16. Jahrgang | Nummer 2 | 21. Januar 2013

Organspende? Aber nicht hier!

von Sarcasticus

Im Jahre 2010 wurden in Deutschland 5.083 Organe übertragen – vor allem Nieren (2.937) und Lebern (1.282) sowie Herzen (393) und Lungen (298) – durchschnittlich rund acht Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Mit Organverpflanzungen, wenn sie gut gehen, werden Leben gerettet, und selbst wenn sie schief gehen, wird damit eine Menge Geld verdient. Die Kosten einer Lebertransplantation können nach Angaben des Universitätsklinikums Heidelberg bis zu 200.000 Euro betragen, und auch eine Nierenverpflanzung kommt, so die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie, auf bis zu 65.000 Euro. Bei diesen Preisen und den aktuellen Skandalen um die Manipulationen in den Transplantationszentren in Göttingen, Regensburg, München und Leipzig liegt die doppelte Frage nahe, was bei den beteiligten Sparten und Akteuren der Gesundheitsindustrie wohl überwiegen mag: die Sorge um den Patienten oder das wirtschaftliche Interesse? Und in welchem Ausmaße wohl die hehre hippokratische Absicht nur der ethisch-moralische Nebelschleier vor dem schnell anrüchigen pekuniären Motiv sein mag?
Beide Fragen werden durch nicht wenig grundsätzlich Zweifelhaftes im deutschen Transplantationssystem ebenso befeuert wie durch die regelmäßig ans Tageslicht kommenden Auswüchse und Verfehlungen. Gerade erst hat deswegen die private Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die praktisch Herrin über die gesamte postmortale Organspende in Deutschland ist, einen Saubermann als neuen Interimschef verordnet bekommen, nachdem dieser Körperschaft seit langem Managementfehler, Geldverschwendung und zweifelhafte Aktivitäten mit dem unappetitlichen Odeur des Nepotismus vorgeworfen worden waren. Der Niedergang der DSO wie auch die aufgelisteten Skandale werden von Experten als Ursachen dafür benannt, dass die Organspenden 2012 deutschlandweit stark rückläufig waren – um insgesamt zwölf Prozent.
Die jüngste Novellierung des Transplantationsgesetzes vom vergangenen Jahr soll die Bereitschaft zur postmortalen Organspende im Lande fördern, indem alle gesetzlich Krankenversicherten nunmehr regelmäßig Post von ihrer Kasse erhalten, in der sie praktisch aufgefordert werden, ihr individuelles Einverständnis zu erklären. Allerdings: Eine Information darüber, was das in der Praxis bedeuten kann, unterbleibt.
Fakt ist: Inhaber von Organspendeausweisen, die erst einige Zeit nach ihrem Tod in den Wirkungsbereich der bundesweiten Organspendelogistik geraten, sind wertlos, denn bei Leichen werden grundsätzlich keine Organe für Transplantationen entnommen. Voraussetzung für Explantationen sind vielmehr atmende oder künstlich beatmete Körper mit schlagendem Herzen. Das können zum Beispiel hirntote Opfer von Verkehrsunfällen sein. Berechtigt zur entsprechenden Organentnahme sind in Deutschland 1.349 Krankenhäuser (Angabe für 2010), die über mindestens eine Beatmungsstation verfügen. Die können den potentiellen Organspender auch über längere Zeit frisch halten, wenn passende Organempfänger nicht sofort zu ermitteln sind. Erst direkt im Kontext der Organentnahme werden dann die gegebenenfalls künstliche Beatmung des Spenders und damit auch dessen Herztätigkeit beendet.
Wer sich also zur Ausstellung eines Spenderausweises entschließt, der sollte keinesfalls zugleich eine Patientenverfügung erlassen, mit der er für den Fall seines Todes lebenserhaltende Maßnahmen der Apparatemedizin untersagt. Beides schließt sich aus. Nicht auszuschließen ist hingegen, dass die medizinische Einrichtung dem Organspenderausweis den Vorrang einräumt, wenn im Falle des Falles kein voll im Stoff stehender, energischer Bevollmächtigter des Erlassers einer Patientenverfügung deren Einhaltung notfalls auch mit Rechtsmitteln durchsetzt. Denn in Deutschland stehen nach aktuellen Angaben nicht nur 15.000 Menschen auf Wartelisten für Spenderorgane, sondern es ist auch das erwähnte handfeste wirtschaftliche Interesse des Medizinbetriebes und seiner Betreiber im Spiel.
Aber wer ein uneingeschränktes „Ja“ in seinem Spenderausweis verzeichnet hat, der darf zumindest davon ausgehen, dass er unter Umständen wirklich maximal Menschen helfen wird, denn in diesem Fall dürfen nicht nur die lebensrettenden Organe wie Herz und Nieren entnommen, sondern es darf sämtliches Körpergewebe als Rohstoff pharmakologisch weiter verarbeitet werden. Dass der Spenderausweis darüber allerdings keine Auskunft gibt, das zählt bis auf Weiteres auch zu dem Zweifelhaften im System.
Nächst postmortalen Organspenden, die für den ganz überwiegenden Teil der jährlich transplantierten Organe sorgen, liefern Lebendspenden von Verwandten, bisweilen Freunden für Erkrankte weiteres Material für Verpflanzungen (vor allem Nieren und Teile der Leber). Die Stiftung Lebendspende vermerkt auf ihrer Homepage zur Bedeutung dieses Bereiches: „Der Anteil der Lebendnierenspenden hat in Deutschland in den letzten Jahren stetig zugenommen und liegt derzeit bei 27,9 % aller durchgeführten Nierentransplantationen.“ Offenbar ist die Stiftung darum bemüht, diesen Anteil weiter zu erhöhen, denn es heißt auf der Homepage zugleich: „In Deutschland werden derzeit jährlich fast 2.100 Nieren von Verstorbenen transplantiert. Der tatsächliche ,Bedarf’ dürfte etwa doppelt so hoch sein.“
Dass eine Lebendspende dabei für den Spender selbst mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden sein kann, vermerkt die Stiftung zwar auch – aber der Tenor ihrer Information lautet, dass „die Entnahme für die Lebendnierenspende allgemein als ungefährlich gilt […] Geringfügige Komplikationen (Harnwegsinfekt, Wundheilungsstörungen, Temperaturerhöhungen etc.) werden bei bis zu 13 % der Operierten beobachtet und sind langfristig meist ohne Bedeutung. Die Sterblichkeit nach der Nierenentnahme ist extrem gering […]“.
In der Öffentlichkeit, so ein Beitrag von Report Mainz schon im Jahre 2011, herrscht der Eindruck vor, dass man auch mit nur einer Niere ganz gut leben könne. Dem Bericht zufolge leiden aber bis zu 26 Prozent der Spender nach der Organentnahme unter einem Erschöpfungssyndrom. Das kann zu dauerhaften Leistungseinschränkungen führen, so dass körperlich herausfordernde sportliche Aktivitäten oder auch bestimmte Berufe nicht länger ausgeübt werden können – also bis zu einer maßgeblichen Verschlechterung der Lebensqualität der Spender. Ein führender deutscher Transplanteur bestritt in dem Report-Beitrag allerdings jeden Zusammenhang zwischen einer derartiger Symptomatik und vorausgegangener Organentnahme; er lehnte folgerichtig deren Thematisierung gegenüber potenziellen Organspendern mit dem Hinweis ab, das würde diese nur verängstigen. Bei solchen Transplanteuren dürfte man als Nierenempfänger auf jeden Fall besser aufgehoben sein, denn als -spender …
Seit 2011 hat sich an der unzureichenden Aufklärung von Lebendspendern über ihre möglichen Gesundheitsrisiken übrigens nichts geändert. Im November 2012 griff die taz das Thema auf und resümierte: „Die Ethikkommissionen prüfen bloß die Freiwilligkeit der Spende. Nicht aber, ob diese dem Spender mehr schadet als dem Empfänger nutzt.“
Für die 47 derzeitigen deutschen Transplantationszentren, die am internationalen Organvergabesystem Eurotransplant beteiligt sind, begann das Jahr 2013 trotzdem mit einem Paukenschlag: Eugen Brysch, der Chef der Deutschen Stiftung Patientenschutz, hat gefordert, dass noch in diesem Jahr die Hälfte der Transplantations-Zentren geschlossen werden sollte, um die Überschaubarkeit und Kontrolle in diesem Bereich zu erhöhen. Diese Forderung war – nach den 2012 aufgedeckten Regelverstößen in Göttingen, Regensburg und München – direkter Ausfluss des zu Jahresbeginn offenbar gewordenen Manipulationsskandals am Universitätsklinikum in Leipzig, wo mindestens 38 Patienten, die auf eine Spenderleber warteten, zusätzlich ein (nicht vorhandenes) Nierenversagen attestiert worden war, um ihnen bei Eurotransplant eine höhere Dringlichkeitsstufe zu verschaffen. Aus Sorge um die Patienten? Der Leipziger Klinikchef denkt offenbar in eine andere Richtung, denn er sagte, „ich kann nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass kein Geld geflossen ist“.
In Göttingen nämlich konnten sich, wie man inzwischen weiß, Patienten die Vorzugsversorgung mit Organen erkaufen. Der dortige Chefarzt war darüber hinaus durch eine Leistungskomponente in seinem Vertrag zusätzlich „stimuliert“: Jede Lebertransplantation brachte ihm einen Bonus von 2.000 Euro – in Summe im Jahre 2010 insgesamt 112.000 Euro. Mag dies auch ein Extremfall sein, generell gilt, was Autoren der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unter dem Titel „Die Tricks der Transplanteure“ zusammenfassten: „[…] eine florierende Transplantationsabteilung ist eine Goldgrube für das gesamte Krankenhaus. Schon mit einer vergleichsweise geringen Patientenzahl lässt sich viel Umsatz erzielen. Je mehr transplantiert wird, umso größer ist auch die Gewinnmarge pro Patient, weil die ohnehin anfallenden Kosten für Personal und medizinische Geräte nicht mehr so ins Gewicht fallen. […] Finanziell belohnt wird dadurch die schiere Zahl der Transplantationen, nicht aber die Erfolgsquote, gemessen zum Beispiel an der Zahl der Patienten, die nach einem Jahr noch leben. Hohe Transplantationszahlen sind noch aus einem anderen Grund attraktiv: Sie ziehen zahlungskräftige Patienten aus dem Ausland an. Die können außerhalb des üblichen Budgets abgerechnet werden.“
Zu strafrechtliche Konsequenzen werden die bisher bekannt gewordenen Manipulationen von Patientenakten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht führen – wegen fehlender gesetzlicher Grundlagen. „Wir haben hier“, so der Münchner Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch, „eine Strafbarkeitslücke.“ Und auch der Straftatbestand der Körperverletzung gibt wenig her: Andere Patienten mussten zwar wegen der Manipulationen länger auf ein Spenderorgan warten, und mancher davon könnte in der Zwischenzeit sogar verstorben sein, aber beweisbar ist dies praktisch nicht …
Übrigens: Wer bei Einlieferung als hirntotes Unfallopfer nicht sofort als Ersatzteillager ausgeschlachtet oder gegebenenfalls längere Zeit frisch gehalten werden will, dem bietet die Initiative „Christdemokraten für das Leben“ jetzt eine „LifeCard“ zur dauernden Mitführung in der Brieftasche an. Darauf erklärt der Unterzeichner in sieben verschiedenen Sprachen: „Ich bin kein Organspender und widerspreche hiermit einer Entnahme meiner Organe und Gewebe.“ Ob das allerdings was nützt, wenn die Beatmungsstation gerade frei ist?