14. Jahrgang | Nummer 26 | 26. Dezember 2011

Unser weiches Herz für Kinder

von Wolfgang Brauer

Alljährlich so kurz vor Weihnachten, da werden alle Herzen weich. Auch die der reichen Leute. Besonders die der reichen Leute. Die spenden dann. Charity nennt sich das oder Benefiz-Gala oder Wohltätigkeitsbasar. Oder auch EIN HERZ FÜR KINDER. Das Herz für Kinder entdeckte 1978 der Verleger Axel Springer. Man kann auch – laut Google.de – ein Herz für Tiere, Drogen, Windhunde oder Tiere-Kalender haben. So die Reihenfolge beim „googeln“. Das „Herz für Tiere“ gehört Springer nicht, das erscheint im Gong Verlag und der gehört zur WAZ-Mediengruppe. Die kuschelt eher mit einer anderen großen Partei. Deren hohe Zeit kommt nach dem Fest, wenn all die Viecher, die unter dem Tannebaum angebunden waren, sich doch nicht als so gute Idee erwiesen… Aber an Weihnachten, wie das neue Leitdeutsch sagt, haben wir eben ein Herz für Kinder. Da erinnern wir uns gern an den Bösewicht Ebenezer Scrooge aus der „Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens und werden genau wie dieser vor dem Fest so richtig gut.
Und in Berlin fand gestern die große Benefiz-Gala statt, nicht für Tiere – die für Kinder natürlich! Im Ullstein-Haus. Klar wurde da für einen guten Zweck, nein für viele gute Zwecke gesammelt. Aber das wichtigste war denn doch der letzte, ja der wirklich letzte ZDF-Auftritt von Gummibärchen-Tommi. Wir sind alle so traurig. Aber er geht ja nun zur ARD und hat ein wunderschönes neues Studio, das so aussieht, wie sich das DDR-Fernsehen in Agentenserien einmal den Westen vorstellte. Und so bleibt er bei uns. Mit einem Blechkoffer, wie in allen wichtigen Zeitungen zu sehen war. Wichtig waren im Ullstein-Haus auch die anderen VIP’s und Promis wie Udo Lindenberg und Peter Maffay und Stephanie Stumph – ach Stumpi, was hast Du da bloß falsch gemacht… –, auch irgendein Supermodel und irgendwer mit einer neuen Freundin. Das war fast so wichtig wie unsere Goldlocke aus Malibu. Selbst „die ehemalige Freundin“ durfte dabei sein. Sie heißt übrigens Estefania, falls das jemanden interessieren sollte. Interessiert hat das hauptsächlich den RBB. Jedenfalls seinen Moderator Arndt Breitfeld, der brav gekämmt und auch ansonsten wie frisch aus dem Waschsalon vor dem Ullstein-Haus in Tempelhof herumstand und staunte, wer da so alles in den Saal durfte. Er mit seinem Kamera-Team nicht. Die alleinigen Rechte hatte Schwartzkopff TV-Productions, eine Springer-Tochter. Also hat er auf die Uhr geguckt, wann denn nun endlich, ja endlich die Prinzessin kommt! Und sie kam, sie kam leicht verspätet um 20.08 Uhr und sah überhaupt nicht schwanger aus. Wahrscheinlich ahnte sie, dass der künftige Hofberichterstatter aus der Masurenallee auf sie lauerte. Dieser Liebling aller Schwiegermütter hatte sich zu den Spätnachrichten noch nicht eingekriegt: „… wunderschön sah sie aus … sehr monegassisch.“ Aha. Monegassisch. Und die Schwangerschaft? „Ich werde mal ein bisschen recherchieren, was die angebliche Schwangerschaft von Charlène angeht“ – so ähnlich schloss er seinen Bericht. „Charlène“ hat er gesagt. Dafür zahlen wir übrigens alle Gebühren. Es ist gut, dass die Springer-Medien solche Leute nicht in den Saal lassen. In dem trieb alles zum bewegenden Höhepunkt. Die Prinzessin erhielt einen Orden, ein goldenes Herz nämlich. Weil, so unser ehemaliges Berliner Schwimmwunder Franzi: „Dein ganzes Leben hast Du schon ein großes Herz für Kinder.“ Charlène Lynette Grimaldi, Fürstin von Monaco, ist 33 Jahre alt und ebenso wie ihre Lobhudlerin ein ehemaliges Schwimmwunder. Auch Franzi ist schon 33, da verliert man leicht mal den Durchblick. Den Rest an wichtigen News spare ich mir jetzt. Erfährt man alles bei BILD. 14 Millionen Euro sollen zusammengekommen sein. Nee, nicht von den Galateilnehmern, von den Fernsehzuschauern. Um Gottes Willen, so weit geht das mit der Charity nun auch wieder nicht!
Es gibt übrigens einen Unterschied zum Helden der Dickens-Erzählung: Ebenezer Scrooge änderte sein Leben nach dem Weihnachtserlebnis von Grund auf und wurde ein guter Mensch. Die Gefahr besteht bei unseren VIP’s nicht. Nach Weihnachten wird wieder richtig verdient. In einem Jahr, ja da können wir unser Herz wieder beruhigen. Da ist wieder Gala. Aber bitte geht damit nach Hamburg! Berlin hat das nicht verdient.