13. Jahrgang | Nummer 6 | 29. März 2010

Der Monat März

von Ulrich Scharfenorth

Wir können stolz sein: Deutschland hat seine Rüstungsexporte in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt. Mit einem Weltmarktanteil von 11 Prozent rangiert es nach den USA (30 Prozent) und Russland (23 Prozent) an dritter Stelle. Einer der Hauptauftraggeber ist Griechenland, dem deutsche Hersteller in den zurückliegenden Jahren immer neue Waffen aufgeschwatzt haben. Athen besitzt heute weit mehr Panzer als die Bundesrepublik und gibt 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung aus. Auch ein Grund dafür, daß das Land heute tief in der Krise steckt.

Völlig unverständlich, warum sich Altbundeskanzler Helmut Schmidt am 11. März 2010 von Friedrich Merz, dem Vorstandsvorsitzenden des transatlantischen Vereins „Atlantik-Brücke“ zum Gespräch mit Verteidigungsminister zu Guttenberg einladen ließ. Es ging um den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Und hierzu hatte sich Schmidt in den zurückliegenden Monaten mehrfach skeptisch geäußert (u.a. DIE ZEIT, 28. Januar 2010). Daß er sich in der Universität seines Namens nicht wenigstens ein repräsentatives Gremium zum Thema ausbedungen hat und dann die Hoffierung eines ins Zwielicht geratenen Ministers widerspruchslos über sich ergehen ließ, hat mich tief enttäuscht. Schmidt wurde – ob er es wollte oder nicht – zu einem Instrument derer, die die ISAF-Mission relativieren und trotz des Widerstandes aus der Bevölkerung hoffähig machen wollen. Schade!

Gesundheitsminister Philipp Rösler erweckt den Anschein, als wolle er die Gesundheitskosten durch Machtbeschneidung bei den großen Pharma-Konzernen reduzieren. Wer genauer hinschaut, wird schnell feststellen, wie wirklichkeitsfremd derartige Ambitionen sind. Denn Rösner hat nicht etwa vor, die Arzneimittelpreise durch vorgeschaltete Kosten-/Nutzenanalysen bestimmen zu lassen. Er fordert lediglich, daß Krankenkassen einen stärkeren Einfluss auf die Gestaltung der Preise nehmen – im Rahmen von Verhandlungen. Bis heute werden die Medikamentenpreise ausschließlich durch die Produzenten bestimmt (DIE ZEIT, 11. Februar 2010). Ein völlig haltloser Zustand, der die Kosten in den zurückliegenden zehn Jahren um fast 30 Prozent steigen ließ. Nirgendwo sind Medikamente so teuer wie in Deutschland. Die Auseinandersetzung um faire Preise jetzt den Kassen überlassen zu wollen, ist närrisch. Zumal bewiesen scheint, daß die weder abgestimmt verhandeln können, noch eine ausreichende wissenschaftliche Kompetenz besitzen. Hier kann es meines Erachtens nur eine richtige Lösung geben: Das öffentlich geführte Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) muß beauftragt werden, Kosten-Nutzen-Verhältnisse vor der Preisfestlegung durchzuführen. Nur auf dieser Basis sind objektive Bewertungen zu erwarten, die Konzerne, staatliches Gesundheitswesen und Bürger ins Gleichgewicht bringen. Es wird endlich Zeit, daß die überproportionalen Gewinne der Pharmasparte auf ein realistisches Maß zurückgestutzt werden. Auch die Positiv-Liste für Medikamente ist mehr als überfällig.

Boris Becker gehört zu den Leuten, die ihren Kindern eine unerquickliche Jugend bescheren dürften. Die Neigung, den Sprößingen abgefahrene Namen zu verpassen, ist in Deutschland weit verbreitet, und sie zeugt von der dummen Abgehobenheit mäßig belichteter Persönlichkeiten. Beckers letzter Stammhalter soll auf Amadeus, Benedict, Edley, Luis hören, was ihm unter Altersgenossen Hänseleien ohne Ende bescheren wird. Eine Ahnung davon sollte er recht bald bekommen, dann nämlich, wenn seine älteren Geschwister (Noah Gabriel und Elias Balthasar) ein ähnliches Schicksal erfahren.

In Berlin wurde Anfang Februar das „Institut für Solidarische Moderne“ ins Leben gerufen. Die 32jährige Vizechefin Katja Kipping spricht von einer „Denkfabrik“ für linke Sinnsucher. Bereits nach weniger Tagen ließen sich mehr als 700 Mitglieder für dieses Forum eintragen. Eine Konzentration des vorhandenen Potentials – so eine der Mutmaßungen – wurde mehr als nur herbeigewünscht, weil die Linke wohl viel getan, aber zu wenig gedacht habe (DIE ZEIT, 11. Februar 2010). Daß man diese Deutung der Konservativen nicht unbedingt annehmen muß, liegt auf der Hand. Doch ganz abwegig scheint es nicht, hier ein Bemühen zu vermuten, Demos und Aktionen durch mehr theoretische Basis zu unterfüttern. Bleibt zu hoffen, daß es den Gründungsmitgliedern Sven Giegold, Andrea Ypsilanti, Hermann Scheer, Franz Alt, Elmar Altvater gelingt, die anstehenden Denkprozesse in eine solidarische Debatte zu überführen. Bislang waren solche schnittmengenorientierten Ansätze oft durch sektiererisch/spalterisches Gehabe von zersplitterten und miteinander verfeindeten Gruppierungen gescheitert. Alleinvertretungsansprüche und Ausgrenzungen bestimmten das Bild. Diese kontraproduktive Denk- und Handlungsweisen müssen schnellstmöglich überwunden werden, wenn man dem derzeitigen neoliberalen Mainstream etwas Wirkungsvolles entgegensetzen möchte.