15. Jahrgang | Nummer 20 | 1. Oktober 2012

Wie mich eine österreichische Plattenfirma am Ostrock verzweifeln ließ

von Thomas Behlert

Irgendwie kann man weit nach der verdammten Wiedervereinigung nicht vom Ostrock lassen. Die deutschen Kamellen werden dabei ignoriert, sondern lieber die Bands aus den ehemaligen RGW-Ländern mit der Musikkiste wiedervereinigt. Es ist doch herrlich, wenn polnische Rockbands, wie Skaldowie oder Breakout, tschechische (Blue Effect, Olympic) oder ungarische (Scorpiò, Hungaria, 2+1) Kapellen mit zischelnden Lauten oder gar in schlechtem Deutsch über Liebe, Triebe und brennende Wälder (Sonnenuntergang!) singen. Die LPs sind mittlerweile abgespielt oder nicht mehr vorhanden, also freut man sich, wenn rührige Firmen den einen oder anderen Mist neu verlegen. Beim „Buschfunk“-Vertrieb fand ich so ein neu aufgelegtes Werk von Collegium Musicum, einer Combo aus der CSSR. Verlegt, zusammengestellt und mit bisher unbekannten Bonustracks versehen vom Salzburger Verlag Enigmatic. Da muss es doch noch mehr etwas geben, das man gern kaufen würde, so dachte ich mir. Und so erging’s mir daraufhin.
„Buschfunk“ selbst, so musste ich erfahren, hatte sich auch nur eine Ladung CDs von einem Kunden organisiert, der diese zuvor seinerseits auf einer Plattenbörse günstig ersteigern konnte. Niemand kennt eine E-Mail-Adresse des Salzburger Verlages oder gar eine Seite im Internet. Nächtelanges Recherchieren brachte keine neuen Erkenntnisse, sondern nur die Feststellung meiner Frau: „Du mit deinem scheiß Ostrock!“
Auf einer Seite von den Skalden konnte ich noch entdecken, dass es von diesen ebenfalls lustige neue Zusammenstellungen gibt. Eine obscure Fanseite berichtet, dass von der ungarischen Gruppe Omega gar seltene englisch gesungene Songs existieren. Die Scheibe steht zwar in der Discographie auf der Fanseite, ist aber leider nicht käuflich.
Im Netz hat Enigmatic also keine Adresse, sondern nur auf der Rückseite des Albums von Collegium Musicum: arbeitend in Salzburg, in der dortigen Alpenstraße 95. Wer mehr Stoff haben möchte, der schreibt halt einen liebenswerten Brief, bittet um den Katalog und schickt als Schreiberling einer wichtigen Tageszeitung auch gleich noch mehrere brennende Fragen journalistischer Natur mit. Dann bricht Vorfreude aus: Herrlich, wenn ich erst die Alben von General, Niemen oder der Hobo Blues Band in den Händen halte!
Doch nach unruhigen Tagen kommt der Brief zurück, mit dem Vermerk: „Unbekannt“. Mittlerweile dreht sich das Debüt vom Quartett CM als Dauerschleife im Player, da leider mit Nachschub nicht zu rechnen ist. Fanatiker, die die Ostmusik-Seiten und die Omega-Freunde-Seite betreuen, können ebenfalls nicht helfen, sie verweisen lediglich auf eine asiatische Plattenfirma mit eben dem Namen Enigmatic, die im Netz zwar präsent ist, aber nur Trance, Techno und anderen Firlefanz feilbietet.
Musik bedeutet Kampf, und außerdem will ich unbedingt diesen Ostkram mein Eigen nennen. Daher wollte ich mir die Telefonnummer der Salzburger von einer „heißen“ Auskunft heraussuchen lassen, erhielt aber nur die Botschaft, dass unter der dortigen Adresse kein Enigmatic Records zu finden ist, nur eine Firma namens „Konrad Electronics“. Ein Anruf machte mir sofort klar, daß dieser Konrad nur Fernseher und HiFi-Anlagen verkauft und mit CDs nichts zu tun hat.
Ich kam keinen Schritt weiter, konnte nur noch von einem Melodie-&-Rhythmus-Mitarbeiter erfahren, dass es sich bei dem Collegium-Musicum-Albumum eine lupenreine Bootleg-Scheibe handeln muss und ein Weiterkommen unmöglich ist, auch wenn sich auf der CD das böse Wort „GEMA“ gedruckt findet.
Was machen die Österreicher mit dieser Musik? Werden die Tonträger heimlich über die Grenze nach Polen, Ungarn und Tschechien geschmuggelt? Fragen über Fragen, die nicht zu klären sind. Nur die Musik von Vacho, Varga, Frèso und Hàjek kann ich genießen.
Das Quartett aus Bratislava beschäftigte sich ab 1977 mit herrlichen Instrumentalkompositionen und mit Adaptionen klassischer Stücke. Dabei spielte der jetzt Solo arbeitende Marian Varga neben Orgel auch viele elektronische Instrumente. Seine pianistisch durchgebildete Technik kommt besonders bei „Hommage an J.S. Bach“ und „Concerto in D.“ (nach Haydn) zum tragen. Man spürt zwar die Vorbilder E, L & P sowie Ekseption, erkennt Zitate aus klassischen Sinfonien (Bach, Rachmaninow, Strawinsky) und erlebt viele neue Töne, wobei das instrumentale Können der Musiker die Gefahr musikalischen Leerlaufs unterbindet.
Auf dem Album findet man neben einer EP und dem ersten Album auch den erwähnten Bonustrack „Hommage à J.S. Bach“ von einem AMIGA-Sampler aus dem Jahre 1973. Sehr gut auch nicht zuletzt: „Ulica plnà plàstov do dazda“. Insgesamt ist die Erinnerung an die wohl außergewöhnlichste tschechoslowakische Band mehr als gelungen. Collegium Musicum muss man haben! Einfach mal bei Buschfunk nachfragen.

P.S.: Enigmatic – bitte melde dich, ich brauche mehr von dem Stoff.