14. Jahrgang | Nummer 19 | 19. September 2011

Nachrichten aus der Debattiermaschine (VII)

von Eckhard Mieder

„Gehirnwäsche“ ist ein drolliges Wort. Im kindlichen Raum meiner Phantasie sehe ich das Hirn in einer Waschmaschine. Bei 30 Grad und 700 Umdrehungen wird es gereinigt. Oder es schwimmt im Fit-Bad in der Küche. Oder ich halte es behutsam in das sprudelnde Gletscherwasser eines Baches in Lappland. Dich, Gehirn, brauche ich, dich Gehirn, wasche ich, du, Gehirn, sei mein verlässlicher Schädelbatzen!
Leider bin ich mir nicht sicher, ob ich mich auf mein Gehirn verlassen kann. Was ich für gesunden Menschenverstand halte, das ist womöglich Manipuliertes. Was ich für Manipuliertes halte, das sind womöglich nur die Kopfschmerzen nach zu wenig Schlaf und zuviel Schweinefleisch am gestrigen Abend. Und wenn ich mir sage, die Welt ist so kompliziert nicht, dann sagt das andere in mir: O doch, mein Freund, sie ist komplex, ändert sich ständig, haltlos und uferlos und orientierungslos treiben wir dahin; das ist unser Menschen-Los.
Leider weiß ich nicht, ob mein Gehirn nicht doch nur ein staubiges Schränkchen ist, in dem sich die Motten der Schlagwörter festgesetzt haben. Und mich steuern. Und aus mir einen Zombie gemacht haben, der mich nach dem Belieben einer technischen Übermenschen-Organisation ein- und ausschaltet, essen und trinken, laufen und schlafen lässt. Diese Übermenschen-Organisation könnten die USA sein. Wobei das erstmal nur als ein Kürzel stehen soll; ein ganzes Land kann unmöglich ein Manipulator sein. Da können die proamerikanischen Vertreter der unverbrüchlichen deutsch-amerikanischen Waffenbrüderschaft propagieren und propagieren, wie sie wollen. Ich war ein paar Jahre lang Mitglied der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft und weiß, wie das Unverbrüchliche geht; ungefähr wenigstens. Und ich glaube an das Gute in einem Volk, auch wenn ich nicht weiß, worin es besteht. Und ich weiß, die Bushs und Fischers gehen, das Volk aber bleibt. Ob man will oder nicht. (Und mein Gehirn schreit: „Wer ist ‚man’!?“ Und ich schreie zurück: „Weiß ich doch nicht, vielleicht die allgemeine Verarsche, die Namen hat von Ackermann über Döpfner und Merkel bis Z wie, ähm, CIA …!“)
Wiederum: Wir leben in Verkürzungen. Es gab und gibt da einen „Global War On Terrorism“. Es gibt da einen „Clash Of Civilizations“. Und wenn ich nicht aufpasse und nicht rechtzeitig abschalte (oder abgeschaltet werde), dann fliegen mir die Talkshows um die Ohren, dass mein Gehirn nach einem Waschgang schreit und nicht nach dem Untergang der westlichen und der restlichen Welt. Oder so. Oder doch?
Also befinde ich mich in einem enormen Krieg. Mein Gehirn sagt: klar doch, stimmt! Mein Gehirn sagt auch: Lass dir diesen Schwachsinn nicht einreden, es handelt sich bei all dem um normale Verteilungskämpfe, es handelt sich bei alldem nur um einen Kampf von Gladiatoren, die wechselweise behaupten, Spaß zu machen, Spaß zu haben, indessen der Sand blutet …
Mein Gehirn sagt: „Normal“ meint, wenn es denn Kapitalismus sein muss, der die Welt beherrscht …
Mein Gehirn sagt: Beherrscht der Kapitalismus die Welt? Ist sie nicht größer als, sagen wir mal, die USA und die BRD?
Mein Gehirn sagt: Wir müssen die christlich-westlichen Werte der Produktion, Akkumulation, Distribution und Konsumtion verteidigen, ums Verrecken, bis zum Kotzen.
Mein Gehirn sagt: Mann o Mann, mit diesen schwierigen Wörtern bringst du mich echt in einen Clash, ja fast in einen War gegen mich selber!
„Gehirnwäsche“ ist natürlich kein drolliges Wort. Es beschreibt eine psychologische Manipulation, die insbesondere Sekten und totalitäre Staaten betrieben. Da ich weder Mitglied einer Sekte noch einer totalitären Staates bin … sondern nur Insasse des Kapitalismus, der es gut mit uns meint, er bringt uns hinüber, er ist unser Freund … ähm, wie komme ich aus dem Dilemma jetzt raus? …
Von vorn. „Gehirnwäsche“ ist ein drolliges Wort. Gehirnwäsche findet nicht statt. Nur in Sekten und in totalitären Staaten. Beziehungsweise da besonders. Andernorts werden Gehirne nicht gewaschen, sondern dreckig gemacht. Indem sie täglich, stündlich, minütlich beklopft werden. Clash und War, War und Clash. Bis du bekloppt bist, mein Freund, mein Hirn.
Ansonsten schmeckt die Berichterstattung über Nineeleven und arabische Lenze und die Möglichkeit, dass Til Schweiger ein Tatort-Kommissar werden könnte, als müsste ich die Fußlappen essen, die ich als Wehrpflichtiger im Kalten Krieg in den Stiefeln trug.