13. Jahrgang | Nummer 13 | 5. Juli 2010

Prioritätenstreit unter Bratwurstverkäufern

von Helmut Höge

Gleich nach der Wende ersann der Elektriker Peer Wagner aus Leipzig angesichts wachsender Fastfood-Konkurrenz und immer seltener erteilter Imbißstand-Genehmigungen eine mobile “Variante”, wie man in Sachsen sagt: einen “Bratwurstbauchladen” – für den man keine “Standgenehmigung” braucht. Er besteht aus vier Campingkühlakkus, Gasflasche, Grill, Sonnenschirm und Tragegurte. Einschließlich der Ware – achtzig Würstchen, Senf, Ketchup und Brötchen – wiegt das Ganze etwa 30 Kilogramm. Und nichts davon darf während des Verkaufsvorgangs den Boden berühren: “Das ist der Knackpunkt!” Nötig ist also ein tragfähiger Verkäufer. Interessierte Kunden fragten Wagner immer wieder: “Ist das nicht zu schwer auf die Dauer?” – worauf er antwortete: “Mit jeder Wurst wird’s leichter!” Für seine Konstruktion erwarb er bald ein Euro-Patent und ein US-Patent, dann ließ er diese “ambulante Verkaufseinrichtung” in Serie herstellen und bot sie kräftigen Arbeitslosen an – mit einem “Lizenzvertrag” inklusive “Gebietsschutz”, auf Wunsch auch mit einem “Wurstliefervertrag”. Über Peer Wagners “erfolgreiche Erfindung” eines “Bratwurstbauchladens” berichtete ich 1995 in “Die Zeit”. Neun Jahre später berichtete die “Süddeutsche Zeitung” noch einmal über ihn. In der Überschrift war von einem “Bratwurst-Krieg in Leipzig” die Rede: Dort verkauften immer mehr “neue Selbständige” Bratwürste auf der Straße, einige mit zum Grill umgebauten Fahrrädern oder vom Rollstuhl aus, obwohl sie nicht behindert waren. Die Stadtverwaltung entschloß sich einzugreifen: Sie verloste neun Stellplätze – und dabei ging ausgerechnet Peer Wagner leer aus. Der “geistige Vater der mobilen Bratwurst” (SZ) protestierte. Die zuständige Amtsleiterin entgegnete, man könne für ihn “keine Extrawurst braten”, dann ruderte sie aber – nach einer einstweiligen Verfügung von Wagners Anwalt – doch auf “Duldung” zurück. Nun kam jedoch neuer Ärger – diesmal aus Berlin: Zu seinen “Franchisenehmern” gehörte dort anfänglich der zuvor arbeitslos gewordene Hotelangestellte Bertram Rohloff. Über ihn und seine “Erfolgsgeschichte” berichtete jetzt ganz groß die “Süddeutsche Zeitung”: Sie bezeichnete ihn als “Erfinder des ‘Grillwalkers'”. Eine dreiste Lüge, dachte ich, und rief sofort Rohloff an. “Peer Wagner hatte einen Traum vom Fliegen, wir haben ihn wahr gemacht!” sagte er. Es sei nämlich so, dass Wagner an seinen “Bratwurstbauchladen” eine versteckte Stütze eingebaut habe, die durch das Hosenbein in den Schuh des Verkäufers führe. Verschiedene Ordnungsämter hätten das bemängelt, denn genaugenommen berühre das Gestell damit ja doch wieder den Boden. Der von ihm 1998 erfundene “Grillwalker” käme dagegen ohne Stütze aus.
Als ich Wagner 1995 interviewte, hatte der mir nichts von einer “versteckten Stütze” gesagt, nun gab er es am Telefon jedoch zu, allerdings würde er inzwischen ebenfalls “Bratwurstbauchläden” ohne eine solche Stütze anbieten – für Orte, in denen die Ämter besonders pingelig seien. Seine Konstruktion sei zudem insgesamt leichter geworden, so dass auch Frauen sie tragen könnten. Sie dürften bloß keine schwache Blase haben, aber das gelte für Männer ebenso. Seine früheren “Bratwurstbauchläden” seien ohne Stütze zu schwer gewesen, so daß man sie den Verkäufern eigentlich nicht zumuten konnte. Auch die Konstruktion von Rohloff (die laut SZ alles in allem etwa 20 Kilo wiegt) sei noch zu schwer – wenn man sie acht Stunden täglich trage, deswegen brauche man dafür auch einen “schnellen Personalwechsel”. Peer Wagner ist inzwischen mit seinem “Bratwurstbauchladen”, der nur noch etwa 18 Kilogramm wiegt, ein “bei Touristen und Einheimischen beliebtes Leipziger Original”, behauptet jedenfalls der “Spiegel”, der ihn 2006 ebenso wie “Die Zeit” noch einmal interviewte: Da hatte er nämlich – rechtzeitig zur WM – einen schwarz-rot-goldenen Senf erfunden, den er “Deutschlandsenf” nannte und als “Gebrauchsmuster” schützen ließ. “Seit der Fußballweltmeisterschaft trauen sich die Menschen wieder, Deutsche zu sein,” meinte er damals. Dieses neue “gesunde Nationalbewußtsein” hat jedoch bei seinem Bratwurstverkauf auch Nachteile, wie er bei der jetzigen WM feststellen mußte: “Der Umsatz hängt direkt vom Spiel der deutschen Mannschaft ab. Nach dem 1.Spiel – gegen Australien – gab es zwar einen enormen Schub, aber der hielt sich leider nicht”.Seit dem Spiel gegen England laufe es jedoch zum Glück wieder wie geschmiert.