16. Jahrgang | Sonderausgabe | 11. Februar 2013

Pilsener Urknall

von Thomas Behlert

Mit der Literatur ist es echt bescheuert, da schreiben debile, ordentlich hirnverbrannte Menschen zwischen Fick und Abendbrot ein Buch und werden verdammt berühmt und schweinereich. Sie erwähnen irgendwelche Tiere, lassen kaum Blut fließen und dringen immer wieder tief ein. Die Menschheit freut sich, hat etwas Dämliches im Zug zu lesen oder kann einen mörderischen Schinken auf das Nachtschränkchen legen, um vielleicht die Zufallsbekanntschaft bei der Stange (sic!) zu halten. Andere Autoren schreiben sich wahrhaftig den Arsch ab, bringen Jahr für Jahr überaus lustige und sehr intelligente Bücher auf den Markt und werden im großen Universum kaum erwähnt.
So ein Mensch war Michael Rudolf aus dem kleinen und verschnarchten Greiz. Er schuftete Tag für Tag am Rechner um lustiges Zeugs für die einschlägige Presse zu entwickeln und verfasste außerdem geistreiche Abhandlungen über Fahrräder, Pilze, Burgen der Umgebung und eben Gerstensaft. Letzteres hatte es dem Rudolf angetan. Er verkostete aus der ganzen Welt mehr als 2000 Sorten, besuchte kleine Brauereien und schrieb darüber wie verrückt, aber immer ordentlich. Wenn er dabei gemein und ehrlich war, berichtete auch mal die große Presse über Micha und auf dem von ihm herzlich gehassten Sender MDR erzählte Rudolf absichtlich lustlos über Bier und die Welt. So kam es vor, dass der Nachrichtendienst dpa Rudolf „Bier-Papst“ und die Zeitung mit den großen Ärschen und den kleinen Meldungen „Biergegenpapst“ nannte.
Die Bücher erschienen zuhauf im zunächst vorbildlich geführten Reclam Verlag Leipzig. Man las und lachte sich scheckig durch die wundervollen Bücher „Bier! Das Lexikon“, „2000 Biere. Der endgültige Atlas für die ganze Bierwelt“ und „Der Pilsener Urknall“ und trank dabei manch empfohlenes Bier. Dann wickelte der westliche „Bruder“ Reclam Dietzhausen den ehrlichen und mutigen Partner in Leipzig ab und ließ viele Bücher erst einmal in der Versenkung verschwinden. Michael Rudolf konnte sich nicht mehr wehren und um seine geistige Kunst kämpfen, da er sich 2007 das Leben nahm. Nun wagt sich sein Bier-Partner und Freund Jürgen Roth an den Nachlass. Nach und nach hebt und überarbeitet er den Bücherschatz, um ihn kommenden Biertrinkergenerationen zu präsentieren.
Gerade ist nun „Der Pilsener Urknall“ erschienen, an dem ich einen ganz kleinen Anteil habe. Und das kam so: Damit das Buch auch zu dem „aufgezwungenen“ Termin veröffentlicht werden konnte, ich immer wieder neue Ländereien, Menschen und natürlich Biersorten kennen lernen wollte und im Besitz von Auto, Fahrerlaubnis und Zeit war, traf man sich zur gemeinsamen Rundfahrt. Familienbrauereien in Sachsen und Thüringen sollten das Ziel sein.
Alles, was hinter den sieben Bergen ein leckeres Bier braute, wurde in jenen Tagen besucht. Da ging es vom „mitteldunklen, schnitzelgoldbraunen“ Reichenbrander Bockbier über das „wahrhaft klassische“ Classic Pilsener bis hin zum „glitzernden Schwarzbier“ Magisterbräu und dem immer ab September erhältlichen Abrahams Bock, welches eine „überraschende Fruchtfülle offeriert“. Nachdem auch das „die Hopfenepiphanie in Unvorstellbare transzendierende“ Vogtland Bräu Export und die „Vollbierpilsenerkraftmischung“ Jüchsener Pilsener frisch abgefüllt in unseren immer schwerer werdenden Rucksäcken verschwanden, ging es noch nach Singen. Hier bewunderten wir beim Einbiegen in den Hof der zweitältesten Brauerei (Gründungsjahr 1672) einen schräg nach oben angelegten Fußballplatz. Mit solch herrlichem Bier im Bunde sind gerade ausgeführte Bauarbeiten wohl auch nicht möglich, denn wie heißt es im Buch sehr richtig: „Das Paradies hat einen Bügelverschluß“.
Neben der erwähnten Geschichte „Die Glorreichen Sieben im Süden“ gibt es wichtiges über die Geschichte des Brauens zu lesen, Mann und Frau erfahren endlich etwas über den Vater aller Bierkritiken, Dr. Heinrich Kleist, der bereits 1575 eine „kritische Biertheorie“ verfasste. Alle die weiterlesen (wer wohl nicht) bekommen außerdem auf amüsante Weise erklärt, warum „das Eigenheimbrauen“ sehr gefährlich ist, was für technische Dinge der Brauer braucht und erfahren endlich, dass die Biere aus der angeblichen Bierstadt München „pflichtvergessen hoffnungslos“, „zerhopft“ sind und zum „Maß aller Undinge mutieren“. Schließlich testete der wagemutige und vor nichts zurückschreckende Rudolf noch einige alkoholfreie Biere und beschimpfte mit goldenen Worten das Unwort „Lecker“, das bei Brauereien mit Geschmacksverwirrung und debilen Fernsehköchen auf „mehlschwitzenschwere Menschenfeindlichkeit“ hinweist.
Insgesamt hat uns Jürgen Roth ein Buch voller schöner Sätze, hervorragender Bier-Recherche, intelligentem Humor und fachlichem Wissen beschert. Nun lasst uns auf die Fortsetzung „Die hundert besten Biere der Welt“ warten, es lohnt sich.

Michael Rudolf: Der Pilsener Urknall, Oktober Verlag, Münster 2012, 210 Seiten,14,00 Euro