16. Jahrgang | Nummer 11 | 27. Mai 2013

Seitenwechsel

von Leo Piotracha

„Seitenwechsel“ ist der Titel einer Ausstellung in Beeskow. Sie betrifft vor allem einige Künstler deutscher Nation, die in den Jahren zwischen 1945 und 1965 von Ost nach West gingen und (oder) auch von West nach Ost. Einige wechselten nicht nur einmal. Der Begriff „Seitenwechsel“ verharmlost. Es ist weit mehr als der Wechsel im Alltag von einer zur anderen Straßenseite. In Wirklichkeit geht es hauptsächlich um den Wechsel, den Umzug, sollte er sich haben arrangieren lassen, oder die Flucht von einem in den anderen deutschen Staat, zumindest seit Oktober 1949.
Herbert Schirmer, letzter Kulturminister der Deutschen Demokratischen Republik, der das „Dokumentationszentrum Kunst der DDR“ begründete und von 1992 bis1998 leitete, hat sich des Themas des Weggangs von Künstlern aus den beiden deutschen Staaten sowohl personell als auch zeitlich im Ausschnitt der ersten zwanzig Jahre nach der Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus angenommen. In der Ausstellung werden Künstler und Künstlerinnen vorgestellt: mit einem Porträtphoto, mit ein oder zwei Werken, meist im Original, und mit einer Kurzbiographie. Aus politischen Gründen kamen 1950/51 Heinrich Ehmsen (1886-1964), Waldemar Grzimek (1918-1984), er war allerdings 1948 von Halle/Saale an die Hochschule in Charlottenburg als Lehrender gegangen, und Oskar Nerlinger (1883-1969) in die DDR. Heinz Trökes (1913-1997) und Mac (im Katalog leider zu Max geraten) Zimmermann (1912-1995) wurden 1947 aus den westlichen Besatzungszonen an die Hochschule für Baukunst und bildende Kunst in Weimar geholt und kehrten nach einem Jahr zurück.
Weitaus dramatischer verlief der Weggang einer ganzen Reihe der vorgestellten Künstler, die im Westen ihre Zukunft sahen – wie Jean Paul Hogère (geb. 1936) und Lothar Fischer (geb. 1932), die inhaftiert waren, und Sieghard Pohl (1925-1994), der zweimal inhaftiert war. (In der Ausstellung ist Pohls Geburtsjahr mit 1923 jedoch leider falsch angegeben.) Gemeinsam mit seiner zweiten Frau, Edda, hat er – zeitlich eingegrenzt auf die Jahre 1965 bis 1979 – übrigens zuerst auf „Die ungehorsamen Maler der DDR“ (1979) aufmerksam gemacht.
Die Künstler, die ihr Studium gerade abgeschlossen hatten beziehungsweise fortsetzten, wie Georg Baselitz (geb. 1938), Gotthard Graubner (geb. 1930), Eugen Schönebeck (geb. 1936), Günther Uecker (geb. 1930) und Gerhard Richter (geb. 1932), der Pfingsten 1961 in den Westen wechselte, waren im Vorteil, da sie ihre Traumkarriere beginnen konnten. Übrigens waren Graubner, Richter und Uecker im Spektrum bundesdeutscher Kunst bereits 1986/87 in der vom Sprengel Museum Hannover unter der Leitung von Lothar Romain veranstalteten, auch im Alten Museum Berlin und im Albertinum Dresden gezeigten Ausstellung „Positionen. Malerei aus der Bundesrepublik Deutschland“ recht umfangreich gewürdigt worden.
Werner Schmidt (1930-2010) hat 1990/91, in der unmittelbaren „Wendezeit“, unter dem Titel „Ausgebürgert. Künstler aus der DDR 1949-1989“ in Ausstellungen in Dresden und Hamburg mit über 650 Künstlern und Künstlerinnen, die die DDR seit dem 7. Oktober 1949 verlassen hatten, auf das Phänomen des Weggangs aufmerksam gemacht. Dass in Beeskow diese erste erschreckende Bilanz nicht erwähnt wird, ist unverständlich.
In dem kleinen Katalog zur jetzigen Ausstellung werden insgesamt 43 Künstler vorgestellt. Zu den in die DDR gekommenen zählen drei Künstlerinnen: Christa Böhme (1940-1991 Freitod) kam aus Liebe 1964 aus Frohnau nach Pankow. Für Elizabeth Shaw (1920-1992) aus Irland und Nuria Quevedo (geb. 1938) aus Spanien jedoch, das erscheint mir wichtig, sollte nicht verschwiegen werden, dass sie im Besitz der Pässe ihrer Herkunftsländer blieben.
„Seitenwechsel“ kann als ein erneut nützlicher Hinweis auf die deutsche Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und von der Norm abweichenden Künstlerbiographien betrachtet werden. Zur Diskussion dürfte die Ausstellung, die noch bis zum 16. Juni 2013 zu sehen ist, genug Anlass geben.

Seitenwechsel. Bildende Künstler von 1945 bis 1965. Eine Ausstellung des Kunstarchivs Beeskow 2011: Frankfurter Straße 23, 15848 Beeskow. Öffnungszeiten: Dienstag-Sonntag 9:00-19:00 Uhr. Eintritt frei. Katalog – 88 Seiten, 5,00 Euro.