14. Jahrgang | Nummer 1 | 10. Januar 2011

Zu dieser Ausgabe

Eines Tages wird alles gut sein,
das ist unsere Hoffnung.
Heute ist alles in Ordnung,
das ist unsere Illusion.

Voltaire (1694-1778)

Nur noch 60 Prozent der Deutschen vertrauen laut demoskopischen Erhebungen unserem demokratischen System, im Osten sogar weniger als die Hälfte. Angelastet wird das üblicherweise den Politikern, deren permanentes Versagen das Grundvertrauen der Bürger in die Demokratie perforiert habe. Nun ist diesem Befund nicht komplett zu widersprechen, allerdings spiegelt er eben nur einen Aspekt unserer gegenwärtigen Gesellschaftskrise. Ist Demokratie doch schließlich sehr viel mehr als die Aus-Wahl von Repräsentanten des Volkswillens. Soll sie funktionieren, dann verlangt Demokratie nicht mehr und nicht weniger als die Teilhabe der Regierten an den sie betreffenden Obliegenheiten des Politischen. Und das nicht nur bei den Eliten, die – damit alleingelassen und sich mit Hilfe von Parteien durchsetzend – letztlich auch nur Minderheitenpolitik machen, wenn nicht gleich gar schamlosen Lobbyismus betreiben.
Soll massenhafte Teilhabe an den öffentlichen Dingen aber mehr sein als die Summe geäußerten Unmuts und/oder partikulärer Interessenswahrung, dann erfordert sie nicht nur die Bereitschaft sondern auch die Fähigkeit, sich mit den in immer komplexer werdenden Sachverhalten zu beschäftigen, sich ein fundiertes Urteil zu bilden und sich damit ins politische Leben einzubringen – und dies keineswegs erst und lediglich bei der nächsten Wahl. „Die Demokratie setzt die Vernunft des Volkes voraus, die sie erst hervorbringen soll“, hat Karl Jaspers diesen circulus vitiosus formuliert, und treffender kann man sicher kaum sagen, welche Sisyphusarbeit zu leisten ist, wenn Demokratie einmal mehr, sehr viel mehr sein soll als dies – mit Verlaub – der Fall ist.
Nun maßt sich das Blättchen mit seinen wenigen Seiten nicht an, über Glanz und Elend der Demokratie Axiomatisches zu verhandeln. Weder auf Vollständigkeit noch auf metaphysische Letztverbindlichkeit legen wir wert. Vielmehr bieten sowohl zeitgenössische als auch altvordere Autoren zu diesem so komplexen und auch widerspruchsvollen Thema Überlegungen an, die zum Weiterdenken anregen sollen. Das hat die Demokratie, in der wir derzeit leben, bitter nötig, will sie nicht irgendwann neuerlich in totalitären Strukturen aufgehen, durch Verbrecher und/oder Dilettanten missbraucht und diskreditiert werden. Denn ob man nun von Demokratie enttäuscht ist, sie, durchaus auch fundamental, kritisiert, sie gar als gescheitert ablehnt und sich – wie einst der junge Thomas Mann, später Demokratieverfechter – an ihre Stelle eine „aufgeklärte Diktatur“ wünscht: irgendwie kommt man an Churchills berühmter Feststellung nicht vorbei: „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“

Heinz Jakubowski