16. Jahrgang | Nummer 18 | 2. September 2013

Bilder einer Ausstellung, bei Dunkelheit betrachtet

von Angelika Leitzke

Achteinhalb Kabinette kosten bei Bröhan regulär sechs Euro, oder anders formuliert: Für eine Sonderschau mit 50 Meisterwerken aus der Berliner Secession zahlt man diesen Preis. Die Meister, die da sind: Karl Hagemeister, Walter Leistikow, Hans Baluschek, Willy Jaeckel, Franz Skarbina, Lesser Ury oder Bruno Krauskopf. Von Max Liebermann, dem Führer der damals um 1900 so umstrittenen Künstlergruppe, für dessen Bilder heute auf dem Auktionsmarkt stolze Summen über den Tisch fließen, fehlt jede Spur. Dazu muss der Berlin-Tourist erst hinaus zum Wannsee reisen.
Dafür bietet Bröhan ein bisschen Rummelplatz-Erotik und Proll-Geruch, zum Odeur geadelt durch die Kunst, von Baluschek, dies in grau-grüner Tristesse, damit der Berliner Tourist erfährt, wie schlimm und Hartz IV-mäßig es damals um 1900 an der Spree zugegangen ist. Leider war der „Toulouse-Lautrec von Berlin“ nie in Paris, damals das Mekka für zukünftige Avantgardisten, denn sonst hätte er vielleicht ein wenig den Duft der großen weiten Welt ins Bröhan-Museum geblasen. Für Nicht-Insider: Es handelt sich um eine Berliner Spezialsammlung für Jugendstil, Art Déco und Funktionalismus der Zeit von vor 1900 bis Hitlers Kahlschlag; sie wird, da es das Haus vom Privat- zum Landesmuseum gebracht hat, gut subventioniert, aber meistens nur dann besucht, wenn es nebenan bei den Berggruens zu voll wird.
Baluschek war der Jüngste unter den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession anno 1899, die gegen den kaiserlichen Kunstgott und seine Helfershelfer, gegen preußischen Historienkrampf und verkitsche Anekdote antrat. Glücklicherweise malte Baluschek auch Schneelandschaften, bei Bröhan sehen wir eine in hinterster Ecke, doch so findet wenigstens etwas Licht den Weg in das Kabinett, dessen Fenster streng und nüchtern durch graue makellose Rollos verhüllt sind, während die Beleuchtung an eine Studioaufnahme bei Notstromaggregat erinnert. Merkwürdig, denn hier hängen keine lichtempfindlichen Altmeisterzeichnungen, die den Großteil ihres Lebens in Schubladen und Schubern fristen, auch kein Rembrandt, geschweige denn ein kostbarer Leonardo, ist zu sehen. Grau also die Rollos, grau die Plafonds und Wände, grau auch Baluscheks Bilder – bis auf den Schnee –, und im grauen Licht wirken, so wollen es optische Gesetze, auch die Farben bei den anderen Meistern der Ausstellung etwas blässlich, wenn nicht gar kränklich. Haben sie es verdient?
Etwas Licht sickert ins Haus auch durch Martin Brandenburgs riesenformatiges Engelswunder im Schnee, doch lässt sich über Kitsch bekanntlich genauso gut streiten wie über Kunst. „Wie viele Lichter verdanken nur ihrem Leuchter, dass man sie sieht!“ notierte doch Friedrich Hebbel 1836 in sein Tagebuch. Lichtvoll geht es auch in einer verschneiten Vorstadtbrache von Franz Skarbina zu, der ja bekanntlich von Max Liebermann aus der Berliner Secession hinaus befördert wurde – darüber schweigt aber die Ausstellung. Man ist geneigt zu glauben, diese Secession bestand damals nur aus Jaeckel & Co oder Baluschek & Co.
Im dritten Kabinett wird die Rinnsteinkunst gegen rosa Dekolletés und rote Blusen eingetauscht. Zwar wirkt Lesser Urys Mädchenbildnis etwas katholisch-hochgeschlossen, dafür kitzelt Willy Jaeckels junge Dame die Erotik der männlichen Besucher, deren Durchschnittsalter bei Bröhan ohnehin bei 50 liegt. Daneben gleich Jaeckels Porträt des Schriftstellers Georg Walter Sommer, dessen Brille irgendwie an die des Berliner Kulturstaatssekretärs André Schmitz erinnert, der eigentlich Jurist ist. Vielleicht muss man ihn darum bitten, dem Bröhan-Museum stärkere Glühbirnen zu gestatten, die es in einem beliebten schwedischen Möbelhaus auch in Form von Energiesparlampen recht preiswert gibt. Bruno Krauskopfs Selbstporträt als Soldat im Ersten Weltkrieg erinnert wiederum an eine futuristische Selbstauflösung und soll wohl darauf hinweisen, dass damals aus der Berliner Secession zwei Gruppen mit zwei verschiedenen Führern wurden. Das weiß aber auch nicht jeder, schon gar nicht der weit gereiste Berlin-Tourist aus Amerika, dem das Bröhan-Haus vom Fremdenverkehrsamt dringend angeraten wurde, weil es doch so schön gleich beim Museum Berggruen liegt. Vor diesem standen zu seiner Wiedereröffnung Schlangen an, jetzt nicht mehr; bei Bröhan fehlen sie grundsätzlich. Fragt sich nur, wieso.
Weiter geht es hier zu den Birkenwäldern von Hagemeister, zu Sumpf und Stock und Stein, und – Gottseidank! – auch dieser Künstler hat daran gedacht, lichtvollen Schnee zu malen. Ganz hinten in der Ausstellung wird es ganz vornehm: Leistikows elegante Grunewald-Melancholie breitet sich aus. Einmal tief durch atmen und entspannen! Vergessen wir, dass der gute Mann sich wegen unheilbarer Syphilis die Kugel gab, dass er nie über Norddeutschland hinaus groß bekannt, dass er von Liebermann dominiert wurde. Hier zählt nur, dass er offenbar keinen Schnee malte. Genießen wir dafür seine tiefroten Stämme am Ufer des Schlachtensees, die Mark im feuchten dumpfen Grün. Leider hatte Leistikow auch keine große Affinität zum Sonnenschein, was vermutlich in seiner melancholischen Grundkonstitution begründet lag.
Man schleppt sich im Dämmerlicht noch ein Stück weiter, entdeckt an einer Nebenwand das Plakat, das Ludwig von Hofmann 1899 für die erste Ausstellung der Berliner Secession entworfen hatte: Auch hier wieder, wie kann es anders sein, ein nacktes Weib, das aus seinem entblößten Busen jene Rosen der Malerei pflückt, die der Kaiser für Unkraut erklärt hatte.
Zum Schluss wendet sich der Betrachter noch einmal zurück beim Durchschreiten der Räume: ein kleines Bild von Karl Hagemeister hängt einsam und verloren an einer Wand: der Ausblick aus des Malers Dachstube in Paris im Jahr 1884 mit Blick auf den Invalidendom. Pariser Luft, wenn zwar nicht impressionistisch verklärt und gelichtet, strömt plötzlich ins Bröhan. „Verflucht“, denkt der Sachkundige, „wie kann man so ein Werk nur so blöd platzieren.“ Dafür thront ein Henry-van-der-Velde-Mobiliar breitbeinig auf einem Podest, darunter der Bloemenwerf-Stuhl, den der belgische Papagei – so nannte Nolde den nach Berlin zugelaufenen Belgier – 1894 für sein eigenes Haus bei Brüssel entworfen hatte. Auch das soll wohl die Berliner Atmosphäre zwischen Großstadt und Grunewald um die Jahrhundertwende symbolisieren.
Im Herbst 2013 nun feiert das Bröhan-Museum seinen 20. Geburtstag in der spätklassizistischen Kaserne gegenüber dem Schloss Charlottenburg und direkt neben den Berggruens. Etwas mehr Erleuchtung hätte man sich da schon erwartet.

Grunewald und Großstadtluft. Meisterwerke der Berliner Secession, bis 17. November, Bröhan-Museum Berlin-Charlottenburg, Dienstag bis Sonntag 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr.