15. Jahrgang | Nummer 21 | 15. Oktober 2012

Blauer Dunst

von Sarcasticus

Wir Normalverdiener und Kleinsparer ohne krisensicheren Immobilienbesitz und breit gestreutes Aktienportfolio können ja nur hoffen, dass Angela Merkel und ihre Fachmannen und -frauen bei ihrer in die Hunderte von Milliarden gehenden Banken- und Euro-Rettungs-Jongliererei den Überblick behalten und unserem schönen (wenigen) Geld nicht auch noch den Rest geben. So wie sie es mit dem Sozialstaat, der parlamentarischen Demokratie, dem Gesellschaftsvertrag zwischen den Generationen und anderen lieb gewonnenen Schrullen der vergangenen Jahrzehnte praktisch bereits getan haben. Falls dazu, die Währungskiste nicht auch noch zu vergeigen, allerdings die Beherrschung des kleinen Einmaleins gehören sollte, dann glaubt man am Besten gleich an die unbefleckte Empfängnis – denn rechnen können die oberen und mittleren Amtsträger der politischen Klasse hierzulande ganz augenscheinlich nicht. Das zeigt ein einfacher Seitenblick auf ein in diesem Kontext womöglich abwegig erscheinendes Feld – das Rauchen.
Dass dieses zum Tode führen kann oder – wie Fachleute etwas eleganter formulieren – das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko unserer Zeit darstellt, ist ebenso bekannt, wie es bekanntermaßen noch keinen bekennenden Raucher vom blauen Dunst abgehalten hat. Aber darum geht es hier nicht. Hier geht es ums Geld. Dazu haben die Herren Experten Michael Adams (Professor Doktor) und Tobias Effertz (nur Doktor) von der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften am Institut für Recht der Wirtschaft der Universität Hamburg bereits im Jahre 2009 in einer Veröffentlichung aufgelistet, dass sich die jährlichen direkten Kosten infolge Rauchens für das Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft hierzulande auf knapp 8,7 Milliarden Euro summieren. Diese Kosten umfassen den Wert der im Gesundheitssektor aufgrund tabakbedingter Krankheiten verbrauchten Arzneimitteln und anderen Güter, der notwendigen medizinischen Dienstleistungen wie Operationen sowie die Kosten von Rehabilitationsmaßnahmen.
Für die genannten 8,7 Milliarden Peanuts kann man zwar nicht mal eine mittlere Bank retten, aber irgendwie aufgebracht werden müssen sie schon. Vielleicht dient ja dazu die Tabaksteuer? Nach Veröffentlichungen aus jüngsten Tagen waren das im vergangenen Jahr über 14 Milliarden Euro. Per Saldo also ein gutes Geschäft. Für den Fiskus und damit für uns alle, Raucher – zumindest die überlebenden – inklusive. Gesundheitspolitiker mögen das anders sehen, aber Haushaltspolitiker sehen das genau so und tun Einiges, und sei’s Perfides, dafür, dass die Bilanz so erfreulich bleibt. Als nämlich zwischen 2002 und 2005 die Tabaksteuer drastisch angehoben worden war, stieg das Steueraufkommen nicht auf die erwarteten 16 Milliarden Euro, sondern fiel auf nur noch rund 13 Milliarden, weil zu viele Menschen mit dem Rauchen aufhörten oder sich fortan ihre Sargnägel mit billigerem Feinschnitt selbst fertigten. Im Bundesfinanzministerium war man darob nicht amused. Über die daraufhin sich entfaltende Findigkeit berichtete dieser Tage die Berliner Zeitung: „Daher beschlossen Union und FDP Ende 2010, die Tabaksteuer künftig nur noch in winzigen Schritten anzuheben, um die Menschen ja nicht vom Rauchen abzuhalten. Zwei Erhöhungen hat es seitdem gegeben, eine am 1. Mai 2011, die andere am 1. Januar 2012. Weitere werden folgen. Ein Bericht des Finanzministeriums zeigt nun, dass die Strategie aus Sicht der Kassenwärter bisher erfolgreich war: ‚Das vorrangig verfolgte Ziel, Marktverwerfungen zu vermeiden, ist erreicht worden’, heißt es in schönstem Bürokratendeutsch in einem Schreiben an den Bundestags-Finanzausschuss. Dem Bericht zufolge wurden die Erwartungen sogar weit übertroffen. So kletterten die Einnahmen aus der Tabaksteuer im vergangenen Jahr auf 14,4 Milliarden Euro. Ein neuer Rekord. Der Absatz von Zigaretten stieg erstmals seit Jahren wieder, und zwar um fast fünf Prozent. In diesem Jahr werde sich diese Entwicklung fortsetzen, wie das Ministerium stolz verkündete. Als Erfolg wird auch gewertet, dass die Raucher nicht mehr nur auf den immer noch niedriger besteuerten Feinschnitt umsteigen. Sie kauften stattdessen vermehrt Großpackungen mit bis zu 40 Zigaretten, die vergleichsweise günstig sind, aber dennoch mehr Steuern einbringen als die selbst gedrehte Kippe.“
Bevor nun aber die Empörung ob dieser diabolischen Vorgehensweise zu hoch schwappt, seien zumindest die Wähler von Union und FDP daran erinnert, dass sie die Leute sind, die jene Typen ins Amt geholten, die solches zu verantworten haben. Die Idee selbst mag ja aus der Ministerialbürokratie entsprungen sein, aber von der Leine gelassen werden deren Repräsentanten immer noch von der Spitze.
Und genau an dieser ist es, so die Eingangsbehauptung, mit den Rechenkünsten nicht weit her. Denn neben den direkten gesundheits- und volkswirtschaftlichen Folgekosten des Rauchens gibt es nach Adams / Effertz noch indirekte Kosten, „die dadurch entstehen, dass aufgrund von Krankheit und vorzeitigem Tod ansonsten von den Betroffenen hergestellte Güter und Dienstleistungen nicht mehr erstellt werden können“. Und die belaufen sich auf fast 25 Milliarden Euro jährlich – bei weit über 100.000 toten Aktiv- und Passiv-Rauchern per anno. Macht zusammen an direkten und indirekten Folgekosten fast 34 Milliarden Euro. Jedes Jahr. Damit wird das „gute Geschäft“ zu einem ruinösen Flop – allein aus haushalterischer Sicht.
Das Ende der Fahnenstange in Sachen Folgekosten ist damit allerdings noch nicht erreicht. Adams / Effertz vermerken: Hinzuaddiert werden müssten noch die intangiblen Kosten. Sie „umfassen zusätzlich die Einschränkungen der Lebensqualität, das Leid und die Schmerzen der Betroffenen“, seien erheblich, aber schwer zu quantifizieren, weswegen sie meist völlig unter den Tisch fielen.
Unter Krisenbewältigungs- und Präventionsgesichtspunkten – wer hier jetzt immer noch widerspricht, liefert einen mehr als hinreichenden Grund für seine unverzügliche Entmündigung! – wäre ein allgemeines Rauchverbot das einzig Vernünftige. Das ist natürlich nicht zu befürchten, denn das tun Politiker grundsätzlich nicht. So wie sie ja auch noch nicht eines von den volkswirtschaftlich komplett sinnlosen, für die jetzige Finanzkrise ursächlichen Spekulationsgeschäften verboten haben, zu deren, also der Finanzkrise, Eindämmung die Rettungsmilliarden immer voluminöser rotieren.
Wie konnte ich eingangs eigentlich auf die inkludierte Mutmaßung kommen, dass ein Nichtvergeigen der Währungskiste überhaupt im Bereich des – und sei’s hypothetisch – Möglichen liegt? Wahrscheinlich wieder nur panisch an den eigenen Spargroschen, respektive -cent gedacht …