am 17. Januar 1961 hatte der damalige US-Präsident Eisenhower in seiner Abschiedsrede gewarnt: „In the councils of government, we must guard against the acquisition of unwarranted influence, whether sought or unsought, by the military-industrial complex.“ Die Warnung ging bekanntlich ins Leere, denn heute hat der militärisch-industrielle Komplex (MIK) das System in den USA fester im Griff denn je – allein die amerikanischen Rüstungsausgaben erreichten mit fast 700 Milliarden Euro im Jahre 2011 ein Allzeit-Rekordhoch, das das Niveau aus den Zeiten des Kalten Krieges um ein Vielfaches überstieg. Es ist also völlig unwahrscheinlich, um nicht zu sagen: ausgeschlossen – und die Präsidentschaft Barack Obamas liefert den aktuellen Beweis dafür –, dass ein farbiger US-Präsident durch eine einschneidende Friedensinitiative für den Nahen und Mittleren Osten Interessen des MIK so grundsätzlich infrage stellt, dass dessen Sachwalter im Regierungsapparat den Präsidenten zur Geisel nehmen, um die Außenpolitik des Landes auf den Weg des guten, alten – wenn man so will: des klassischen – großen Knüppels zurückzuführen. Wer, wie Roland Emmerich, ein entsprechendes Szenarium trotzdem zum Plot seines neuesten Films macht, der erzählt …
Kürzer gehalten werden könnte der Einstieg für Liebhaber einschlägiger Mannschaftssportarten: Von Hattrick wird gesprochen, wenn ein Spieler dreimal im selben Match (vornehmlich beim Fußball oder Eishockey) ein Tor erzielt. Das kommt nicht häufig vor. Um einen gänzlich einmaligen Hattrick allerdings dürfte es sich handeln, wenn jemand dreimal das Weiße Haus tranchiert. Dem deutschen Regisseur Roland Emmerich ist das jetzt gelungen – erst in „Independence Day“, dann in „2012“ und nun in …
Dito für Freunde martialischer Baller-Spektakel: Seit „Black Hawk Down“ von 2001 (Regie: Ridley Scott) wissen wir, dass das eher unscheinbare Wörtchen „down“ (deutsch, umgangssprachlich: runter) durchaus so etwas wie einen finalen Garaus meinen kann. Seinerzeit wurde aber bloß ein US-Militärhubschrauber vom Himmel geholt. Nun jedoch heißt es „White House Down“ …
Soweit zu möglichen Einleitungen. Mehr ist dann allerdings zu Emmerichs jüngstem Opus eigentlich auch nicht zu sagen – es sei denn, man entdeckt, wie der Rezensent eines seriösen Blattes, das seine hauptstädtische Erscheinungsweise im Titel führt, „erhebliche[…] Unwahrscheinlichkeiten und Ungereimtheiten“ in dem Streifen und kann anschließend dem Drang nicht widerstehen, diese vor seiner Leserschaft auszubreiten. Lieber Kollege – wie Sie richtig feststellen: „White House Down“ ist „ein dröhnender Actionfilm ohne Angst vor Übertreibungen“, und da gehören „Unwahrscheinlichkeiten und Ungereimtheiten“? Richtig: zu den condiciones sine qua non. Und „zum Brüllen“, wie Sie meinen, ist da wohl weniger jener Handlungsstrang, in dem eine Teenagerin quasi inmitten der Kidnapper so lange unentdeckt bleibt, bis sie diese per Handy gefilmt und die Aufnahmen ins Internet gestellt hat, sondern wohl eher der Einfall mit der eingangs erwähnten Friedensinitiative. Doch apropos diese: Schön wäre es natürlich schon, wenn …

„White House Down“, Regie: Roland Emmerich; derzeit in den Kinos.

*

Es gibt Filme, bei denen man besser eine Packung Tempos dabei hat, denn sie greifen ans Herz und rühren zu Tränen, und wenn dann der Kitsch nicht grüßen lässt, sieht man wirklich großes Kino. Das kann man dieser Tage in „Mr. Morgan’s last love“ mit dem über 80-jährigen Michael Caine als steinaltem, des Lebens nach dem Tode seiner Frau müden Witwer in einem herbstlichen Paris mit bunten Blättern auf den Gräbern.
Puh, klingt tatsächlich leicht nach Courths-Mahler. Aber das liegt hier eindeutig am Rezensenten, nicht am Film. Denn wie eine Zufallsbekanntschaft diesen greisen Mr. Morgan, emeritierten Philosophie-Professor aus Princeton, der der Liebe seines Lebens in den Ruhestand nach Paris und St. Malo gefolgt ist, mit der blutjungen Tanzlehrerin Pauline (Clémence Poésy) zusammenführt und wie sich daraus eine Freundschaft entwickelt – nicht ohne selbstironische Momente beider Protagonisten –, das ist höchst gefühlvoll in Szene gesetzt und überhaupt nicht gefühlig.
Ein Thema dieses Streifens ist die Einsamkeit, wenn nach einer langen Beziehung einer der Partner allein zurückbleibt, und die in leichtem Erzählton und ohne jede Attitüde eines erhobenen Zeigefingers dagegengesetzte Botschaft, dass die Pflege von Freundschaften, und zwar ganz altmodisch, im direkten Kontakt ohne jegliche digitale Relais wie Handy oder E-Mail, eine wunderbare Medizin dagegen sein kann – trotz aller Missverständnisse und Verletzungen, die sich auch Menschen zufügen, die sich sehr zueinander hingezogen fühlen. Eine bitter-süße Geschichte, deren Ende allerdings vieles vom zuvor Erzählten wieder aufzuheben beziehungsweise ad absurdum zu führen scheint. Aber das soll im richtigen Leben ja ebenfalls vorkommen.
Die Hamburger Regisseurin Sandra Nettelbeck, die auch das Drehbuch schrieb, hat Caine die Rolle auf den Leib geschrieben; sie habe ihn, so äußerte sie, beim Schreiben stets vor sich gesehen. Das war ein Wagnis, denn angefragt wurde bei dem Mimen erst hinterher. Und Michael Caine dreht nach eigenem Bekunden nur noch Filme, deren Bücher ihn beim ersten Lesen restlos überzeugen. Zu „Mr. Morgan’s last love“ allerdings bekannte er, der in früheren Filmen nicht selten auch mit eher prolligem Charme agierte, das sei die schönste Rolle, die ihm je angeboten wurde. Dem soll nicht widersprochen werden.

„Mr. Morgan’s last love“, Regie: Sandra Nettelbeck; derzeit noch in einigen Kinos und bald in Videotheken.