14. Jahrgang | Nummer 9 | 2. Mai 2011

„Lulu“ einlullend

von Reinhard Wengierek

Mit ihrem Trippeln, Hopsen, Mädchenpiepsen, ihrem Girren und Kieksen erfüllt sie noch allemal Lolita-Fantasien, suggeriert selbst in wilhelminisch züchtiger Robe lässig elastisch das „elegante Prachttier“ – dabei ist Angela Winkler mit ihren 67 Jahren die wohl dienstälteste Lulu aller Zeiten. Aber Robert Wilson geht es im Berliner Ensemble mit seiner Inszenierung von Frank Wedekinds Aufgeil- und Aufklärungsstück von anno 1913, dieser „Monstretragödie“ vom Aufstieg und Fall der männerverschlingenden Lustmaschine „Lulu“, weder um Monster, Menschen und Tragödie noch um sexuelle Hörigkeit und bürgerliche Doppelmoral, sondern um nichts weiter als monströse Dekoration.
Alle Figuren sind weiß geschminkte, schwarz gewandete Aufziehpuppen. Sie geistern durch Riesenräume, die mal grell belichtet, mal düster schimmern oder einfach stockdunkel sowie meist leer sind – oder dürftig dekoriert mit Grab-Koniferen, sperrigen Sitzmöbeln, kitschigen Kristall-Lüstern. Sie fuchteln mit Schießeisen oder Hackebeilchen, geben von Jutta Ferbers extrahierte Wedekind-Sprechblasen von sich und summen gelegentlich ein Liedlein. Wer das Stück nicht kennt, kapiert nichts; höchstens: Ein einlullender Monstre-Slapstick alberner Untoter.
Wedekinds bitter-böse Collage aus Melodram und Dreigroschenroman, aus Farce, Kitsch, Komik, Trash und Tragik wird abstrahiert bis ins unfreiwillig Lächerliche. Die Hosenställe der Herren bleiben so fest verschlossen wie fürs Publikum ein höherer Erkenntnisgewinn, der doch hinter all dem aufwändig zelebrierten Design lauern müsste. Wenigstens ein bisschen Abgrund unterm harmlosen Plakat wäre schon schön gewesen.
Passend zum artifiziellen Ramsch liefert Lou Reed einen hübsch gruseligen Gespenster-Soundtrack nebst einigen halbwegs CD-tauglichen Songs. – Zum ermunternden Wippen mit den Fußspitzen extra für Hauptstadt-Touristen: Der Berlin-Hit „Brandenburg Gate“. Und als Weck-Bonbon nach der Drei-Stunden-Trance-Tablette ein schunkelnder „Honey-Honey“-Schlusschor. Fürs beschwingte Heimgeh-Gefühl.
Wilson, vor gut drei Jahrzehnten global bewunderter Weltmeister eines neuartig suggestiven, magischen Bilderzaubertheaters, hatte vor Jahren hier am Schiffbauerdamm seine tollen späten Erfolge mit Büchners „Leonce und Lena“, Brechts „Dreigroschenoper“ und zuletzt – schon nicht mehr so toll – mit Shakespeares „Sonetten“ gefeiert. Doch jetzt diese „Lulu“-Performance, da ätzt die Frage: Warum nur holt Berliner Ensemble-Boss Claus Peymann immer wieder den offensichtlich ausgelaugten, luxuriösen Sich-Selbst-Zitierer, der super Gaststars zum bloßen Posieren verbraucht, an sein Haus?

Nächste Termine: 31. Mai, 1. und 2. Juni