16. Jahrgang | Nummer 14 | 8. Juli 2013

Nachdenken über Bodo Uhse

von Wolfgang Brauer

Mir fehlte ein Band seiner „Gesammelten Werke“, und ich war mir sicher, bei meinem Buchhändler, der eine herrlich verkramte Antiquariatsecke in seinem Laden hat, müsste ich fündig werden. „Uhse? Von dem habe ich erst einen ganzen Berg weggeworfen. Keiner will den mehr haben…“ Bodo Uhse ist tatsächlich nicht „en vogue“ – letztmalig wurde 1992 eines seiner Bücher neu herausgegeben: „Söldner und Soldat“ im Aufbau-Taschenbuchverlag.
Bodo Uhse gehörte zu der Generation, in die Schule, Elternhaus und jugendbündlerische Erfahrungen den Keim einer kriegerischen Todessehnsucht überaus erfolgreich gesät hatten. „Und Opfer zu bringen war unseres Daseins Sinn“, lässt er seinen Helden im Roman „Wir Söhne“ (1948) philosophieren. Für den ersten großen Opfergang kam Bodo Uhse aufgrund seines Geburtsjahres 1904 zu spät. Für die Teilnahme am Kapp-Putsch reichte es aber. 1921 trat er dem „Bund Oberland“ bei – einem rechtsextremen Wehrverband, der von der Schlacht um den Annaberg in Oberschlesien bis zum „Ruhrkampf“ und dem Hitler-Ludendorff-Putsch in diverse blutige Auseinandersetzungen der jungen Republik verwickelt war. Die Mitgliederliste des Bundes liest sich von „H“ wie Himmler bis „R“ wie Reinefarth, dem Schlächter von Warschau, wie ein „Who is Who“ der späteren SS-Elite. 1927 trat Uhse der NSDAP bei und schloss sich dem Kreis um die Brüder Otto und Gregor Strasser an. Zunächst in Ingolstadt, dann ein Jahr später in Itzehoe wurde er Chefredakteur nationalsozialistischer Lokalblätter. 1929 zog er mit NSDAP-Mandat in den Stadtrat der schleswig-holsteinischen Stadt ein. Hier fand er Kontakt zur radikalen Landvolk-Bewegung, deren Itzehoer Zeitung Das Landvolk ein unmittelbares Konkurrenzblatt zur von ihm besorgten Schleswig-Holsteinischen Tageszeitung war. Beim Landvolk mischte übrigens Ernst von Salomon mit, zu dem Uhse noch in den 1950er Jahren Kontakt hielt. Die Auseinandersetzung mit dieser Bauernbewegung, die sich zuvörderst gegen Zwangsversteigerungen in Not geratener Höfe und als unverhältnismäßig angesehene Besteuerungen richtete und zunehmend militante Formen bis hin zu terroristischen Aktionen annahm, muss Uhse tief beeindruckt haben. Deren Aktionen passten allerdings mitnichten in das strategische Konzept  der NSDAP-Führung, die sich in jener Zeit, nach dem Niedergang der Mittzwanziger Jahre kaum wieder konsolidiert, diversen Verbotsgefahren ausgesetzt sah.
Im August 1930 war Uhse aus der Partei ausgeschlossen worden, er war dem Braunen Haus inzwischen zu „links“. Ihren Höhepunkt fand Hitlers Buhlen um einen ziviler erscheinenden Anstrich im „Legalitätseid“ vom 25. September 1930 vor dem Leipziger Reichsgericht. Er versicherte, ausschließlich mit „legalen Mitteln“ die Macht erlangen zu wollen. Adolf Hitler war als Zeuge im Prozess gegen drei Ulmer Reichswehroffiziere geladen worden, denen konspirative NSDAP-Aktivitäten in der Reichswehr vorgeworfen wurden. Einer von diesen war der Leutnant Richard Scheringer.
Uhse sollte wenig später in dem von Josef („Beppo“) Römer geleiteten „Aufbruch-Kreis“ (samt der gleichnamigen Zeitschrift 1931 gegründet) „im Sinne des Leutnants Scheringer“ (so der Untertitel des Aufbruch) daran mitarbeiten, national gesinnte Offiziere der Reichswehr und Angehörige des „linken“ NSDAP-Flügels zum Übertritt zur KPD zu bewegen. Römer war übrigens auch Mitglied des „Bundes Oberland“ gewesen. Als spiritus rector des Aufbruch betätigte sich ein ehemaliger Berufsoffizier, der unter seinem Autorennamen Ludwig Renn Weltruhm erlangen sollte.
Die schleswig-holsteinischen Ereignisse fanden insgesamt in drei sehr unterschiedlichen Romanen ihren Niederschlag. 1931 veröffentlichte Hans Fallada sein Buch „Bauern, Bonzen und Bomben“, Ernst von Salomon 1932 eine stark autobiographisch gefärbte Darstellung der Rebellion unter dem Titel „Die Stadt“. Auch Bodo Uhse thematisierte die Landvolk-Bewegung, verbunden mit seinem politischen Seitenwechsel, im schon erwähnten „Söldner und Soldat“.
Das Buch konnte erst 1935 erscheinen. Inzwischen war der Autor KPD-Mitglied. Mit Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges kämpfte Uhse bei den Internationalen Brigaden. In der 11. Brigade, deren Stabschef war Renn, war er ab 1937 als Politkommissar im Einsatz. Nicht nur die spanischen Erfahrungen verarbeitete Uhse im Roman „Leutnant Bertram“. „Warnen wollte ich mit dem Buche, warnen vor dem Krieg, dem Überfall, zu dem man sich in Deutschland rüstete.“ So beschrieb er seine Absichten in der Erzählung „Ein Ferientag zwischen zwei Kriegen“, die 1935 im französischen Exil entstand. Mit der Warnung wurde es nichts, das Buch erschien erst, als der große Krieg schon im Gange war.
„Leutnant Bertram“ ist ein schwieriges Buch. Uhse versucht eine literarische Gratwanderung zwischen klassischem Entwicklungsroman und einem breiten Gesellschaftspanorama Nazi-Deutschlands. Letzteres gelang eigentlich nur Anna Seghers mit dem „Siebten Kreuz“. Und eine „Entwicklung“ gesteht der Autor seinem Titelhelden erst ganz am Ende des Romans zu, als dieser – Pilot der „Legion Condor“ – vom eigenen Staffelkommandeur nach dem Ausstieg aus dem brennenden Flugzeug fast zusammengeschossen, von republikanischen Soldaten aufgelesen, sich den zornigen Fragen des Polit-Kommissars Hein Sommerwand stellen muss. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt Bertram der klassische Anti-Held, ein kalter Routinier des Mordens. Selbst größeren Fieslingen unter dem Personal seines Romans billigt der Autor mehr Empathie-Spielräume zu. Es scheint, als fokussierte Uhse in der Gestalt Bertrams eine abgrundtiefe Enttäuschung über das Versagen seiner ehemaligen Kameraden, die eben nicht seinem Weg nachfolgten, sondern aktive Mittäter Hitlers wurden. Damit zeigt der späte Wandel in der Haltung des Leutnants Bertram prophetische Züge. Der „militärische Widerstand“ gegen Hitler schritt erst zur Tat, als eigentlich schon alles zu spät war – im Erscheinungsjahr des „Leutnants Bertram“ 1944.
Zehn Jahre später erschien der erste Band der als Trilogie über den antifaschistischen Widerstand und den Kampf der Sowjetunion geplanten „Patrioten“. Zum Zeitpunkt des Erscheinens lebte Bodo Uhse in der DDR. Auch er kehrte erst 1948 aus dem mexikanischen Exil zurück und war mit diversesten Ämtern fest im kulturpolitischen Leben des Landes verankert. Allerdings von den moskauhörigen Genossen seiner Partei immer misstrauisch beäugt: Er kam aus dem falschen Exil, hatte die falsche Herkunft, pflegte die falschen Freundschaften und eine falsche Lebensweise – seine amerikanische Ehefrau Alma hielt ein Reitpferd… –, und überhaupt pflegte er ziemlich kosmopolitische Ansichten. Gleich anderen hatte ihn die „Geheimrede“ Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU in tiefe Selbstzweifel gestürzt. Übrigens auch literarisch: Das Konzept der „Patrioten“ war so nicht mehr durchhaltbar.
Es war nur konsequent, dass auch Uhse in den Strudel der Ereignisse um den Janka-Prozess geriet. Auf der Kulturkonferenz der SED im Oktober 1957 – Dieter Schiller bezeichnete diese einmal als Veranstaltung zum Zwecke der „Disziplinierung der Intelligenz“ – musste er Abbitte leisten. „Selbstkritik üben“ nannte man das.
Kurze Zeit durfte Uhse in der Nachfolge Jankas den Aufbau-Verlag leiten. Das Amt verlor er aber genauso rasch, wie er es bekommen hatte. Die kulturpolitische Zeitschrift Aufbau, in die er viel Kraft investiert hatte, wurde 1958 eingestellt. Die Ehe zerbrach, und Alma ging mit den Kindern zurück in die USA. Hinzu kamen erhebliche gesundheitliche Probleme, die auch alkoholbedingt waren.
Am Ende der 1950er Jahre war Bodo Uhse ein gebrochener Mann, der aber immer wieder versuchte, sich gegen seinen künstlerischen Niedergang zu stemmen: Die Erzählung „Sonntagsträumerei in der Alameda“ (1961) gehört zu den eindrucksvollsten Zeugnissen deutscher Erzählkunst des 20. Jahrhunderts. Und sie ist ein trotziges „Und sie bewegt sich doch!“ an die Adresse einer kunstfeindlichen Parteibürokratie.
Bodo Uhse starb vor fünfzig Jahren, am 2. Juli 1963.
„Ungeduldig forderten wir Einlaß in die Welt, die gerade zusammenbrach“, fasst er die Antriebe seiner Generation, für die die Welt der Erwachsenen keinen Platz bot, in „Wir Söhne“ zusammen. Diese jungen Leute landeten in ihrer Mehrzahl in der Gefolgschaft der Faschisten.
Das Gefühl des Nichtgebrauchtwerdens ist heute wieder immanenter Bestandteil jugendlichen Welterlebens in Europa.