13. Jahrgang | Nummer 6 | 29. März 2010

Jetztzeit

von Peter Hacks

Seit der großen Schreckenswende
Sieht des Dichters ernstes Haupt
Sich durch neue Zeitumstände
Aller Hoffnung jäh beraubt.
Und er harrt in Wartestellung
Auf des Horizonts Erhellung
Und er denkt in seinem Sinn:
Wo nichts drin ist, ist nichts drin.

Zwar beim Nichtbeteiligtbleiben
Am gesitteten Verkehr
Muß er sich die Zeit vertreiben,
Und er tut, wie wenn nichts wär.
Feilt sich wöchentlich die Nägel,
Nicht aus Lust, doch nach der Regel,
Küßt bisweilen Chloës Brust,
Nach der Regel, nicht aus Lust.

Früh beim Kaffee, kaum bekümmert,
Liest er, wie das Kapital
Negerstaaten niedertrümmert,
Mordend ohne Zahl und Wahl,
Greise, Kinder, Frauen, Männer,
Und er nickt befriedigt, wenn er
Feststellt, daß der Zeitungsmann
Keinen deutschen Satz mehr kann.

Auf der höchsten finanziellen
Ebene unangepaßt,
Nähert er sich wohl den Quellen
Der Natur als Feriengast.
Liebt den Sommer, haßt den Winter,
Tieferes steckt nicht dahinter.
Hin und wieder ein Gedicht
Schreibt er noch aus Dichterpflicht.

Mit freundlicher Genehmigung des Eulenspiegel-Verlages

Der große Dramatiker, Lyriker, Erzähler und Essayist wäre am 21. März 82 Jahre alt geworden. In einer der nächsten Ausgaben  des Blättchens mehr zu Peter Hacks.