16. Jahrgang | Nummer 16 | 5. August 2013

Bemerkungen

Wohnen ist Bärenrecht!

Es ist gut, wenn man alt wird. Dann muss man nicht mehr umziehen. Dann darf man in seiner Wohnung bleiben. Dann wird die sogar auf „altersgerecht“ umgebaut und großzügig erweitert. Aber nur in Berlin. Und nur in Mitte. Und man muss irgendein Sympathie-Vieh sein. Mensch reicht nicht. Man muss irgendwas sein, das die gut betuchten und vermögenden Sponsorinnen der Tierschutzvereine zu Tränen rührt: „Ach wie süß der da hockt, aber schau doch mal, wie traurig der guckt!“
Um den traurig dahockenden alten Obdachlosen macht man einen Bogen. Dieses Elend rührt nicht, das ekelt an.  Warum hockt der ausgerechnet da, wo ich lang muss? Der soll arbeiten gehen! Saß doch jüngst solch eine nicht artgerecht lebende Kreatur in der S-Bahn Richtung Potsdam, als am Hackeschen Markt ein junger Kerl, so der Typ Fitness-Studio plus Malle-Urlaub, zwei Abteile weiter aufsprang und mit einem lautem Aufschrei „Der stinkt!“ das Fenster über mir aufriss und sich befriedigt ob seiner Heldentat wieder neben seinem superschlanken Blondi niederließ. Die im selben Wagen sitzenden älteren Damen nickten tapfer zustimmend. Die werden unter Garantie, wenn sie überhaupt „ein soziales Herz“ haben, gelegentlich einen Euro in die Sammelbüchsen von „Vier Pfoten“ oder „PETA“ oder „Ein Herz für Tiere“ werfen. Und „an Weihnachten“ fünf Euro der Heinz-Sielmann-Stiftung überweisen. Weil man doch etwas für die leidenden Kreaturen tun muss. Was Menschen den armen Tieren auch antun!
Aber es gibt ja die Tierschutz-Aktivisten. Ganz aktiv kletterten die im vergangenen Winter auf das Dach der Bärenwohnung im Köllnischen Park – das ist die Grünanlage neben dem Märkischen Museum– und fuchtelten vor den Objektiven bestellter Honorarschreiber mit bärenfreundlichen Losungen herum. Vom Dach kamen sie schließlich nicht wegen des starken Armes der Ordnungshüter herunter, sie beugten sich der Argumentation, dass Maxi und Schnute – so heißen die beiden Berliner Wappenbärinnen, um die geht es hier – ein Aufwecken aus dem Winterschlafe nur mit sehr wahrscheinlichen gesundheitlichen Schäden überstehen würden. Die Tierschützer meinten, dass die beiden Petzinnen im Zwinger aufgrund nicht artgerechter Haltung leiden müssten.
In vergangenen Jahrhunderten wären die bärenfreundlichen Aktivistinnen in Berlin wegen groben Unfugs für eine gewisse Zeit eingebuchtet worden. So beschäftigten sie a) über eine längere Zeit das Feuilleton der lokalen Presse, b) Bezirksamt und Bezirksverordnetenversammlung des Bezirkes Mitte, c) das Abgeordnetenhaus, d) den Berliner Tierschutzbeauftragten und e) eine Sachverständigenkommission. Die hat jetzt ihr Urteil gefällt: Maxi und Schnute sind mit 27 beziehungsweise 32 Jahren zu alt für einen Umzug. Sie könnten an der Narkose sterben, sich verletzen oder gar Stress erleiden. Da müssen selbst die „Vier Pfoten“ kapitulieren: „Seit 2005 hatten wir immer einen Platz im Bärenwald für Maxi und Schnute reserviert…“, teilte deren Geschäftsführer Carsten Hertwig im Tagesspiegel mit. Klar doch, der Bärenwald liegt irgendwo an der Müritz (wo ist das denn?) und die Berliner Wappenbären hätten ganz gewiss keinen Einfluss auf die Einnahmesituation dieses etwas großflächiger dimensionierten Tierparks.
Übrigens haben die Tierschutzaktivistinnen wenigstens Eines erreicht: Sollten Maxi und Schnute einmal das Zeitliche segnen, wird der Zwinger am Märkischen Museum leer bleiben. Wenn man sich nicht für eine „temporäre Zwischennutzung“ entscheidet. Am ersten bärenfreien Wochenende könnten zum Beispiel Aktivistinnen von „Vier Pfoten“ im Bärenkostüm den Zwinger belegen. Natürlich nicht im echten Bärenfell. In meiner Heimat gibt es zu Pfingsten den schönen Brauch des „Erbsbären“. Dessen Fell ist aus Erbsenstroh. Und wegen der Bären-Mimik („gucke doch mal, wie traurig die gucken“) bleibt noch nachzutragen, dass diese Spezies keine Mimik besitzt. Tierwärter und Dompteure könnten da so manche Geschichte erzählen. Manche auch nicht mehr. Die Tatze war schneller.
Eine Frage bleibt allerdings offen: Warum in drei Teufels Namen lassen sich von Zwangsexmittierung bedrohte ältere Menschen in Berlin nicht als „ursus arctos“ registrieren, sondern beharren störrischerweise auf altmodischen Slogans wie „Wohnen ist Menschenrecht“?

Günter Hayn 

Sie wollen ja nur spielen …

Stephan Gohlke, Pressesprecher des Viertliga-Kickervereins   Fortuna Köln – hat uns über die Entscheidung seines Fußballklubs informiert, dessen Anhängern zu untersagen, mit Fahnen, Bannern und Plakaten antirassistischen Inhalts gegen jene Neonazis zu protestieren, die unter dem Deckmantel angeblicher Fußballbegeisterung das Stadion als Tribüne ihres widerlichen Rechtsextremismus missbrauchen. Grund dafür sei die Angst des Vereins, dass es zu Ausschreitungen kommen könne. „Wir wollen ein sauberes Fußballspiel und keine Auseinandersetzung drumherum“, haben Sie Ihre gotteskindliche Entscheidung in mildbegründende Worte gekleidet. Noch konsequenter wäre es nun, die Fortuna folgte der Tucholskyschen Aufforderung: „Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft“:

Rosen auf den Weg gestreut

Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht – sie sind so zart!
Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart!
Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –:
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!

Wenn sie in ihren Sälen hetzen,
sagt: »Ja und Amen – aber gern!
Hier habt ihr mich – schlagt mich in Fetzen!«
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.
Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft.

Und schießen sie –: du lieber Himmel,
schätzt ihr das Leben so hoch ein?
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!
Wer möchte nicht gern Opfer sein?
Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,
gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen …

Und verspürt ihr auch
in euerm Bauch
den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft –:
Küßt die Faschisten, küßt die Faschisten,
küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft –!

(Theobald Tiger, Die Weltbühne, 31.03.1931)

HWK

Geschocktes Hirn

Forschungsergebnisse der Psychologen der Oxford University eröffnen Arbeitgebern völlig neue Perspektiven, wenn es darum geht, noch mehr aus den Voll- und Teilzeitbeschäftigen der eigenen Unternehmen herauszuholen und solcherart auf kostspielige Neueinstellungen verzichten zu können. Ihr Experiment, bei dem sie Studenten während des Rechnens elektromagnetische Impulse durch den Kopf jagten, erwies eindeutig, dass sich besagte Rechenleistung auf diese Weise steigern lässt. Da sich die verabreichte Dosis dieses experimentellen Elektroschocks ausdrücklich in verträglichen Grenzen gehalten haben soll, sind entsprechende Vorrichtungen nun gut und gerne an jedweden Büroarbeitsplätzen denkbar; schau´n wir mal. Eigentlich sollte das Ergebnis der Oxforder Forscher aber nicht einmal Laien überraschen. Denn – wie ein Mailkommentator dieser Spiegel-online-Meldung anmerkte – seien schon die Galeerensklaven schneller gerudert, wenn man sie mit der Peitsche angetrieben habe. Was damals die neunschwänziger Knute war, sind heute halt die Elektroden rund ums Hirn …

HWK

Muss die Kunstgeschichte neu geschrieben werden?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts revolutionierte die Abstrakte Kunst die Kunstwelt, indem sie auf jegliche naturalistische Motive verzichtete. Man sprach daher auch von „gegenstandsloser Kunst”, die Anhänger der neuen Kunst sogar von „absoluter Malerei“. Für die Malerei hieß das, keine Gegenstände mehr darzustellen, sondern den „inneren Klang von Farben und Formen“ zu erfahren.
Bisher gebührte Wassily Kandinsky (1866-1944) das Verdienst, nicht nur um 1910 die ersten Werke der abstrakten Malerei geschaffen zu haben, sondern auch den neuen Kunststil bewusst entwickelt zu haben. Neben Kandinsky gehörten Frantisek Kupka (1871-1957), Piet Mondrian (1872-1944), Robert Delaunay (1885-1941) oder Kasimir Malewitsch (1879-1935) zu den maßgeblichen Begründern der Abstrakten Malerei.
Nun wirft die die Ausstellung „Hilma af Klint. Eine Pionierin der Abstraktion“ neue Fragen zur Urheberschaft der Abstrakten Malerei auf. Die Gemeinschaftsausstellung, die vom Moderna Museet Stockholm konzipiert wurde, ist vom 15. Juni bis zum 6. Oktober 2013 im „Hamburger Bahnhof –Museum für Gegenwart“ in Berlin zu sehen (anschließend im Museo Picasso Málaga). Sie präsentiert die schwedische Malerin Hilma af Klint (1862-1944) als eine Pionierin der Abstrakten Malerei, die zu den wirklich großen Künstlern des 20. Jahrhunderts gehörte. Da ihre Werke laut Testament jedoch erst frühestens 20 Jahre nach ihrem Tod ausgestellt werden durften, blieben die Künstlerin und ihr vielseitiges Werk auch danach weitgehend unbekannt. Zwar waren einige Werke von ihr in den letzten Jahren in einigen Ausstellungen vertreten, doch erst diese Tournee wird Hilma af Klint wohl international zum Durchbruch verhelfen.
Ungefähr 1500 Gemälde und Zeichnungen hat Hilma af Klint hinterlassen. Nun sind rund 200 Arbeiten zum ersten Mal auf einer großen Museumstour. Ihre bemerkenswerten Bilder entstanden in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts – und zwar in Stockholm, also fern ab von den Kunstzentren in Europa und Russland. So schuf sie bereits 1906 erste abstrakte Werke. Dabei ging es der Künstlerin weniger um die reine Abstraktion von Farben und Formen, sondern um die Darstellung von nicht sichtbaren Zusammenhängen. Wie viele Künstler und Intellektuelle ihrer Generation ließ sich Hilma af Klint von den spirituellen und okkulten Bewegungen ihrer Zeit beeinflussen. Daraus ergaben sich entscheidende Impulse für ihr künstlerisches Schaffen. So ist ihr Werk von Symbolen, Buchstaben und anderen Zeichen durchzogen.
Die Ausstellung gibt natürlich auf die Frage „Hat Hilma af Klint die abstrakte Malerei erfunden?“ keine schlüssige Antwort. Sie macht jedoch deutlich, dass die Künstlerin, noch bevor die russischen und europäischen Vorreiter der abstrakten Kunst von sich reden machten, in ihrer skandinavischen Abgeschiedenheit den Weg zur Abstraktion beschritt. Sie war gewissermaßen ihre eigene Pionierin. Wenn die Kunstgeschichte durch die Ausstellung wohl nicht neu geschrieben werden muss, so liefert sie doch genügend Diskussionsstoff.
Zu dieser bemerkenswerten Ausstellung ist im Hatje Cantz Verlag der umfangreiche und reich illustrierte Begleitkatalog erschienen, der in ausführlichen Essays das komplexe Werk von Hilma af Klint beleuchtet.

Manfred Orlick

Hilma af Klint:Eine Pionierin der Abstraktion, Hatje Cantz Verlag Ostfildern 2013, 296 Seiten, 39,80 Euro.

Revolutionierte Geschichtsschreibung

Unter durchaus denkbaren Umständen hat sich (nicht nur) das Problem der durch die Zeiten sich ändernden Geschichtsschreibung bald erledigt. Zumindest insofern, als sich die Elaborate von Historikern auf die Erinnerungen von Zeugen jener Zeiten berufen, mit denen sich diese beschäftigen. Denn jenes bislang stets risikobehaftete Moment subjektiv fehlerhafter Erinnerungen wird sich in absehbarer Zeit erledigt haben. Forscher vom Massachusetts Institute of Technology ist es soeben gelungen, Mäusen gezielt falsche Erinnerungen ins Gehirn zu schmuggeln. Da es von der Maus zum Menschen biologisch nur ein kleiner Schritt ist, ist das Szenario der Zukunft leicht ausmalbar: Erst wird das der jeweiligen Polit-Herrschaft genehme Geschichtswerk verfasst und dann die Hirne der Untertanen damit gefüttert – was für eine wunderbare „Einheit von Partei und Volk“ wird sich solcherart herstellen lassen.

Helge Jürgs

Blätter aktuell

Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ musste mit seinem Fleisch seine Schulden bezahlen; in Griechenland bezahlen die Menschen den Sparkurs mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben. Heribert Prantl, Jurist und leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung, sucht nach dem aufgeklärten Rechtsbewusstsein in der Schuldenkrise. Er findet ein eklatantes Missverhältnis – zwischen milliardenschwerer Tatkraft bei der Bankenrettung und höchster Apathie bei der Rettung der Krisenstaaten und ihrer Bürger.
Wachstumskritik hat Hochkonjunktur – nicht nur in der Linken. Doch ganz anders als die Verfechter einer Postwachstumsgesellschaft von Harald Welzer bis zum konservativen Querdenker Meinhard Miegel sieht Ralf Fücks, Publizist und Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, im Konsumverzicht einen politischen Irrweg. Nicht ob, sondern wie die Weltwirtschaft wächst, sei die entscheidende Frage für die Zukunft des Planeten. Wir brauchen eine neue industrielle Revolution – doch dieses Mal in grün.
Spätestens seit dem Frühjahr 2000 wussten die Verfassungsschützer von der Terrorgruppe NSU und ihrem Vorhaben, schwerste Straftaten zu begehen. Blätter-Mitherausgeber Micha Brumlik und der Politikprofessor Hajo Funke zeichnen nach, wie die Sicherheitsbehörden die Aufklärung ihres fatalen Versagens systematisch blockieren. Ihr Fazit: Zumindest in Ansätzen existiert auch hierzulande ein „tiefer Staat“ der Geheimdienste – ohne jede Transparenz und Kontrolle.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem zu folgenden Themen: „Der Kampf ums Ehegattensplitting“, „Südafrikas Ringen um ein geeintes Land“, „Der ,Marsch auf Washington‘ und das radikale Vermächtnis Martin Luther Kings“ sowie „Öcalan und Erdogan: Auf dem Weg zum ,osmanischen Frieden‘?“

am

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, August 2013, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet: www.blaetter.de

WeltTrends aktuell

Organisierte Kriminalität ist nicht nur ein globales Phänomen, sondern auch eines mit diversen Ursprüngen, geografisch wie motivisch. Menschen-, Drogen- und Waffenhandel, Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung, Piraterie, Steuerhinterziehung – diese Liste ließe sich fortsetzen. In der jüngsten Ausgabe von WeltTrends werden diese Manifestationen der globalen Kriminalität diskutiert und die Strategien beschrieben, mit denen – mehr oder weniger erfolgreich – dagegen vorgegangen wird.
Anja P. Jakobi (Darmstadt) legt dar, welche Herausforderung „gewaschenes Geld“ für die internationale Kriminalitätsbekämpfung darstellt. Maßnahmen, um Geldwäsche zu unterbinden, können wesentlich dazu beitragen, Aktivitäten krimineller und terroristischer Netzwerke zu behindern.
Michael Radseck und Daniel Flemes (beide Hamburg) konstatieren allerdings, dass die Bekämpfung des transnationalen Drogenhandels wenig effektiv sei; es fehle an der notwendigen Vernetzung der zuständigen Stellen.
Im Kosovo ist nicht nur das Drogengeschäft ein Problem, sondern auch der Menschenhandel. Anstrengungen der UN und der EU, die kriminellen Netzwerke zu zerschlagen, seien weitgehend gescheitert, lokale Macht- und Sozialstrukturen kaum zu durchbrechen, so Joschka J. Proksik (Konstanz).
Weitere Beiträge fügen dem Thema weitere Facetten hinzu.
Stichwort Historie: Am 5. August 1963 unterzeichneten Großbritannien, die Sowjetunion und die USA in Moskau den Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser. Nicht nur, aber auch aufgrund der jüngsten Entwicklungen in Nordkorea plädiert Hubert Thielicke (Berlin) für die Durchsetzung eines globalen Teststopps.

WeltTrends. Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 91 – Juli / August 2013 (Schwerpuntthema: Kriminelle Welt), Potsdam / Poznan, 9,50 Euro (für Bezieher des Newsletters: 6,- Euro) plus Porto. Weitere Informationen im Internet: www.welttrends.de.

Kurze Notiz zu Schkopau

„Das Bürgerhaus ist kein Aufenthaltsbereich für Schülerinnen und Schüler!“ Äußerst gendergerecht weist ein formloses Schreiben gleich an der Eingangstür des Bürgerhauses der Gemeinde Schkopau das ansässige Jungvolk ab. Die Botschaften dieses kurzen Satzes sind eindeutig:
Nummer eins: Schüler gelten hier nicht als Bürger, vielleicht weil sie – in Schkopau gibt es so etwas wie Gymnasien und damit Schüler über 16 Jahre nicht – keine Wähler sind.
Nummer zwei: Schüler sollten generell kein Interesse an Lokalpolitik haben und beispielsweise eine öffentliche Gemeinderatssitzung besuchen wollen. Das könnte ihnen am Ende noch ihren Glauben an die menschliche Vernunft austreiben.
Nummer drei: Die Bibliothek der Gemeinde – auch im Bürgerhaus – soll den älteren Anwohnern vorbehalten bleiben, und das mit Erfolg: Tatsächlich könnten bei der Lesung eines Heimatautors in der Bibliothek alle Zuhörer am Eingang Seniorenrabatt bekommen haben.
Aber Schkopau ist ja so viel mehr als sein Bürgerhaus. Geografisch reicht es von der A 38 bis zur A 9 und von der B 6 bis zur B 181, historisch reicht es – zumindest mit Bedeutung – bis zum Beginn des Tagebaus und der chemischen Industrie in Mitteldeutschland zurück. In Schkopau wohnten die Ingenieure, sagt man hier und verweist auf die kleinen Villen, im und am nahen Leuna-Werk. Heute ist Schkopau ein unscheinbarer Ort, zwischen Merseburg und Halle an der Saale gelegen, der nach 24 Eingemeindungen neben dem eigentlichen Schkopau elf dörfliche Gemeindeteile umfasst, alle mit ihren kleinen Eigenheiten. In Burgliebenau etwa lässt es sich herrlich in einem ehemaligen Tagebaurestloch baden. In Ermlitz steht ein hübsches Rittergut. Naja, und voller Neid lässt es sich durch Korbetha beim Buna-Werk schlendern. Wegen der allgemeinen Verschmutzung und der Ausgleichszahlungen galt dieses Dorf lange Zeit als reichste Gemeinde im Land, manche sagen sogar: in der Republik. Echte Millionäre sollen hier leben. Im Plural. Ein bisschen (wirklich nur ein bisschen: die Ortsbibliothek etwa macht hier nur auf Anfrage auf) davon lässt sich erahnen: Man leistet sich einen komplett auf 30 km/h beschränkten Verkehr. Aber noch immer riecht die Luft recht süßlich und so drängt sich die Frage auf, ob eine Million, falls es sie wirklich dafür gibt, die im Garten chemisch belüftete Wäsche aufwiegt. Geld ist bekanntlich nicht alles.
Doch zurück zum Kern der Gemeinde, zu Schkopau selbst: Es ist arm dran und gut zugleich. Arm, weil es genau zwischen zwei Tarifzonen des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes liegt. Egal, ob jemand von Schkopau nach Halle oder nach Merseburg will, er zahlt also immer für zwei Zonen. Reich, weil hier ein imposantes Schloss steht und dann noch – was sehr selten vorkommt in diesen Breiten – ein restauriertes. Und es wird freier Zutritt gewährt, als wäre der ehemalige Adelssitz, der aktuelle Privatbesitz ein öffentliches Bürgerhaus. Auch für Schülerinnen und Schüler.

Thomas Zimmermann

Wenn die Lichter ausgehen…

Auf ihren drei bisherigen CD-Veröffentlichungen präsentierte sich die norwegische Musikerin Randi Tytingvåg mit kreativem Spielwitz und einer sympathischen Portion Selbstironie, musikalisch verpackt in einer durchaus besonderen Mischung aus Chanson, Folk, Pop und Jazz (siehe auch: „Dem Leben musikalisch auf den Grund gehen“ im Blättchen Nr. 13/2012).
„Lights Out“ reflektiert auf musikalische Weise einen fundamentalen Bruch in ihrem Leben; sie verlor ihr ungeborenes Kind. Dieser Verlust, der Schmerz und die Verzweiflung sind der Inhalt der fünf Titel enthaltenen Mini-CD.
Das Lied „Blind Ignorance“ bringt die völlige Orientierungslosigkeit in einfachen, klaren Worten zum Ausdruck:
„There’s no room to feel sad/There’s no room to feel mad/Even though I’m up and about/Don’t be fooled, I’m feeling down and out.“
Das Stück „Dark“ greift Fragen auf, die sich eine Mutter in einer solchen Lebenssituation beinahe zwangläufig stellt:
“Why did you have to go?/How will I ever know?/What went wrong on the way?/I never had a say…“
Randi Tytingvåg verharrt jedoch nicht in der Rolle der Trauernden. Im finalen Titel „Light Grey“ taucht nämlich auch wieder Hoffnung auf:
„Life and death, it’s like day lights up the night…“
Sie beschreibt in einem kurzen Nachwort an die CD-Hörerschaft, nachzulesen im Booklet, dass der Tod – speziell der Tod von Kindern – in unserer Kultur immer noch ein großes Tabu ist. Letztendlich ist Randi Tytingvåg aber zu der Erkenntnis gelangt, dass Leben und Tod Zwillinge sind.
Diese Zwillingsmetapher hat sie von dem norwegischen Medizinprofessor Per Fugelli entliehen, der selbst im vierten Stück „Reading“ eine kurze Passage aus einem seiner Werke vorliest.
Hier heißt es (nachfolgend in deutscher Übersetzung):
„Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod sind nicht wie Feuer und Wasser. Sie sind Zwillinge, die Hand in Hand gehen sollten. Wir müssen uns befreien von der Fehlwahrnehmung, Menschen in Gesunde und Kranke, Normale und Abnormale, Gewinner und Verlierer aufzuteilen….“
Randi Tytingvågs neue CD ist nicht nur das poetische Beklagen eines Verlustes, sondern auch ein Plädoyer für eine andere Wahrnehmung von Leben und Tod.
Bei der stimmigen musikalischen Einkleidung der Texte sticht das Banjo klar hervor.

Thomas Rüger

Randi Tytingvåg: Lights Out,Mini-CD (2013), Ozella Musik, circa 12 Euro.

Medien-Mosaik

„Eine jut jebrat´ne Jans is eine jute Jabe Jottes“, sagt der Urberliner. Was aber, wenn der Erbonkel aus Hannover kommt und den Berliner Dialekt hasst? Kein J!, ist der Befehl des Vaters. Darauf Theochen: „Wir haben heute in der Schule einen großen Gux gemacht. Da ist einer, der hat eine Guchhe-Nase, und dem haben wir Guckpulver in den Hals gestreut, und da hat er sich so geguckt, bis er nicht mehr gapsen konnte! Ga.“ – Wer über Peter Panters Text von 1930 beim Lesen gelacht hat, kann es noch einmal tun, wenn die umwerfend trockene Katharina Thalbach ihn auf einem Hörbuch vorträgt. „Lottchen beichtet 1 Geliebten“ heißt die CD, deren Titelgeschichte Töchterchen Anna Thalbach mit der nötigen Keckheit vorträgt. Auch die Herren Boris Aljinovic („Danach“), Heiko Deutschmann („Psychoanalyse“), Stefan Kaminski (“Herr Wendriner hat Gesellschaft“) und Walter Kreye („Die Katz“) verschaffen mit freilich gut bekannten Texten des heiteren Tucholsky ein angenehmes Hörerlebnis. Wer aber alles schon kennt, sollte die CD einem Tucholsky-Anfänger zum Geschenk und ihn zum Tucho-Anhänger machen, zumal es die Produktion schon nach nur einem Jahr zum Sonderpreis gibt.
Lottchen beichtet 1 Geliebten, CD im Audiobuch Verlag, 71 Minuten, Originalpreis 14,95 Euro, bei mehreren Anbietern auch 9,99 Euro.

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Begleitet von einigem Mediengetöse wurde vor ein paar Tagen ein „Doku-Drama“ über den Schauspieler und Intendanten Heinrich George (1893-1946) bei arte und ARD gesendet. George war nicht nur wegen seines Körperumfangs bei Bühne und Film unübersehbar. Er war ein kraftvoller Schauspieler, der die komödiantischen wie die leisen Töne beherrschte. Leider ließ der ehemals links engagierte Künstler sich gleich 1933 von den Nazis vereinnahmen, nachdem ihm ein kurzes Spielverbot auferlegt war. In „Hitlerjunge Quex“ spielte er einen brutalen Kommunisten, der durch den Tod seines Sohnes geläutert wird und das Horst-Wessel-Lied schmettert. Bei vielen sich bietenden Gelegenheiten lobte er bis 1945 das Nazi-Regime, wofür er mit der Intendanz des Schiller-Theaters belohnt wurde. Hierher allerdings holte er gezielt Mitarbeiter, die aus „rassischen“ oder politischen Gründen gefährdet waren. Von ihnen erwartete er Dankbarkeit und nahm übel, wenn sich jemand gegen die Nazis engagierte, wie sein Dramaturg Günther Weisenborn. Die Weisenborns nahmen George seine Haltung nicht übel, wie Sohn Christian in einem den Film begleitenden Buch berichtet. Sie sahen in ihm einen großen Volksschauspieler, und die seien nicht ganz ernst zu nehmen. Immerhin machte sich Heinrich George durch seine Mitwirkung in den Harlan-Filmen „Jud Süß“ und „Kolberg“ an der verschärften Judenverfolgung und an der sinnlosen Verlängerung des Krieges mitschuldig. Sohn Götz George möchte gern das Bild eines großen Schauspielers aufrechterhalten. Dass die Sowjetunion, in deren Internierungslager der Schauspieler an mangelnder Versorgung starb, unter größten Opfern das Kriegsende herbeiführte und jedes Recht hatte, gegen Nazis und ihre willigen Mitläufer vorzugehen, hat Götz noch nicht erreicht (obwohl er doch seit 1960 immer wieder Hauptrollen in Filmen gegen alte und neue Nazis spielte). Im Film bleibt alles unentschieden. George als guter Kerl mit ein paar schlechten Seiten. Das Buch ist ausführlicher und kann besser differenzieren. Auch erfährt man, wer die Zeitzeugen aus dem Film waren. Nicht alle Biografien sind allerdings korrekt. Giwi Margwelaschwili floh durchaus nicht vor der Roten Armee von Georgien nach Berlin, sondern wurde hier als Emigrantenkind geboren. – Obwohl es sich vor Wertungen drückt, kann das Buch besser als der Film ein Nachdenken über die Schuld von Mitläufern befördern.
Joachim A. Lang: Heinrich George – Eine Spurensuche, Henschel Verlag, 224 Seiten, 24,95 Euro.

bebe

Wirsing

Das Feuilleton von neues deutschland erinnerte dankenswerterweise an den dänischen Schriftsteller Herman Bang (1857-2012). Er dürfte der Schriftsteller mit der längsten Lebensspanne gewesen sein und übertrifft die unverwüstliche Elfriede Brüning (102) um die Hälfte! Nur schade, dass er seit 1912 nichts mehr veröffentlicht hat. Da ist Frau Brüning doch vorbildlicher!

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Im Teletext gab es bei 3sat und Einsfestival gleichlautend Neues von dem italienischen Schriftsteller Giovanni Verga (1840-1922): „Eine Spezialeinheit der Polizei fand u.a. Hunderte (sic!) Briefe und andere Notizen Vergas aus dem 18. und 19. Jahrhundert.“ Ein Teufelskerl, dieser Verga! Er hat also schon mehr als 40 Jahre vor seiner Geburt Hunderte schriftliche Äußerungen getan. Um darauf zu kommen, braucht man schon eine Spezialeinheit der Polizei.

Fabian Ärmel