14. Jahrgang | Nummer 12 | 13. Juni 2011

Star und Leier

von F.-B. Habel

Zu einem Kuriosum kam es jetzt im Berliner Zeughauskino, wo mit Unterstützung des Goethe-Instituts eine Reihe mit Agentenfilmen aus der Zeit des Kalten Krieges begonnen hat. Hier hatte ein zweiteiliger sowjetischer Spionagefilm von 1974 seine Premiere für Mitteleuropa, den bislang kaum jemand kannte: „Skvorets i Lira“ („Star und Leier“). Star ist in diesem Film die Leier (Lira), die Ljubow Orlowa spielt. Den Star (gemeint ist der Vogel), spielt Pjotr Weljaminow, der Kinogängern vielleicht noch als „Kommandant des U-Bootes ‚Glücklicher Hecht’“ aus den siebziger Jahren in Erinnerung ist und damals bei der DEFA neben Walter Plathe stand, als der Fritz Schmenkel spielte. Weljaminow war mehr als 20 Jahre jünger als die Orlowa, und diese Besetzung war es wohl, die dem Film das Genick brach. Hauptdarstellerin Ljubow Orlowa war die Frau des Regisseurs Grigori Alexandrow und seit „Lustige Burschen“ (1934) umjubelter Star seiner meist musikalischen Filme. Für sie sollte der Film ein Comeback nach mehr als einem Jahrzehnt bedeuten. Sie hatte die Lira von einem Alter von etwa 30 Jahren bis zu etwa 50 Jahren zu spielen, war aber bereits über 70, was Maskenbild und Weichzeichner denn doch nicht verschleiern konnten.
Fedja und Ludmila oder Star und Leier (so ihre Spitznamen) sind ein junges Ehepaar, das für den sowjetischen Geheimdienst gegen den Faschismus in Deutschland kämpft. Nach dem Krieg verlieren sie sich aus den Augen. Während Fedja zunächst auf eigene Faust die neue Identität eines Kleinindustriellen in Westdeutschland aufbaut, um später um so glaubwürdiger für den KGB arbeiten zu können, nimmt Ludmila den Auftrag an, sich für die verschwundene Nichte einer in der Großindustrie der BRD tätigen Baronin auszugeben, was ihr glaubhaft gelingt. Hier treffen sich Ludmila und Fedja wieder. Unter ihrer neuen Identität heiraten sie, was Fedja den Einzug in höchste Wirtschaftskreise verschafft. Sie erleben, dass die Amerikaner die bundesdeutsche Wirtschaft unterstützen, um sie als Bollwerk gegen die Sowjetunion einzusetzen.
Alexandrow erlaubt sich in dem Film viele historische Ungenauigkeiten, wenn man in der Moskauer Zentrale etwa das Neueste aus Westdeutschland einer Ausgabe des „Vorwärts“ entnimmt, die aus den zwanziger Jahren stammt, wenn die 68er Studentenunruhen in der Bundesrepublik ins Bild kommen, obwohl der Film 1963 mit dem Abgang Adenauers endet und so weiter. Dass immer alle russisch sprechen, ob in Deutschland oder den USA schluckt man vielleicht noch. Aber das ungleiche Paar Orlowa-Weljaminow ist ebenso unglaubhaft wie das allzu vertrauensvolle Verhältnis zwischen den Agenten und den Offizieren des KGB. Oliver Baumgarten, Kurator der Filmreihe, geht von der These aus, dass der Film (der übrigens in einigen Sequenzen unter Mitarbeit der DEFA entstand) seinerzeit nicht in die Kinos kam, weil kurz zuvor die Guillaume-Affäre aufgedeckt worden war, die mit dem Rücktritt von Bundeskanzler Brandt endete, und „Skvorets i Lira“ zu deutlich an der Realität gelegen habe. Der ziemlich lahme Agentenfilm, der im übrigen im Wirtschaftsmilieu und nicht in der Politik angesiedelt war, hielt sich allerdings von der Wirklichkeit meilenweit entfernt. Das hätten sogar die Zuschauer in der Sowjetunion gemerkt.