15. Jahrgang | Nummer 14 | 9. Juli 2012

Dieter Zimmermanns Bilderteppich „Der Grübelzwang“

von Klaus Hammer

Der im Spreewald-Dörfchen Brahmow lebende Maler-Philosoph Dieter Zimmermann will keine Weisheiten verkünden, sondern Zweifel provozieren, nagende Zweifel an den Scheingewissheiten unseres Tuns und Denkens. Kausalketten knüpft er mühelos zu Endlosschleifen, Ordnungssysteme wandeln sich unter seiner Hand zu Irrgärten. Das Umdrehen oder Spiegeln einer Aussage, ihre Mehrdeutigkeit, oder lediglich das pure Wörtlich-Nehmen, das die intendierte Sinnübertragung verweigert, dient nach alter Eulenspiegel-Regel stets der Wahrheitsfindung, zumindest der Klarheit, sprich Verunklärung.
Vor zehn Jahren hat er mit einem Zyklus von Bildern „Der Grübelzwang“ begonnen, zwei Jahre später war dieser schon auf 200 angewachsen, jedes Bild 40 x 50 cm, aufgeteilt in 3 x 4 Segmente. Nun, zur Ausstellungseröffnung in Cottbus, zählt er schon 636 Leinwände. Ein unbeschreibliches Erlebnis bietet sich dem Betrachter. Zimmermann zieht in seinen graffitihaften Bildern provokative Quer- und Längsschnitte durch das öffentliche und geheime Leben der Zeitgenossen. Dabei bedient er sich des Comic, der sich selbst als eine bestimmte Art von Realität, als Sur-Realität, darbietet, des durch Absurdität und Dada-Humor lebenden Strip, der mehrschichtigen, konterkarierenden Erzählweise, der Verbindung räumlich getrennter, aber zeitgleicher Ereignisse, der Bühne, die für seine Figuren zur Kulisse ihres Dramas wird. Wir erleben detailfreudige Inszenierungen und weiträumige Kameraperspektiven. Einzelszenen sind stockartig neben-, über- und ineinander aufgebaut oder finden erst ein paar Bilder später ihre Fortsetzung. Die Wege und Stege zwischen den Bildern erweisen sich als schwankend und in die Irre führend, Rissigkeiten, Bruchlinien, Unterhöhlungen der Festigkeit der Materie sind an vielen Szenen abzulesen. Das Ruinöse steckt bereits im Detail. Zimmermann zeichnet Architekturen wie Potemkinsche Dorffassaden, lässt durch prismatische Brechungen die Leere wirken.
So hat er seine Bilderketten bezeichnet: „Biografie…Werkverzeichnisse, Sammlung erschröcklicher Ereignisse, Wunder und Scheinwunder. Ersatzfestplatte. Geschichten aus Wald und Flur, Muzel-Schwemme (Muzel – das ist sächsisch die Staubflocke, von Zimmermann für seine Skizzenblätter verwendet). Tagebücher. Selbstüberraschungen…Provinzpossen. Verkaufsresistente Bilderwelten, gruslige Sehlandschaften, Serviervorschläge…Imaginäres Heimatmuseum. Gestückelte Geschichten. Und wieder die Avantgarde verpfählt. Im und um den Kopf herum, Bilderblase, kleine Katastrophenfilme, verwackelte Aufschwünge, Bildstörungen…usw.“ Jeder kann sich das heraussuchen, was ihm am ehesten genehm sein könnte.
Denn das sind seine Bilder auch: Spuk-Inszenierungen, Protokolle einer möglichen Wirklichkeit, ungemütliche Stillleben, stille Katastrophen, strahlende Apokalypsen. Dramatik zwischen materieller und psychischer Realität.
So steht man vor seinem wändefüllenden Bilder-Kosmos, ist zunächst einmal überwältigt und fängt dann doch zu grübeln an: Was bedeutet diese Szene, wo findet sie ihre Fortsetzung oder hat der Maler abrupt sein Thema abgebrochen und ist zu einem neuen übergegangen? Hat diese Geschichte einen Hauptschauplatz und mehrere Nebenschauplätze? Oder wird jene Geschichte noch einmal in einer anderen Reihenfolge und anderen Farbe abgespult und der Betrachter zum Narren gehalten? Stellt sich der „Heureka“-Effekt ein, wenn man einen Teil mit einem anderen verknüpfen konnte, schmunzelt man verständnisinnig oder ist irritiert, sucht man dann schon wieder angestrengt den Ariadne-Faden für die nächste Geschichte … So schnell lassen einen die Bilder Zimmermanns nicht los, man nimmt sie mit in den Alltag hinein.

Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus, Uferstraße /Am Amtsteich 15, Di – So 10-18 Uhr, bis 26. August. Katalog 14 Euro