16. Jahrgang | Nummer 16 | 5. August 2013

Film ab

von Clemens Fischer

Polit-Thriller und andere gesellschaftskritische Filme mit aufklärerischem Impetus hat Robert Redford während seiner gesamten Karriere als Schauspieler gedreht – von „Ein Mann wird gejagt“ (1966) über „Der Kandidat“ (1972), „Die drei Tage des Condor“ (1975) und „All the President’s Men“ (1976) bis zu „Die letzte Festung“ (2001). Und da die großen Hollywood-Studios zunehmend weniger von derartigen Filmen halten („Kassengift“), hat Redford in den letzten Jahren dabei auch verstärkt Regie geführt und sich als Mit-Produzent an der Finanzierung der Streifen beteiligt: „Von Löwen und Lämmern“ (2007), „Die Lincoln Verschwörung“ (2011) und nun also „The Company You Keep – Die Akte Grant“ (2012).
Um mit dem Formellen zu beginnen: Wohltuend altmodisch kommt dieser Film daher – mit unaufgeregter, gleichwohl spannender Erzählweise, mit langen, ruhigen Kamerafahrten durch Landschaften und vor allem über alt gewordene Gesichter, die Geschichten erzählen (neben Redford in der Hauptrolle Susan Sarandon sowie Julie Christie und Nick Nolte) und mit der vor dem Hintergrund der heutigen USA fast surreal wirkenden Botschaft – hier exemplifiziert an der Entwicklung eines jungen Nachwuchs-Reporters (Shia LaBeouf) –, dass Menschen immer wieder zu moralischen Werten und zu anderen als den oberflächlichen, vom gesellschaftlichen Mainstream diktierten Verhaltensmustern finden können.
Die Geschichte ist die einer Gruppe junger Vietnamkriegsgegner („Weathermen“), die Ende der 60er Jahre dazu übergingen, den gewaltsamen Terror der Staatsorgane gegen die anschwellende Protestbewegung im Inneren der USA mit Gegenanschlägen, einschließlich Bombenattentaten, zu beantworten. Nach dreißigjährigem erfolgreichen Abtauchen in zum Teil gut situierte amerikanische Mittelklasse-Existenzen, aber immer gesucht vom FBI, fliegt ein Gruppenmitglied auf – mit Domino-Effekt. Daraufhin müssen sich etliche der damaligen Protagonisten mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Und so richtig es war, gegen ein System Widerstand zu leisten, das in Indochina Völkermord beging, und so wenig die Notwendigkeit gesellschaftlichen Widerstandes dadurch verschwindet, dass ehemalige Aktivisten sich – aus welchen Gründen auch immer – in eine bürgerliche Existenz zurückziehen, so pervertiert werden guter Zweck und politische Ziele, wenn berechtigter Widerstand in kriminellen Terror umschlägt. Die Hauptfigur des Films, der Ex-„Weatherman“ Nick Sloan alias Jim Grant, umreißt das Dilemma, als er seiner früheren Geliebten, die die alten Schützengräber nicht verlassen hat, (sinngemäß) erklärt: „Ich habe aus denselben Gründen aufgehört, aus denen ich angefangen habe: Ich wollte Gewalt gegen Unschuldige verhindern.“
Ungeachtet des ernsten Anliegens leisten sich Regisseur und Hauptdarsteller eine hübsche filmgeschichtliche Ironie, wie Cineasten sie lieben: Das Fahndungsfoto, mit dem das FBI auf der Jagd nach den „Weathermen“ ist, zeigt Robert Redford als Banditen in der grandiosen Westernkomödie „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ (1969), die ihm (und seinem nicht minder aufspielenden Film-Partner Paul Newman) den internationalen Durchbruch brachte.
Die „Weathermen“ gab es übrigens tatsächlich. Ihren Namen hatten sie dem Bob-Dylan-Song „Subterranean Homesick Blues“ entlehnt, in dem es unter anderem heißt: „You don’t need a weatherman to know which way the wind blows. / Du brauchst keinen Wettermann, um zu wissen, woher der Wind weht.“
Wer ältere Filme mit Robert Redford kennt, aber „Von Löwen und Lämmern“ seinerzeit verpasst hat, wird sich in „The Company You Keep“ nach wenigen Minuten vielleicht fragen, was an diesem Film nicht stimmt: Redford spricht nicht wie Redford! Die Synchronstimme ist eine unvertraute, fremde. Jahrzehntelang wurde der US-Star von Rolf Schult synchronisiert – bis 2007, als Schult den Trailer zu „Von Löwen und Lämmern“ synchronisiert hatte und ein US-Supervisor befand, dass Schults Stimme zu tief sei. Das war das Ende des „Teams“ Redford-Schult. Der gebürtige Berliner war übrigens ebenfalls 2007 mit dem als „Synchron-Oscar“ bezeichneten Deutschen Synchronsprecherpreis ausgezeichnet worden, für sein „herausragendes Gesamtschaffen“. Im März dieses Jahres ist Schult, 85-jährig, verstorben.
Es bleibt zu hoffen, dass uns Robert Redford noch weitere großartige Alterswerke schenken wird, denn auch wenn er seit Jahrzehnten gegen dieselben Schwären der amerikanischen Gesellschaft ankämpft, scheint Resignation ihm fremd zu sein. Nach seiner Bilanz gefragt, antwortete er jüngst: „Ich kann nicht sagen, dass mein Engagement irgendetwas verändert hätte. Aber was soll ich machen: Dieses Engagement entsprach und entspricht meinem Interesse.“

„The Company You Keep“, Regie: Robert Redford; derzeit in den Kinos.

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Dass die besonders Alten keineswegs immer den Respekt verdienen, den man ihnen landläufiger Weise zollen soll, weil sie bisweilen auch ganz formidable Stinkstiefel sind, darf als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Weniger bekannt allerdings dürfte sein, warum der Rechtsstaat sich glücklich schätzen darf, dass nicht all jene von den nicht so altersmilden Senioren, die mit einer Minirente von 600,00 Euro oder weniger auskommen müssen, ein so gerüttelt Maß an krimineller Energie aufbringen, dass sie ihr kärgliches Salär kreativ und erfolgreich mit dem Verticken von Drogen aufbessern. Was nämlich passierte, wenn genau das passierte, ist derzeit in der französischen Komödie „Paulette“ zu besichtigen, und selten dürfte rabenschwarzer Humor – unter vorsätzlichem Verzicht auf jegliche political correctness – amüsanter ins Bild gesetzt worden sein.
Mitleid mit der Hauptfigur, einer von Altersarmut heimgesuchten 80-jährigen früheren Restaurant-Besitzerin, die in einer verslumten französischen Vorstadtsiedlung mit heruntergekommenen Sozialsilos mehr schlecht als recht ihr Rentnerdasein fristet, kommt gar nicht erst auf, obwohl man sie zu Beginn Lebensmittel aus Abfällen klauben sieht: Beim Streit mit einer Leidensgenossin um ein paar Stangen Lauch greift sie gnadenlos zum (Pfeffer?-)Spray und trägt den Sieg sowie den Porree davon. Und dass diese Paulette tatsächlich ein ausgemachtes Ekelpaket ist, ebenso egoman wie rassistisch, darf sie kurz darauf im Umgang mit ihrer Tochter und ihrem farbigen Enkelkind („meine kleine Buschtrommel“) sowie beim Beichten in ihrer Kirche aufs Schönste unter Beweis stellen. Als Persönlichkeit damit am untersten Ende unserer Sympathieskala platziert, bringt sie alle – für eine Komödie nötigen – Voraussetzungen mit, um anschließend nicht nur in den lokalen Drogenhandel ein-, sondern in kürzester Zeit auch zur Queen unter den Dealern aufzusteigen und dabei zugleich den Hasch-Konsum kulinarisch aufzuedeln.
Was soweit ziemlich skurril und vielleicht eher nach britischer Machart klingt, entbehrt im weiteren Verlaufe jedoch keineswegs des sprichwörtlichen französischen Charmes, denn natürlich läutert sich diese Paulette letztlich doch noch vom Kotzbrocken zur liebevollen Oma …
Dass der Streifen zugleich als Hommage auf die Hauptdarstellerin Bernadette Lafont intendiert war, kann gewiss ausgeschlossen werden. Gleichwohl wurde er es: Die Aktrice ist am 25. Juli, 74-jährig, verschieden.

„Paulette“, Regie: Jérôme Enrico; derzeit in den Kinos.