13. Jahrgang | Nummer 10 | 24. Mai 2010

Ach, Luise

von Renate Hoffmann

Wer nach Františkovy Lásne (Franzensbad) in Tschechien reist, der darf gewiß sein, überall muntere Quellen anzutreffen. Mineralisierte, kühle, (9 bis 12° C temperierte) Natrium-Sulfat-Heilwässer vom Glaubertyp, die mit natürlichem Kohlendioxid angereichert sind. Vorsicht beim Trinken! Die Passage von Nahrungsmitteln durch den Verdauungstrakt wird in der Folge erheblich beschleunigt. –

Es versteht sich, daß in Franzensbad die „Franzensquelle“ quillt. Ältester, beizeiten genutzter Gesundheitsborn. Hieß er bis 1792 „Egerer Stadtbrunnen“ oder auch „Stadtsäuerling“, so durfte er sich nach Höchstdero Genehmigung Franz II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mit sofortiger Wirkung „Franzensquelle“ nennen.

Der zweitälteste Heilwasserbrunnen in dem schönen Kurort trägt den Namen „Luisenquelle“. Sie plätschert, in Eintracht mit dem „Kalten Sprudel“, in einem Bassin. Ein eleganter, ovaler Pavillon, auf vierundzwanzig Säulen ruhend, überdacht sie. Hohe Lebensbäume, im Halbrund, umstehen sie. Die angebrachte Tafel weist auf ihre mineralischen Vorzüge hin. Mit 10,4 Grad Celsius und einem pH-Wert von 5,4, ist sie eine „saure Kühle“. – Im Jahr 1807 wurde die Quelle von der Stadt Eger dem bisherigen Eigentümer abgekauft, gefaßt, und ein Jahr später erhielt sie den Namen „Luisenquelle“. Dies erfolgte per Erlaß vom 24. März durch Kaiser Franz, der sich nunmehr schlicht Franz I. von Österreich nannte, da sich die Angelegenheit mit dem Heiligen Römischen Reich 1806 erledigt hatte.

„Welche Luise gab ihr denn den Namen“, frage ich nach. „Marie Luise von Habsburg, Kaiserin der Franzosen, Napoleons zweite Frau. Aber man ist sich darüber nicht sicher, weil damalig verschiedene Luisen in Betracht kamen“, sagt der Reiseleiter. Ich blättere in Stadtführern, alten und neuen. Wahrhaftig, das Luisen-Angebot ist beachtlich.

In der Franzensbader Stadtchronik heißt es, das es sich bei dem Quellennamen um den der regierenden Kaiserin handle, welche zu dieser Zeit Franzens dritte Ehegefährtin war, die er im Januar 1808 zur Frau nahm: Maria Ludovika Beatrix von Modena. „Ludoviken-Quelle“? Oder dachte man an Franzens Mutter, ebenso eine Maria Ludovika und Kaiserin, die allerdings zur Zeit der Quellentaufe schon in den Gefilden der Seligen wandelte.

Bliebe noch zu prüfen: Der Fall Marie Luise von Frankreich, Franzens älteste Tochter aus seiner zweiten Ehe (die Habsburgischen Familienverhältnisse entbehren nicht einer gewissen Weitschweifigkeit). – Sie reiste mit ihrem Kaisergemahl Napoleon 1812 nach Dresden, wohin er, bevor er sich auf den Weg nach Russland begab, „viele gekrönte Häupter“ zu einer (seiner) glanzvollen Machtdemonstration berief. Franz, ebenfalls einbestellt, entschloß sich, Marie Luise auf ihrer Rückfahrt nach Paris ein Stück zu begleiten.

Über Karlsbad kommend, erreichten sie am 5. Juli Franzensbad. Großer Empfang. Der Egersche Rat, die Zünfte mit Fahnen, die Schützen mit türkischer Marschmusik, Geistlichkeit, Kind und Kegel – alles, was Ansehen und Beine hatte, kam. Die Majestäten gingen zu den Quellen (ob sie davon nippten, war nicht zu ermitteln). Am Abend erstrahlten beide Brunnen in schönster Festbeleuchtung. „Von jetzt an“, schrieb 1928 ein Autor, „wurde die eine Quelle zu Ehren der Anwesenheit der Kaiserin Louise nach ihr genannt.“

Vater Franz, ein gewissenhafter Mann, führte Tagebuch. „Reyse durch Niederösterreich und Böhmen und wieder zurück anno 1812.“ Darin vermerkte er: „Franzensbad ist ein in einem Moorgrund gebautes Ort, ein mit Alleen umgebenes 4-Eck mit zwei sehr schönen Gässen … rechts vom Saal (des Speisen- und Kurhauses d.A.) ist außer (außerhalb d.A.) der Allee, die das Ort umgiebt die Louisenquelle“. – Wenn er diese Bezeichnung bereits am Tage seiner Ankunft gebrauchte, so war ihm wohl der höchsteigene Erlass aus dem Jahre 1808 erinnerlich. Da gab es zwar schon die Tochter Luise, doch befand sie sich noch nicht im Stande einer Kaiserin der Franzosen. Das geschah erst zwei Jahre später.

Zur Klärung der Umstände besuche ich das Stadtmuseum. Dort finde ich die Tradition des Badeortes ausführlich geschildert und bebildert. Das „Quellenstudium“ ergibt: der strittige Brunnen ist „nach der Gattin des Kaisers Franz I., Marie Luise, benannt“, welche aber Ludovika hieß …

In der Kurliste von 1812 sind die am 5. Juli angereisten Herrschaften ordnungsgemäß verzeichnet. Unter dem „chronologischen Nro. 123 Seine Majestät Franz der Erste … wohn. im russischen Hause.“ Nebenstehend sein Bildnis, das eines hageren Herrn mit Krone. Und „wohn. im sächsischen Hause (unter der Nro. 124) Ihre Majestät Maria Louise, Kaiserinn von Frankreich, Königinn von Italien und Erzherzoginn von Oesterreich, nebst Allerhöchstdero Hofstaat.“ Daneben ebenfalls ein Porträt.

Man sieht eine junge Frau, fast ein Mädchen noch, mit versonnenem Blick, ausgewogenen Gesichtszügen, die Wangen leicht gerötet und mit keckem Lockengeringel, das sich unter dem kostbaren Diadem hervordrängt. Über der rechten Schulter ziert eine Agraffe das durchscheinende Gewand. Der Liebreiz selbst. – Doch die Schöne ist nicht Marie Luise, Kaiserin der Franzosen, sondern Luise Auguste Wilhelmine Amalie, Königin der Preußen – so wie sie Josef Maria Grassi 1802 malte. Die Verwirrung ist komplett.

Ich suche nach dem Verantwortlichen für die Gestaltung dieser Abteilung. Ein junger Mann stellt sich vor. Auf meine Frage, wie denn der Sachverhalt zu deuten sei, antwortet er mit unverhohlener Begeisterung: „In dieses Bild bin ich verliebt.“ Das erklärt alles, entschuldigt alles – und überzeugt.