14. Jahrgang | Sonderausgabe | 21. Mai 2012

„Wäre das die Partei gewesen, die mich ertragen hätte …“

von Frank Burkhard

Gute Biografien erzählen nicht nur ein Leben nach, sondern machen die gesellschaftlichen Umstände eines Lebens deutlich. Einige neuere Erinnerungs-Bände vergegenwärtigen uns die Kultur und Kulturpolitik in den beiden deutschen Staaten, und ein bisschen auch in dem dritten, den es seit 1990 gibt.

Ein erfolgreicher Film- und Fernsehregisseur, der seine größten Erfolge in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren hatte, hat kurz nach seinem 70. Geburtstag Erinnerungen veröffentlicht. Obwohl er vieles andere gemacht hat, bleibt Günter Meyer berühmt für seine „Spuk“-Geschichten, und so heißt sein Buch auch „Die Geister die ich rief … Vom Vergnügen, Filme zu drehen“. Für Meyer, der nicht ganz freiwillig beim Dokumentarfilmstudio gelandet war, begann die Erfüllung, als er Ende der siebziger Jahre mit der DFF-Serie „Spuk unterm Riesenrad“ einen solchen Erfolg landete, dass auch eine Kino-Version der Produktion entstand, dann zwei Folge-Serien in der DDR und noch einmal drei in den vereinten deutschen Republiken. Der Satiriker C.U. Wiesner (Frisör Kleinekorte) hatte die ersten Geschichten geschrieben und damit eine Travestie auf die real existierende DDR verfasst, spannend, kindgemäß und doch mit genügend Anspielungen, die auch den Eltern Spaß machten. Natürlich war das einigen in der Partei verdächtig, und wie die Fernsehmacher die Klippen umschifften, ohne allzu viel von ihrem Anliegen aufzugeben, davon berichtet Meyer in seinem Buch, das mit Fotos und Dokumenten reich bebildert ist. Natürlich erwähnt er auch ausführlich seine anderen Filme, Dokumentarfilme über den Untergrund von Berlin oder die Kino-Erfinder Skladanowsky, Spielfilme wie „Die Squaw Tschapajews“ oder „Kai aus der Kiste“. Es klingt deutlich hindurch, wie gern Meyer trotz aller Probleme – auch in der DDR – Filme gemacht hat. (Günter Meyer, Die Geister, die ich rief …, DEFA-Stiftung, Berlin 2011, 127 Seiten, 8 Euro)
Nicht so ganz glücklich dürfte – wenn man der neuen Biografie seines Sohnes glauben darf – Gerd E. Schäfer in der DDR gewesen sein. Der Westberliner Schauspieler (der zusammen mit „Havelkaiser“ Günter Pfitzmann zur Schule gegangen war), kam wegen guter Arbeitsbedingungen in den Osten. Hier, vor allem bei der Distel und im DEFA-„Stacheltier“ entwickelte er sich zum beliebten Komiker, obwohl er sich zu „Höherem“ berufen fühlte. Dass ihm ein berühmter Kollege wie Erwin Geschonneck die Anerkennung versagte, hat ihn gewurmt. Mit dem Papagei „Feffi“ in der Märchenstunde wurde er ein Liebling der Kleinen, mit „Maxe Baumann“ erklomm er die höhere Stufe zum Volksschauspieler. Schäfer gehörte zu den Schauspielern, die Forderungen und Bedingungen stellten – die nicht immer erfüllt wurden. Alexander G. Schäfer, selbst auf den Brettern zu Hause, verschweigt den schwierigen Charakter des Vaters nicht, erzählt aber aus der Warte des liebenden Sohnes viel Persönliches und Anekdoten, die ein mildes Scheinwerferlicht auf den 2001 verstorbenen Komiker werfen. (Alexander G. Schäfer: Vorhang auf: Gerd E. Schäfer, Eulenspiegel Verlag, Berlin 2012, 208 Seiten, 16,95 Euro)
In seinem Buch „MK Bilderbuch – Ein Sammelsurium“ bekennt Manfred Krug, dass er sich über Gerd E. Schäfer, beispielsweise in „König Drosselbart“, noch heute köstlich amüsiere. Der mehrfache Filmliebling des Jahres von Neues Leben bis FF dabei hat zu seinem 75. Geburtstag nun endlich das Buch herausgebracht, auf das seine Fans schon lange gewartet haben. Manfred Krug hat für die Herausgeber Krista Maria Schädlich und Oliver Schwarzkopf sein Archiv geöffnet und das Gedächtnis befragt, und herausgekommen ist ein opulenter Bild-Text-Band, der alle Façetten von „Mannes“ Persönlichkeit berücksichtigt. (Manfred Krug: MK Bilderbuch, Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2012, 344 Seiten, handsignierte limit. Auflage, 69,80 Euro)
Wir erleben den Zehnjährigen, der nach der Scheidung seiner Eltern mit dem Vater in die DDR geht, den jungen Schlaks, der aus der Schauspielschule fliegt und dafür zu Brecht geht, den Fernseh- und Filmschauspieler, der das Glück hat, von Frank Beyer und Ralf Kirsten Rollen zu erhalten, in denen er Charakter zeigt. Wir erleben MK noch einmal in seinen musikalischen Auftritten, wobei dem „Sportinʼ Life“ in Götz Friedrichs Inszenierung von „Porgy and Bess“ eine besondere Bedeutung zukommt, und wir können uns anhand der hunderte von Bildern noch einmal an die vielen Serien erinnern – vom „Traumschiff“ über „Auf Achse“ und „Liebling Kreuzberg“ bis zum „Tatort“, die MK im Westen drehte. Alles kommentiert er mit dem lakonischem Witz, den man von ihm kennt. Die Familie kommt nicht zu kurz (seine Frau Ottilie gibt einen roten Faden durch das Buch ab), und auch die Brüche – meist politischer Natur – werden in Wort und Bild eindrucksvoll gestaltet. Er hat ein unverkrampftes Verhältnis zu seiner Vorzeige-Rolle in der DDR: „Ich hab den Parteisekretär gespielt, der ich selber gern gewesen wäre, wäre das die Partei gewesen, die meine Mitarbeit gebraucht oder wenigstens ertragen hätte.“
Neben vielen Anekdoten sind die kurzen Charakteristika, mit denen er viele Kollegen bedenkt, lesenswert, etwa über Christel Bodenstein, Kurt Maetzig, Curt Bois und natürlich Jurek Becker. Oder hier: An einem Tisch des Künstlerclubs „Die Möwe“ lernt MK eine junge Schauspielabsolventin kennen, die ihm von ihrer Prüfung erzählt. „Für mich war es ein aufregendes Erlebnis. Irgendwie verwandelte ich mich vom Zuhörer in einen Kameramann. Ich sah die junge Schauspielerin in einer Großaufnahme und hörte gespannt dem Text zu, den sie für diese Rolle, die sie gerade spielte, gelernt hatte. Sie fand die richtigen Worte, machte die richtigen Pausen, gab ihrer Stimme die richtige Dynamik, lachte und war ernst, genau an den richtigen Stellen im Text. Ich war total verzaubert. Wenn diese Person keine erfolgreiche und begehrte Filmschauspielerin wurde, wer dann!“
Diese junge Schauspielerin sollte mehrfach seine Partnerin werden. Jutta Hoffmann, die am Ende der DDR in einer Kritikerumfrage nach der besten DDR-Filmschauspielerin siegte, hat nach mehrmaligem Drängen nun auch Erinnerungen vorgelegt. Das Buch ist längst nicht so umfangreich wie Krugs, aber ansehnlich und informativ. Die Hoffmann gibt noch weniger Privates preis als Krug, aber sie lässt den Kenner doch deutlich zwischen den Zeilen lesen. Wir erfahren vom unbedingten Drang des jungen Mädchens, Schauspielerin zu werden und von ihren Zweifeln, als sie es dann war. Immer wieder üben – das ist ihre Maxime bis in reife Jahre geblieben. Sie kann streng und diszipliniert sein, aber auch volkstümlich. So mancher – nicht zuletzt Alexander Kluge – liebt ihren halleschen Zungenschlag. Viele Stationen – nicht alle – sind berücksichtigt, die Arbeit mit Egon Günther natürlich und die mit Schleef, auch, dass sie Außerordentliches im Tonstudio geleistet hat und leistet, kommt zur Sprache. Gastautoren lassen das, was sie selbst zu lakonisch mitteilt, plastisch werden. Im vielleicht letzten gemeinsamen Text von Christa und Gerhard Wolf heißt es: „Jutta Hoffmann war nicht umzustoßen. Sie zeigte ihr Gesicht klar, unverstellt, manchmal zornig, manchmal traurig, immer beteiligt. Sie war und ist klug, das gibt ihrer Arbeit eine weitere Dimension. Sie war und ist leidenschaftlich, das ergibt mit der Klugheit eine Mischung, die nicht so häufig vorkommt. Gefühl, frei von Sentiment.“ Bitte, liebe Theater- und Filmemacher – bitte endlich wieder mehr davon für uns alle! (Jutta Hoffmann, Schauspielerin, Das Neue Berlin, Berlin 2012, 188 Seiten, 19,95 Euro)