von Hartmut Pätzke
Für Elizabeth Shaw (1920-1992) und ihre Autobiographie wirbt der Verlag für Berlin-Brandenburg in seinem großen Prospekt vom Frühjahr 2013 sowohl mit dem Titelblatt, einem Photo von 1949 mit ihrer Tochter Anne auf dem Schoß als auch mit zwei Seiten, worin die „Irin in der geteilten Stadt“ als „eine Klassikerin des Kinderbuchs“ hervorgehoben wird. Unter dem Titel „Irish Berlin“ erblickte die erste Ausgabe ihrer Erinnerungen, ein Wunschbuch des Aufbau-Verlages, versehen mit 49 Illustrationen, die zum großen Teil schon veröffentlicht waren, nur kurz nach ihrem 70. Geburtstag 1990 das Licht der Welt. Ihm folgte bald eine Taschenbuchausgabe. Seit der Wendezeit war die Beachtung der Bücher, die aus der Deutschen Demokratischen Republik kamen, eingeschränkt. Das Buch war, veranlasst von der Lektorin Margit Stragies, seit Herbst 1988 in enger Zusammenarbeit mit dem Übersetzer Wolfgang de Bruyn, der im Aufbau-Verlag als Autor hervorgetreten war, entstanden.
Die neue Ausgabe heißt „Wie ich nach Berlin kam. Eine Irin in der geteilten Stadt“. Ihr wurden zwei Vorworte beigegeben. Das erste stammt von Anne Schneider, der Tochter, die 1948 in Bedford, dem Wohnort der Familie von Elizabeth Shaw, geboren wurde. Die Eltern waren im Oktober 1946 nach Berlin gezogen. Die Versorgungslage war in Bedford aber günstiger. Nach dem Tod ihres Bruders Patrick Graetz (1950-2006), der überaus engagiert für das künstlerische Erbe seiner Eltern, Elizabeth Shaw und René Graetz (1908-1974) nach dem Tod seiner Mutter in Ausstellungen und Publikationen tätig war, führt Anne Schneider das Kunstarchiv „Elizabeth Shaw & René Graetz“ gemeinsam mit ihrer Schwägerin Inez Graetz. Das zweite Vorwort steuerte Wolfgang de Bruyn bei. Es erlaubt einen Einblick in die fruchtbare Zusammenarbeit der englischsprachigen Autorin mit ihrem Übersetzer.
Zunächst ist Elizabeth Shaw, schon in England, dann für den Ulenspiegel und für das Neue Deutschland vor allem als politische Karikaturistin hervorgetreten. Im Laufe der fünfziger Jahre wurde sie als Illustratorin erfolgreich. Nach und nach wurde sie eine sehr erfolgreiche Kinderbuchillustratorin. Ihr Verlag, der Kinderbuchverlag, ist versunken. Doch ihr Werk ist lebendig in der „Shaw-Bibliothek“, die im Beltz-Verlag erscheint. Elizabeth Shaw fühlte sich einem Kreis deutscher Künstler und Kulturschaffender zugehörig, der im Freien Deutschen Kulturbund in London vereint war. Die Frage, ob sie mit dem großen George Bernard Shaw verwandt sei, konnte sie nicht wirklich beantworten. Die Akten, die darüber hätten Auskunft geben können, sind in den zwanziger Jahren verbrannt.
Geboren in Belfast in einer irischen protestantischen Familie, in der es viele Bücher gab, der Vater war in einer Bank tätig, zog die Familie 1933 nach Bedford in England. Ihre 1938 begonnenen Studien an der Chelsea School of Art in London bei Graham Sutherland (1903-1980) wurden 1940 durch den Krieg unterbrochen. Henry Moore (1898-1986), der für die Bildhauerei zuständig war, lobte ihre Illustrationen zu Emily Brontës „ Die Sturmhöhe“.
1944 heiratete sie den Bildhauer und Graphiker René Graetz (1908-1974), mit dem sie 1946 nach Deutschland ging. Freunde wurden ihr deshalb in Deutschland bedeutend, weil sie hier keine Verwandten hatten. Ihre Staatsangehörigkeit hat sie beibehalten. Sie war in Kleinmachnow und später in Berlin-Pankow im Kreis der zurückgekehrten Emigranten zu Hause und fühlte sich zu den Menschen hingezogen, die in Deutschland Jahre in Zuchthäusern oder auch Konzentrationslagern hatten zubringen müssen, wie Herbert Sandberg und Robert Havemann. Emigranten wie der Komponist Ernst Hermann Meyer und der Musikwissenschaftler Nathan Notowicz hatten Frauen aus England und Holland mitgebracht, Marjorie und An, mit denen Shaw/Graetz in Kleinmachnow in ein Haus zogen. Bekannt geworden ist die Zeichnerin Elizabeth Shaw auch durch die Reisen mit Berta Waterstradt (1907-1990), die Das Magazin über zwanzig Jahre veröffentlichte. „Alle Tage ist kein Alltag“ (1974) und „Blick zurück und wundre dich“ (1987) von Berta Waterstradt, beide im Eulenspiegel Verlag, illustrierte Elizabeth Shaw. Ihre eigenen Reiseerlebnisse schilderte sie in „Eine Feder am Meeresstrand“ (1974).
Die Autobiographie ist ein Glücksfall. Es wird recht anschaulich und munter erzählt, von ihrer Familie in Irland und England, von ihrem Ausflug 1936 nach Paris mit ihrer Schwester, von den Jahren des Krieges in London, ihrem Weg nach Deutschland 1946 gemeinsam mit René Graetz, Ereignissen in der DDR, von Geschichten in der Welt, wie sie sie wahrnahm, von ihrem Mann, René Graetz, von ihren Kindern, von Freunden. Es klingen Probleme und Schwierigkeiten an, der Selbstmord des rührigen Antiquars Pinzke, der Rajk-Schauprozess in Ungarn, der Prozess gegen Walter Janka. Sie wusste von der „Mauerkrankheit“ und von der Schizophrenie, die nach dem Bau der Mauer entstand. Für 1986 stellte sie fest: “Vierzig Jahre glückliches Schaffen von Bildern – meine Arbeit und mein Vergnügen. Manchmal sind auch Texte entstanden. Mein Deutsch ist aber leider immer noch fehlerhaft. Trotzdem bin ich fast eine echte Berlinerin geworden. Ich habe einen Garten.“
Mit ihren eigenen Büchern begann sie, weil sie unzufrieden war mit dem, was sie sonst sah. Der Kinderbuchverlag akzeptierte ihre Arbeiten ohne Ein- oder gar Widerspruch. Sie genoss hohe Anerkennung. Zuteil wurden ihr der Hans-Baltzer-Preis des Kinderbuchverlages, der Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste der DDR und der Gutenberg-Preis der Stadt Leipzig. Einmal hat sie, wie Wolfgang de Bruyn mitteilt, aus ihrem Erinnerungsbuch in Beeskow gelesen. Ihre Muttersprache hat sie am liebsten benutzt. Im Deutschen blieb sie unsicher. Das Empfinden dafür war jedoch so stark, dass sie 1963 ihr erstes eigenes Buch „Der kleine Angsthase“ mit ihren Illustrationen abliefern konnte. Dem sollten zu ihren Lebzeiten 15 Bücher folgen und aus ihrem Nachlass zwei weitere. Nicht wenig davon ist in anderen Ländern erschienen, bis hin nach Japan.
Wohl alle, die die Bücher der Shaw, an denen sie als Illustratorin beteiligt war oder die ganz und gar mit ihrem Namen verbunden sind, mögen, werden ihre Erinnerungen mit Anteilnahme und Sympathie lesen. „Irish Berlin“, die Erstausgabe, gestaltet von Heinz Hellmis, wäre mit ziemlicher Sicherheit im Jahrgang 1990 als eines der „Schönsten Bücher der DDR“ gekürt worden.
Entfallen ist im Frontispiz das aquarellierte Porträt „ES“ von Gabriele Mucchi, doch sind die Abbildungen insgesamt beibehalten worden, wenn sie auch mitunter auf die nächste Seite gerutscht sind. Dafür schmückt den Schutzumschlag ein Photo der Künstlerin in ihrer Pankower Wohnung und die hintere Umschlagseite eine Zeichnung, die sie aus den siebziger Jahren in einer Rückenansicht sitzend am Schreibtisch zeigt. Hinzugekommen sind die Lithographie „Elizabeth“ von René Graetz und ein Porträtphoto von 1980. Zwei Gedichte, die bisher nur in der deutschen Fassung zu lesen waren, sind nun auch im Original wiedergegeben.
Im Anhang wird in gedrängter Form eine Bibliographie der Bücher von Elizabeth Shaw mitgeteilt – etwas, wovon Elizabeth Shaw Abstand genommen hatte, entnommen aus „Das dicke Elizabeth-Shaw-Buch für die ganze Familie“. Leider fehlt zu dem „KINDERGARTENLIEDERBUCH“, das 1979 in Frankfurt/M. in der Edition Wilhelm Hause mit Einband, 37 Illustrationen und Vignetten der Shaw erschien, der Name der Textautorin: Dorothea Siewert-Medek. Der Name des Komponisten ist falsch geschrieben. Er heißt Tilo Medek (1940-2006). Es war keine Selbstverständlichkeit, dass Elizabeth Shaw zu diesem Buch stand, obgleich Medek mit seiner Familie infolge der Biermann-Ausbürgerung und ihrer Folgen ausgereist war.
Der Komponist war Elizabeh Shaw dankbar. Umfassendere Informationen zum Werk der Karikaturistin, Autorin und Illustratorin Elizabeth Shaw bieten die Marginalien in ihrem 130. Heft (1993) mit einem Nachtrag im 158. Heft (2000) sowie die Graphische Kunst Neue Folge Heft 1/2004.
Sollte das Titelblatt des Verlagsprospekts, das Shaw mit ihrer Tochter und einer Zigarette in der rechten Hand zeigt, als ein Ausdruck der Emanzipation der Frau schon 1949 betrachtet werden?
Elizabeth Shaw: Wie ich nach Berlin kam. Eine Irin in der geteilten Stadt, Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2013, 224 Seiten, 19,95 Euro.
Schlagwörter: Elizabeth Shaw, Hartmut Pätzke, Kinderbuchverlag, René Graetz