von Ulrich Busch
Das 21. Jahrhundert erweist sich in ökonomischer Hinsicht bisher nicht gerade als Erfolgsstory. Dies gilt zumindest für Europa, Japan und Nordamerika. Erst platzten weltweit die Telekommunikations- und Internetblasen und scheiterte die „New Economy“ als Hoffnungsträger postindustriellen Wachstums. Dann führte die „Politik des billigen Geldes“ in den USA und anderswo zu einem Immobilienboom, der schließlich in eine tiefe Krise mündete. Die Folge war eine Banken- und Finanzmarktkrise, die 2008 ihren Höhepunkt mit der Lehman-Pleite fand und schließlich eine weltwirtschaftliche Rezession auslöste. Dies rief die Staaten auf den Plan, um die Banken zu retten und die Wirtschaft zu stabilisieren. Das gelang auch, jedoch nur um den Preis einer ausufernden Staatsverschuldung. Seitdem gelingt in Europa weder ein durchgreifender Konjunkturaufschwung noch der Abbau des Schuldenbergs. Zudem droht mittelfristig ein Anstieg der Inflation, was zusätzliche Ängste schürt.
Angesichts dieser Bilanz stellt sich die Frage: Wer ist schuld an dem Schlamassel? Die Politik, die neoliberale Ideologie, die Wirtschaftstheorie, die Finanzmärkte oder die Banken? Täglich liest man darüber in den Zeitungen, hört Berichte und sieht Reportagen. Die Antwort scheint schwierig und überaus komplex. Experten streiten sich darum, Professoren bemühen sich um Aufklärung und Journalisten suchen nach griffigen Erklärungen. Viele Menschen aber interessiert das überhaupt nicht. Sie wissen die Antwort auch so. Und es ist auch diesmal wieder eine sehr einfache Antwort, die da lautet: die Banken sind schuld!
Zuerst war es die leichtfertige Kreditvergabe, die einen Boom auslöste und damit der Krise den Boden bereitete, dann die Erfindung „toxischer Finanzprodukte“, womit die Märkte infiziert wurden. Als dem Finanzsystem der Kollaps drohte, half der Staat mit Steuergeldern und rettete die Banken vor dem Ruin. Jetzt halten diese ihr Geld zurück, bewirken eine „Kreditklemme“ und verhindern so den Aufschwung. Statt der Wirtschaft zu dienen, spekulieren sie auf den Finanzmärkten und verdienen dabei auch noch kräftig, nicht zuletzt durch Boni, die sie sich großzügig gewähren. – So ungefähr sehen die „Erklärungen“ aus. So oder so ähnlich beantworten viele Menschen die Frage nach der Schuld und den Schuldigen an der nicht enden wollenden Krise. Dies ist nicht nur eine einfache, sondern auch eine bequeme Antwort, denn sie blendet alles aus, was auf eine Systemkritik am Kapitalismus hinauslaufen würde. Zudem leugnet sie das massive Politikversagen, den Deregulierungs- und Privatisierungswahn der 1990er Jahre, wodurch der Spekulationszauber überhaupt erst möglich wurde. Und sie ignoriert die Verantwortung der Realwirtschaft und der Nichtbanken für die Krise, ihre Rolle als Kreditnehmer, Aktionäre und Käufer toxischer Wertpapiere. All das zählt nicht, wenn man die Schuld einzig den Banken zuweist und sie damit zu Sündenböcken für das Versagen eines Systems macht, einer Ideologie, einer Theorie, einer Politik.
Zweifellos haben die Banken durch ihre Geschäftsmodelle und fragwürdigen Finanzprodukte zum Ausbruch der Krise maßgeblich beigetragen. Aber erstens betrifft dies nicht alle Banken und zweitens war dies nur möglich, weil andere Akteure – Politiker, Kreditnehmer, Anleger – das Spiel mitgemacht und nach Kräften unterstützt haben. Es erscheint daher mehr als fraglich, ob die Banken-Schelte tatsächlich zutreffend ist oder nicht eher ein bloßes Ablenkungsmanöver darstellt, um eine weitergehende Kritik zu verhindern.
Dennoch ist es richtig, für die Banken und die Finanzmärkte einen neuen und besseren Ordnungsrahmen zu schaffen, wie es die Bundesregierung jetzt vorhat. Der Opposition geht der Gesetzesentwurf dafür jedoch nicht weit genug. Sie verlangen weitaus stärkere Konsequenzen, bis hin zur Zerschlagung der Banken. Wichtige Anregungen dafür kommen von dem Bremer Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel, der 2012 im Econ Verlag eine „Streitschrift“ mit dem Titel „Zerschlagt die Banken“ vorlegte, die inzwischen mehrere Auflagen erlebt hat. Der Autor rechnet darin mit den Banken ab – grundsätzlich, kompromisslos und unversöhnlich. Der Titel seiner Schrift ist zugleich Programm: Das Bankensystem soll durch eine bis „an die Wurzel gehende Zerschlagung“ in seinen Grundfesten zerstört werden, Teile des Bankgeschäfts „abgeschafft“, ja „vernichtet“, das Personal „entlassen“ und die „Bankentürme“ in der Frankfurter City als „Symbole unverantwortlicher Renditegier“ zurückgebaut werden.
Diktiert wird dieser radikale Vorstoß von einer ungeheuren „Wut“, die kaum noch Platz für eine differenzierte Sicht und eine sachlich begründete Argumentation lässt. Für ein Fachbuch aber ist Wut ein schlechter Ratgeber: Allzu leicht gleitet die Argumentation in bloße Polemik ab und wird aus begründeter Kritik überzogenes Geschimpfe. Die vorliegende „Streitschrift“ ist trotz bemerkenswerter Einsichten in die politökonomischen Zusammenhänge des Finanzkapitalismus nicht gänzlich frei davon, die Lektüre daher teilweise anstrengend: Zu einem Drittel liefert sie ernst zu nehmende Argumente, eine fundierte Kritik der Bank- und Finanzgeschäfte und konstruktive Ideen für eine Reform des Finanzsektors. Das zweite Drittel aber besteht größtenteils aus überzogenen Angriffen auf das Bankwesen. Der Rest ist Wiederholung. Fragt man nach den theoretischen Grundlagen für die scharfen Attacken des Autors auf die Banken, so bleibt die Antwort unbefriedigend: Eine seiner zentralen Thesen geht von einer „Spaltung des Geldes“ aus: Dem „realen, durch die Produktionswirtschaft gedeckten Geld“ stehe „das irreale, fiktive Geld gegenüber – schaffendes Geld“, schreibt er, werde „durch fiktives Geld“ überlagert. Dies wirft zwei Fragen auf. Erstens: Was kennzeichnet Geld als „real“ beziehungsweise als „fiktiv“? Und zweitens: Was ist „schaffendes Geld“ – im Unterschied zu „fiktivem Geld“, das hier zudem mit „Raffgier“ konnotiert wird? Es entsteht der Verdacht, dass diese Unterscheidung lediglich konstruiert ist, um der Kritik an den Banken ein Fundament zu liefern.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Vorschläge für eine grundlegende Bankenreform. Dass eine solche überfällig ist, ist unstrittig. In Fachkreisen wird darüber seit langem diskutiert und mit dem Gesetzesentwurf der Regierung liegt nun endlich auch ein konkretes Papier dazu auf dem Tisch. Kern dieser Initiative ist es, den spekulativen Eigenhandel der Banken ab einer bestimmten Größenordnung vom normalen Kundengeschäft zu trennen und dieses dadurch sicherer zu machen. Hickels Vorschläge gehen jedoch bedeutend weiter: Da er das Universalbankensystem als Hauptmangel des deutschen Bankensystems ausmacht, verlangt er dessen Beseitigung und die Errichtung eines „Trennbankensystems“ angloamerikanischer Prägung. Zugleich wird ein „Rückbau“ des Bankwesens gefordert. – Einerseits erscheint es unabdingbar, die bestehende Finanzarchitektur zu reformieren. Andererseits aber sollte eine derartige Reform nicht schlechthin den Rückbau des Finanzsektors beinhalten, sondern vor allem dessen Umbau in Hinblick auf die Erfordernisse einer globalisierten Ökonomie der Zukunft. Appelle dagegen, die Banken auf ihre „originären Funktionen“, die Einlagensammlung und die Kreditvergabe, „zurückzustutzen“ und alles andere „abzuschaffen“, zu „zerschlagen“, „einzudampfen“, „zurückzuschrauben“ oder einfach zu „verbieten“, wie Hickel dies fordert, erscheinen eher kontraproduktiv.
Die Vorstellung des Autors, wonach sich die „Zukunft durch den Rückblick“ erschließe – eine Formulierung, die von Adam Müller stammen könnte – taugt wohl kaum als Leitsatz für die anstehende Bankenreform. Sie ist eine romantische Fiktion, weil sie einerseits über das ökonomisch gebotene Maß einer Entfinanzialisierung der Wirtschaft hinausschießt, andererseits aber sich an Vorbildern aus der Vergangenheit orientiert, nicht aber an den Erfordernissen der Zukunft.
Rudolf Hickel: Zerschlagt die Banken, Econ Verlag, Berlin 2012, 224 Seiten, 14,99 Euro
Schlagwörter: Bankenreform, Bankensystem, Finanzkrise, Rudolf Hickel, Ulrich Busch