13. Jahrgang | Nummer 13 | 5. Juli 2010

Über Risiken des Messwesens – Eine persönliche Erfahrung

von Margit van Ham

Es hatte alles ganz harmlos angefangen. Eines Tages war mein Mann nicht mehr zufrieden mit meiner Reaktion auf die Frage nach dem Wetter. Ich hatte zuerst Variante A versucht: „Sieh aus dem Fenster.“ Danach Nothilfevariante B, die ihn aufforderte, auf dem Balkon das Wetter zu testen. Diese allseits bewährten Methoden waren ihm nun nicht mehr ausreichend. Er wollte echte Fakten sehen, wissen, ob auf dem Balkon 17,3 oder 18,1 °C herrschten.
Mein Mann ist ein systematischer Mensch. Er stürzte nicht einfach in den nächstbesten Laden, um ein Thermometer zu kaufen. Nein, er informierte sich zunächst über die allgemeinen Thermometertrends, besuchte unzählige Baumärkte und schleppte Riesenkataloge mit Thermometerangeboten an. Nach gründlichem Studium derselben ging er erneut in einen Supermarkt und kehrte schließlich mit einem Thermometer, das im Angebot für 5,99 Euro zu haben war, wieder. Stolz über seinen Einkauf, wies er standhaft alle Mäkeleien der Familie am billigen Design zurück.
Er rannte mit seinem Thermometer durch die Wohnung, um den besten Platz festzustellen. Mit verliebten Augen prüfte er danach alle zehn Minuten die Temperatur in unserem Wohnzimmer. Meine vorsichtige Frage, wie er denn nun wisse, wie kalt es draußen auf dem Balkon sei, strafte er mit Nichtachtung. Aber am nächsten Tag hing ein Thermometer auf dem Balkon.
Die Zufriedenheit mit diesen neuen Errungenschaften der Messtechnik währte allerdings nicht lange. Der Platz auf dem Balkon war zu schattig, also musste ein zweites Thermometer zur Kontrolle aufgestellt werden. Mein Mann führte nun eine Temperaturstatistik ein. Er pendelte zwischen den drei Thermometern hin und her und stellte bald fest, dass die anderen Zimmer unterversorgt seien.
Bald waren Thermometer im Schlaf- und im Arbeitszimmer befestigt. Und das Bad erhielt natürlich neben einem allgemeinen Thermometer noch eines für die Wassertemperatur. Ich nahm das alles gleichmütig hin, sah ich doch meinen Mann mit glänzenden Augen und frohem Lächeln auf den Lippen. Es ging vielleicht zehn Tage gut, dann erklärte mir mein Mann, dass eigentlich eine reine Temperaturangabe ohne Druck- und Feuchtigkeitsinformation nicht wirklich hilfreich sei. Ich beschloss, mit einer Freundin in Urlaub zu fahren, um ihm Gelegenheit zu geben, sich ausführlich zu informieren und ungestört Einkäufe zu planen.
Nach meiner Rückkehr stand in jedem Zimmer eine kleine Wetterstation mit Angaben zu Temperatur, Druck und Luftfeuchtigkeit. Der Balkon hatte auf allen Seiten Wetterstationen, um umfassende Auskünfte zu ermöglichen. Zur Kontrolle hatte mein Mann selbstverständlich die Thermometer an ihren Plätzen gelassen. Er führte seine Statistik fort und konnte sich wunderbar über die großen Differenzen zwischen den einzelnen Stationen empören. Unglaublich, was er da an Schlamperei in der Fertigung bemerkte. Er gründete einen Arbeitskreis von Wetterinformationsfans, die sich regelmäßig per Internet neueste Produktinformationen zuschickten.
Unsere Wohnung füllte sich mehr und mehr. Mein Mann versuchte nun, die Wohnungen unserer Kinder mit Messinstrumenten zu füllen, aber diese erklärten ihre Wohnungen kategorisch zu thermometer- und wetterstationsfreien Zonen. In einer Nacht- und Nebelaktion gelang es meinem Mann dennoch, Thermometer in ihre Bäder zu schleusen. Als ich eines Abends müde ins Bett fiel, bemerkte ich ein Thermometer auf dem Bettrand. Das war zu viel! Nach einem erregten Ehestreit beschlossen wir, ein Haus zu suchen.
Wir fanden auch bald ein altes und baufälliges Haus. Mein Mann stürzte sich mit Energie in das neue Abenteuer und baute mit erstaunlichem Können dieses Haus auf. Er vernachlässigte sogar die Wetterstatistiken, wurde aber offensichtlich reichlich belohnt vom Anblick der vielen Schrauben, die in unterschiedlichster Form und Größe benötigt wurden. Mich packte schon eine gewisse Nervosität über diese potentiell neue Liebe.
Ich beruhigte mich aber wieder während der Putzarbeiten. Mein Mann fand viele Gelegenheiten, kleine Nischen und Absätze einzubauen. An seinem verklärten Blick über die Wände des Hauses konnte ich ahnen, wo überall die Wetterstationen und Thermometer geplant waren. Wir zogen in unser neues Heim und mein Mann hatte über einige Monate seine Freude daran, das gesamte Haus inklusive Dachboden und Keller meßtechnisch auszurüsten.
Dann begann die Gartensaison. Ich hatte mir ein kleines Quadrat von zwei mal zwei Metern für meinen Liegestuhl ausgebeten. Ringsherum entstanden Messstationen für Wind, Regen und Luftdruck. Die Temperaturmessung muss ich nicht extra erwähnen. Mein Mann ist glücklich. Sein Arbeitskreis tagt alle 14 Tage in unserem Haus und drängelt sich in unserem kleinen Garten um all die Messstationen. Hauptthema der jüngsten Diskussionen war die Errichtung einer professionellen Verbindung zu einem Satelliten. Ich habe bereits Kontakte zu den Nachbarn zwecks Vergrößerung unseres Gartens aufgenommen.