16. Jahrgang | Nummer 16 | 5. August 2013

Der Sponti, der Spanier und Peng!

von F.-B. Habel

Karikaturen sind der Ausdruck eines Willens
– die guten der Ausdruck des künstlerischen,
die schlechten der des nationalen Willens –,
und man kann ihnen nicht mit Tinte,
nur mit dem Herzen begegnen.
Peter Panter
Die Weltbühne Nr. 19/1919

Manch eine Zeitung hält man sich eigentlich nur wegen der Karikaturen. Oder zumindest ist es das, worauf man schon wartet. Die Travestie der politischen Wirklichkeit öffnet entweder die Augen oder bestätigt bereits vorhandene Ahnungen. In märchenhaften Darstellungen spiegelt sich die Realität oft wie in einem Brennglas. Heute schlägt man doch beim Stern sofort den wöchentlichen Haderer auf. In der Süddeutschen ist man enttäuscht, weil der Hanitzsch nicht täglich zeichnet. Aber im Tagesspiegel bedient uns der Stuttmann so gut wie täglich, und man kann ihm einen Willen, aber keinen nationalen unterstellen. (Es sei denn, man geht davon aus, dass Meinungsbildung für die Nation wichtig ist.)
Der gebürtige Schwabe kam 1970 nach Berlin – zweifellos, weil er wie so viele andere junge Männer hier dem Dienst in der Bundeswehr entgehen wollte. Er begann sein Engagement in der linken Sponti-Szene Westberlins und zeichnete viele Jahre lang für die Wahrheit, die Zeitung der SEW. Auch, wenn seine derzeitigen Blätter eher dem liberalen Spektrum zuzuordnen sind, bleibt sein Standpunkt links, wie auch sein neuestes Buch „Wir geben nichts“ beweist. Hier sind seine besten Arbeiten des Jahres 2012 zusammengefasst. Natürlich ist die Bundeskanzlerin seine Lieblingsfigur, aber auch in die FDP hat er sich erfolgreich hineingezeichnet. Man kann von denen Abschied nehmen, die seither die politische Bühne verlassen haben, wie Annette Schavan oder Nicolas Sarkozy. Und man findet die, die wider Erwarten noch immer da sind, wie Philipp Rösler oder Sepp Blatter. Formal beherrscht Klaus Stuttmann die ganze Klaviatur satirischer Zeichnungen von grotesken Situationen (Verkäuferinnen vor einer geschlossenen Schlecker-Filiale fordern „Ehrensold für alle Entlassenen“) über originelle Porträts (Lafontaine und Wagenknecht als Napoleon und Josephine) bis hin zu Anleihen bei anderen populären Künstlern. Disneys Panzerknacker scheinen ihm besonders lieb zu sein. Inzwischen ist das erste Halbjahr 2013 bereits ein „abgeschlossenes Sammelgebiet“, und es dürfen Wetten abgeschlossen werden, welche Stuttmann-Themen es in den nächsten Jahresband schaffen werden.
Ein Homo Politicus war durchaus auch der Zeichner Willy Moese. Wer ihn aus seinen Humorzeichnungen in der Wochenpost, der NBI oder Frösi kennt, möchte es nicht glauben. Erst nach der politischen Wende hat er gelegentlich aktuelle Themen aufgegriffen. Aktionen, wie die Unterschrift unter die Biermann-Petition von 1976 zeigten ihn auch damals schon als politisch wachen Künstler. Das bewiesen beispielsweise seine Plastikaturen (dreidimensionale Objekte mit absichtsvollen Fehlern), von denen eine auf der Dresdner Kunstausstellung von Erich Honecker bewundert wurde. Es handelte sich um eine Journalistenschreibmaschine, die nur die drei Buchstaben B-L-A aufwies. „Auf so einer habe ich Maschine schreiben gelernt!“, soll Honecker ausgerufen haben.
Willy Moese (1927-2007), in Spanien geboren und aufgewachsen, hatte es in der Nachkriegszeit nach Bayern verschlagen. Es waren eher wirtschaftliche Gründe, aber auch die Überzeugung, dass hier wichtige Lehren aus der braunen Vergangenheit gezogen wurden, die ihn 1955 in den Ostteil Berlins führten. Sein Zeichentalent, sein umwerfender Witz und seine große Produktivität machten ihn hier schnell zu einem vielseitig einsetzbaren Karikaturisten. Ganz gegen den Trend wurde er auch ein Pionier des DDR-Comic. Seine Abenteuer von „Klaus und Choco“ aus der Wochenpost waren von 1957-60 mit 145 Folgen die längste Strip-Serie in der DDR-Presse. Und das Äffchen NUK wurde zum Markenzeichen der Illustrierten NBI.
Moeses Witwe Maria – in den sechziger und siebziger Jahren eine beliebte Programmsprecherin des DDR-Fernsehens – hat jetzt viele Blätter aus dem Nachlass sortiert und endlich das von Fans lang erwartete Album „Willy Moese – Karikaturen und Bildgeschichten“ zusammengestellt. Außer den genannten Serien findet man so Beispiele für „Der Zauberlehrling“, „Otto“ und „Onkel Tobby“. Die meisten waren schwarzweiß, aber auch „Trix und Droll“, bei Frösi im Vierfarbendruck erschienen, öffnet dem Leser das Herz. Nicht alle Serien sind vertreten – beispielsweise vermisst man „Bogumil“ von 1963 schmerzlich. Im zweiten Teil des Bandes beweisen zahlreiche ganzseitige Einzelkarikaturen den kritischen Witz des Künstlers. Auch hier wieder viele in Schwarzweiß, was den Kenner enttäuscht, der sich beispielsweise an die vielen gut colorierten Zeichnungen erinnert, die auf den Rücktiteln der Zeit im Bild Ende der fünfziger Jahre erschienen. Dafür hätte man auch eine verkleinerte Wiedergabe gern in Kauf genommen. Und die vielen Titelblätter von WiM, die er für Frösi oder Atze schuf, fehlen allesamt. Gut ist, dass hier ein Anfang gemacht wurde, das Werk des Meisters aufzuarbeiten. Allerdings hat er so viel hinterlassen, dass es ein „Dickes Moese-Buch“ füllen könnte – bei welchem Verlag auch immer.
Auf dem Comic-Festival in München erhielt Anfang Juni eine Zeichnerin aus der DDR den „Peng!“-Preis für ihr Lebenswerk. Eine Frau? Es gibt verschwindend wenige Komponistinnen und Dirigentinnen, Malerinnen sind wenig stärker vertreten, aber Comic-Zeichnerinnen? Es fallen einem Claire Bretécher aus Frankreich ein, oder auch Marie Marcks aus der alten Bundesrepublik. Lona Rietschel gehört dazu, auch wenn ihren Namen in der DDR kaum jemand kannte. Sie wird heute nicht zu Unrecht als „Mutter der Abrafaxe“ apostrophiert und hatte sich seinerzeit unter dem Sammelbegriff „Mosaik-Kollektiv“ versteckt. Der Ehrentitel, an der Wiege der heute erfolgreichsten monatlich erscheinenden Comic-Heftserie gestanden zu haben, gebührt ihr zu Recht, auch wenn sie bescheiden darauf hinweist, dass Lothar Dräger, der „Vater der Abrafaxe“, die Charaktere der drei Gnome festlegte, und andere Kollektiv-Mitglieder sich auch an der grafischen Umsetzung versuchten. Lona Rietschels Entwürfe bestanden aber das, was heute als „Casting“ bezeichnet werden würde.
Die aus dem heute polnischen Reppen stammende Zeichnerin lernte an einer Westberliner Zeichenschule und wurde vom Strich der damals dominierenden Disney-Figuren geprägt. Bei der DEFA wollte sie eigentlich Trickfilmerin werden, aber als das Studio dann in Dresden angesiedelt wurde, blieb sie doch in der Hauptstadt , zumal ihr Mann Kurt Rietschel, der vor kurzem verstarb, inzwischen beim Berliner Tierpark als Tierzeichner gute Aufträge erhielt.
Hannes Hegen holte Lona Rietschel 1960 zum Mosaik, wo sie die Digedags und vor allem Ritter Runkel gestaltete – immer der Leitung von Hegen unterworfen. Der schmiss 1974/75 das Handtuch, und das Mosaik-Kollektiv, das übrigblieb, entwickelte die Abrafaxe als Nachfolger. Schnell etablierte sich Lona Rietschel ohne künstlerische Gängelei zur stilbildenden Zeichnerin der vorgeblich märchenhaften Abenteuer, die immer einen Gegenwartsbezug hatten, und erfand auch eine eigene, stumme Figur: die Ratte, die so manche Abenteuer der Abrafaxe positiv beeinflusste. Als ursprüngliche Ekel-Figur rührte sie an die Herzen der Leser. Bald wurde das Mosaik in die Marktwirtschaft geführt, und Lonas Mission war es, den jungen Zeichnern den Weg zu weisen, die Abrafaxe einerseits in ihren Eigenheiten zu bewahren und doch einem neuen Publikum zu öffnen.
Über all dies berichtet ein schmales Bändchen, das der Mosaik-Verlag zum im Herbst bevorstehenden 80. Geburtstag der Abrafaxe-Mutter herausgegeben hat und viele unbekannte Zeichnungen der Künstlerin enthält. Lona Rietschel steht auch heute noch dem Mosaik-Kollektiv – pardon! – dem Mosaik-Team zur Seite, gibt den jungen Kollegen Tipps und der einen oder anderen Zeichnung ihren eigenen Schwung.

Klaus Stuttmann: Wir geben nichts, Schaltzeit-Verlag, Berlin 2012, 221 Seiten, 19,90 Euro.
Willy Moese: Karikaturen und Bildgeschichten, Komet-Verlag, Köln 2013, 208 Seiten, 14,99 Euro.
Lona Rietschel: Bilder meines Lebens, Mosaik Steinchen für Steinchen, Berlin 2013, 96 Seiten, 16,90 Euro.