von Renate Hoffmann
Spätestens seit Schillers Ballade weiß man, dass Polykrates (6. Jh. v. Chr.), Tyrann von Samos, entschlossen das Schicksal herauszufordern, einen kostbaren Ring ins Meer warf. Er hielt ihn für das höchste Gut all dessen, was er sein Eigen nannte. War es ein seltener Edelstein, den er am Finger trug? Wohnten ihm ungewöhnliche Kräfte inne? Seither rätselt man. Smaragd oder Lapis lazuli? Hochkarätig? Mit Einschlüssen oder „lupenrein“? Woher kam die Preziose?
Im Deutschen Edelsteinmuseum der Stadt Idar-Oberstein begebe ich mich auf die Suche – und gerate mitten hinein in Aladins Wundergarten aus Tausend-und-einer-Nacht, in dem Diamanten, Smaragde, Rubine und Türkise auf den Bäumen wuchsen. Hier allerdings liegen sie wohlverwahrt in Vitrinen; sorgfältig beschriftet, ihre Herkunft verratend, ihre Geschichten erzählend. – Schimmer und Schönheit und magischer Zauber wecken Wünsche und Begehrlichkeiten. Ach, wie hängt doch unser Herz an dem bunten Geflirre… Zuerst die Belehrung, dann die Gelüste!
Mehr als zehntausend Schaustücke versammelt das Haus in seinen Schatzkammern. Zusammengetragen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und geschuldet dem Reichtum seiner heimischen Gefilde an kostbarem Gestein. Frühzeitig entdeckt, abgebaut und beschrieben (1605): „In der Herrschafft Oberstein / bey Ider / gibt es Chalcedonier / Christallen / Blutstein / zuweil auch Smaragden …“
Insbesondere die „Chalcedonier“, und unter ihnen der vielgestaltige, vielfarbige, vielstrukturierte Achat, begründeten letztlich Idar-Obersteins Ruhm und Ruf als Stadt der Edelsteine. Doch nicht allein der Achat zählt zu den verborgenen Schätzen der Landschaft. Man findet Amethyst und Bergkristall, Rauchquarz und Jaspis.
Nun sind mineralische Kostbarkeiten nicht schlechthin edles Gestein. Spuren von Eisen – als Exempel – wandeln Quarz zum eleganten violetten Amethyst. Fehlen sogenannte „Spurenelemente“, so bleibt Bergkristall ein schlichter farbloser Quarz. Achat ist eigentlich ein schalenförmiger, strahlenförmiger oder gebänderter Chalcedon – der hinwiederum gehört ebenfalls zu den Quarzen. Und diese ordnet man den Oxiden zu. Mit etwas Chrom als Zusatz wird der Beryll zum königlichen Smaragd. Und der Lapis lazuli, der schöne Blaue, gewinnt durch Pyrit-Einschlüsse sein apartes Goldgesprenksel. Beide Schmucksteine gehören, nüchtern betrachtet, zu den Silikaten. – Diese Kenntnis schabt vorübergehend an der Aura meines gern getragenen Silikatringes.
An die hundertfünfzig Fundstellen im Umkreis von Idar-Oberstein sollen es einstens gewesen sein, an denen man den Edelstein-Abbau betrieb. Die geologisch außergewöhnliche Situation sprach sich bis nach Weimar herum und stimmte Herrn Goethe verdrießlich (1814): „Ich tadele mich, daß ich mir niemals die Zeit genommen, Oberstein und die Gegend zu besuchen, es scheint wirklich daselbst eine geognostische Paradoxie zu Hause zu seyn.“ – Seit dem Jahre 1875 ist der Abbau im Gebiet jedoch eingestellt.
Um mich nicht nur mit dem Überschwang einer eitlen Seele den Schätzen des Hauses zu nähern, versuche ich zu ergründen, was edle Steine zu edlen Steinen macht. – Sie unterliegen einem strengen Testat. Man prüft Farbe und Reinheit. Den Diamanten wünscht man sich möglichst „lupenrein“; während die winzig kleinen Partikel im Opal diesen erst „opaleszieren“ lassen. Die Lichtbrechung lässt so manchen Edelstein in den Farben des Regenbogens aufblühen. Zu weiteren Merkmalen gehört auch der Seltenheitswert.
Für Pracht und Einmaligkeit steht der „Grüne Dresden“; größter, bisher bekannter, tropfenförmiger, geschliffener, grüner Diamant. Teuer erworben vom Sohn August des Starken von Sachsen und in einer Hut-Agraffe gefasst. Gleich einem Hofstaat umschmeicheln ihn 413 große, mittlere und kleine Brillanten. Das „Grüne Wunder“ von Dresden. Geblendet steht man im „Neuen Grünen Gewölbe“ davor. – Im Edelsteinmuseum sehe ich seine Nachbildung, inmitten der Schar berühmter Diamanten. Er hüllt sich in einen unergründbaren blaugrünen Glanz.
Die verborgenen Wunder der Tiefe, ob in natürlicher Form, feinstem Schliff, in kunstvoller Verarbeitung oder im technischen Einsatz – das Haus breitet sie aus. Achate mit mehrfarbiger Schichtung, die vom tiefen Braun bis zum Maisgelb fächert. Bergen sie Hohlräume (Drusen), so tragen sie in sich oft eine zweite kristalline Welt aus Amethysten oder Bergkristall. Große, die Musterung geschickt aufnehmende Schalen, Döschen, Ketten und Trinkbecher (nur edlem Wein vorbehalten!). Der Achat lässt sich gut bearbeiten und setzt der Fantasie keine Grenzen. In dünnen, durchscheinenden Schnitten spiegelt die Maserung zierliche Landschaften vor, als wären es Rohrfederzeichnungen. Und überall, dem Auge eine Lust, locken in allen nur denkbaren Farbtönen die schönsten Edelsteine; sie stammen aus den fünf Erdteilen.
Ich halte Umschau nach Smaragd und Lapis lazuli. – Der noble Grüne galt bereits in der Antike als hochgeschätzte Kostbarkeit. Damals gewann man ihn vornehmlich aus den Smaragdgruben der Cleopatra in Oberägypten. Die Inkas sahen in ihm etwas Göttliches. Und göttlich, verführerisch leuchten auch die Steine in der Vitrine, ihr Spiel mit dem Grün treibend. Dunkel-seidig, grell und kühl, klar – jedoch weich; getrübt, oder mit einem „jardin“ aus kleinen Einschlüssen im Inneren versehen (Aladins Wundergarten). Wer denkt da noch an ein hexagonales Beryllium-Aluminium-Silikat mit ein bisschen Chrom?
Vor einem Halsschmuck aus Lapis lazuli mit Goldtüpfelchen im satten Blau, erklärt mir eine Besucherin, solch eine Kette habe ihre Großmutter getragen. Er ist wohl etwas aus der Mode gekommen, der uralte Schmuckstein, den man häufig in den ägyptischen Königsgräbern entdeckte. Als Skarabäus, den Glücksbringer oder für Intarsien gebraucht. In den westlichen Bergen des Hindukusch liegt sein Hauptfundort.
Ich erfahre auch von der Heilwirkung der Edelsteine (dabei muss allerdings der Glaube nachhelfen). Verschiedene Zu- und Umstände sollen durch ein edles Mineral ihr Deckelchen finden; darunter die Trunksucht, das Stolpern, Krampfadern, Pickel, Hysterie, Ischias und auch die Traurigkeit. Dem Smaragd sagt man Hilfe bei Appetitlosigkeit, Hämorrhoiden und Vergesslichkeit nach. Wer Warzen bekämpfen möchte, der greife zum Lapis lazuli. Er bürgt außerdem für gegenseitige Zuneigung und Treue.
Noch bleibt zu klären, was es mit Polykrates’ Ring auf sich hat. Smaragd oder Lapis lazuli? Vielleicht besaß er … sowohl als auch? Einen für den Vormittag, den anderen trug er nachmittags. Die edlen Steine waren gleichermaßen hochkarätig, wertvoll und selten. Was machte es da schon aus, wenn einer von ihnen ins Wasser fiel?!
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