13. Jahrgang | Nummer 14 | 19. Juli 2010

Zahnloser Tiger oder Kommission mit Biß?

von Uri Avnery, Tel Aviv

Ein Sieg ist ein Sieg. Ein großer Sieg ist besser als ein kleiner, aber ein kleiner Sieg ist besser als eine Niederlage. In dieser Woche haben wir einen Sieg davongetragen.

Unmittelbar, nachdem die Turkel-Kommission aufgestellt war, um den Vorfall mit der Flotille zu untersuchen, reichte Gush Shalom dem Obersten Gerichtshof ein Gesuch ein. Wir verlangten die Ernennung einer vollqualifizierten staatlichen Untersuchungskommission. Der Termin der Gerichtsanhörung war festgelegt. Aber am Nachmittag des Vortages rief das Büro des Justizministers unsere Anwältin, Gabi Lasky, an und informierte sie über eine Veränderung: Der Ministerpräsident habe im letzten Augenblick entschieden, der Kommission mehr Vollmachten zu geben, und die Regierung sei dabei, die Veränderung zu bestätigen. Deshalb bat uns der Staatsanwalt, die Anhörung um zehn Tage zu verschieben. Keine einzige israelische Zeitung hatte ein Wort über unser Gesuch gebracht – etwas Undenkbares, wäre es die Initiative einer rechten Organisation gewesen. Aber nach der Terminverschiebung wurde es unmöglich, dies länger zu ignorieren: Fast alle Zeitungen wiesen darauf hin, daß unser Antrag eine wichtige Rolle bei Netanyahus Entscheidung gespielt hatte.

Jacob Turkel und sein Freund Jacob Neeman, der Justizminister, der ihn ernannt hatte, waren zu der Schlußfolgerung gekommen, daß sie vor Gericht verlieren würden. Deshalb verlangte Turkel, daß die Anzahl der Kommissionsmitglieder als auch die der Vollmachten vergrößert werden sollte. Ursprünglich hatte Netanyahu nur drei nette Leute darum gebeten, festzustellen, daß die Aktion der Regierung mit dem internationalen Gesetz nicht kollidierte – mehr nicht. Jetzt scheint es so, als würde ihr das juristische Ansehen einer „Regierungsuntersuchungskommission“ gegeben, aber bestimmt nicht einer „Staatlichen Untersuchungskommission“. Zwischen beiden ist ein Riesenunterschied.

Die Institution, die „Staatliche Untersuchungskommission“ genannt wird, ist einzigartig israelisch. Sie gründet sich auf ein besonderes Gesetz, auf das wir alle stolz sein können, und das wiederum hat einen interessanten historischen Hintergrund. In den 60ern wurde das Land von einer Kontroverse über die Lavon-Affäre heimgesucht, bei der es um eine Reihe von Terrorangriffen ging, die von einem israelischen Spionagering in Ägypten ausgeführt wurde. Die Operation mißlang; die Mitglieder des Ringes wurden gefangen genommen, zwei von ihnen wurden gehängt. Die Frage kam auf: Wer hat den Befehl dazu gegeben? Der Verteidigungsminister Pinchas Lavon und der Chef des Armeegeheimdienstes Benjamin Gibli beschuldigten sich gegenseitig. (Später fragte ich Yitzhak Rabin danach; er sagte mir: „Wenn man es mit zwei pathologischen Lügnern zu tun hat, wie soll man das dann wissen?“)

David Ben-Gurion verlangte leidenschaftlich nach einer „Juristischen Untersuchungskommission“. Es wurde fast eine Obsession von ihm. Aber zu jener Zeit kannte das israelische Gesetz so etwas nicht. Die Emotionen gingen hoch, die Regierung stürzte, und der Anwalt der Laborpartei, Jacob Shimson Shapira, bezichtigte Ben-Gurion des Faschismus. Es scheint, daß Shapira wegen dieser Beschuldigung von schlechtem Gewissen geplagt wurde und deshalb, als er später Justizminister wurde, eine vorbildliche Gesetzesvorlage für eine „Staatliche Untersuchungskommission“ ausarbeitete, die einem regulären Gericht ähnelte. Er schlug vor, daß solch eine Kommission die Vollmacht habe, Zeugen vorzuladen, sie unter Eid zu nehmen (mit den üblichen Strafen für Meineid), sie im Kreuzverhör verhören zu lassen, unter Strafandrohung Dokumente zu fordern etc.

Als Mitglied der Knesset in jener Zeit legte ich zwei Gesetzesänderungen vor, die mir wichtig erschienen. Das vorgeschlagene Gesetz besagte, daß das Oberste Gericht die Mitglieder der Kommission ernennen, aber der Regierung die Entscheidung über die Aufstellung der Kommission und ihren Zuständigkeitsbereich überlassen solle. Ich behauptete, daß dies Tor und Tür für politische Manipulationen öffnen würde und schlug vor, dem Obersten Gerichtshof auch die Befugnis zur Aufstellung einer Kommission und zur Festlegung ihres Zuständigkeitsbereichs zu übertragen. Meine vorgeschlagenen Änderungen wurden abgelehnt. Die gegenwärtige Affäre zeigt, wie notwendig sie waren.

Das Gesetz liefert eine Alternative – die Ernennung einer „Regierungsuntersuchungskommission“, die einen weit geringeren Rang hat. Sie unterscheidet sich von einer „Staatlichen Kommission“ in einem äußerst wichtigen Aspekt: Ihre Mitglieder werden nicht vom Präsidenten des Obersten Gerichtes ernannt, sondern von der Regierung selbst. Das ist natürlich ein großer Unterschied. Jeder mit einem Grundverständnis für Politik begreift, daß derjenige, der die Mitglieder einer Kommission ernennt, schon im voraus deren Schlußfolgerungen stark beeinflußt. Wenn ein Siedler von Kiryat-Arba als Chef einer Kommission über die Legalität der Siedlungen ernannt wird, werden wohl die Schlußfolgerungen nicht ganz dieselben sein wie die einer Kommission, der ein Mitglied von Peace Now vorsteht. Das wurde in der Vergangenheit bewiesen. Nach dem Sabra- und Shatila-Massaker weigerte sich Ministerpräsident Menachem Begin anfänglich, eine Staatliche Untersuchungskommission zu ernennen. Doch unter dem starken Druck der israelischen Öffentlichkeit wurde er gezwungen, es zu tun, und die Kommission hat Ariel Sharon als Verteidigungsminister entlassen. Ehud Olmert erinnerte sich daran und – weigerte sich nach dem 2.Libanonkrieg hartnäckig, eine Staatliche Kommission aufzustellen. Er stimmte nur einer „Regierungskommission“ zu, deren Mitglieder er selbst ernannte. Es überraschte nicht, daß er fast unbeschadet davon kam.

Die Ernennung der Turkel-Kommission wurde von der israelischen Öffentlichkeit mit unverhohlenem Zynismus begrüßt. Dieselben Medien, die fast einstimmig den Angriff auf die Flotille unterstützten, waren jetzt bei ihrem Angriff auf den armen Turkel und seine Kommission vereint. Sie machten ihre Witze über das fortgeschrittene Alter ihrer Mitglieder, von denen sich einer nur mit Hilfe eines philippinischen Helfers bewegen konnte. Alle Kommentatoren waren sich darin einig, daß die Kommission nicht aufgestellt war, um die Affäre zu klären, sondern nur, um Präsident Barack Obama zu helfen, die Ernennung einer internationalen Untersuchungskommission zu blockieren.

Alle stimmten darin überein, dies sei eine lächerliche, zahnlose Kommission, ihre Zusammensetzung sei mitleidserregend und der Aufgabenbereich marginal. Es scheint, als ob Richter Turkel selbst beschämt war. Nachdem er seine Ernennung zu Netanyahus Bedingungen angenommen hatte, drohte er wenig später zurückzutreten, wenn seine Vollmacht nicht vergrößert werde. Netanyahu gab nach. Trotzdem ist seine Entscheidung, die Vollmacht der Kommission zu vergrößern, damit sie in der Lage sei, Zeugen vorzuladen, weit von dem entfernt, was nötig ist. Die Kommission wird nicht in der Lage sein, zu untersuchen, wie und von wem die Verhängung der Blockade über den Gazastreifen entschieden wurde, wie beschlossen wurde, die Flotille anzugreifen, wie die Operation geplant und wie sie ausgeführt wurde. Deshalb sehen wir keinen Grund, unsere Petition an den Obersten Gerichtshof – die Turkel-Kommission aufzulösen und eine offizielle Staatliche Untersuchungskommission zu ernennen – zurückzuziehen. Um so weniger, als Turkel selbst eine Woche vor seiner Ernennung ebenfalls eine Staatliche Untersuchungskommission gefordert hatte.

Aus dem Englischen von Ellen Rohlfs; von der Redaktion gekürzt.