13. Jahrgang | Nummer 3 | 15. Februar 2010

Rußlands Geldsäcke

von Fedor Abakov, St. Petersburg

Es war einmal eine Zeit, in der die beiden bekanntesten Zeitungen Rußlands „Pravda“ (d. h. „Die Wahrheit“) und „Izvestia“ (d. h. „Nachrichten“) hießen. Hinter vorgehaltener Hand hieß es im großen Rußland auf die Frage, was die beiden Zeitungen unterscheide: In der „Pravda“ gibt es keine „Nachrichten“ und in den „Nachrichten“ gibt es keine „Pravda“. Im heutigen Rußland der Oligarchen gibt es beide Zeitungen dem Namen nach immer noch, in der „Izvestia“ auch Nachrichten.

Sicherheitshalber leben nicht alle Oligarchen, von denen hier Neues zu vermelden ist, aber die meisten von ihnen, in Rußland, ist doch die Oligarchie eine Herrschaftsform von wenigen über die Mehrheit. Damit hat sich bis auf die Auswechslung von Teilen der Dienstklasse nur wenig am Grundprinzip der Herrschaft geändert.

Wer sind sie, die Oligarchen des heutigen Rußlands?

Zum Jahresende war Michail Prochorov mit einem Vermögen von 14,1 Milliarden $ der reichste Mann Rußlands. (Vermögen werden im heutigen Rußland ebenso wie Gelder für kleinste, kleine, größere und große Bestechungen nicht in Rubel, auch nicht in Euro sondern in Dollar gezählt und bezahlt). Prochorov war es gelungen, bevor die Tsunamiwelle der Krise im Laufe des vorigen Jahres auch Rußland erfaßte, ein Viertel der Aktien von „Norilsk Nickel“, seinerzeit aus dem arktischen Boden gestampft mit den letzten Kräften von Hunderttausenden Häftlingen und Zwangsangesiedelten, an den Oligarchen Oleg Deripasske zu verscherbeln. So flüssig geworden, legte er sich weitere, in Krisenzeiten wohlfeil zu erwerbende Unternehmen zu. Darunter die Hälfte der Bank mit dem beziehungsreichen Namen „Renaissance Capital“. Das Schnäppchen kostete nur 500 Millionen $. Zum Jahreswechsel waren alle anderen Oligarchen eingeladen, sich an seiner Bank MFK zu beteiligen. Das Eintritts-Billett geschenkt: 200 Millionen $. Für sich selbst, man leistet sich ja sonst nichts, kaufte er kurz vor Weihnachten (nicht dem russischen, das wird immer erst Mitte Januar gefeiert) die us-amerikanische New Jersey Nets, eine Baskettballmannschaft der Spitzenklasse.

Wladimir Lissin, ebenfalls ein Superschwergewicht der Montanindustrie, begann seinen Aufstieg in diesem Industriezweig dermaleinst im Wirtschaftsraum Karaganda. Dessen Arbeitskräfte wurden (ebenso wie diejenigen von Norilsk und Workuta)  jahrzehntelang von den Lagerverwaltungen für die Häftlingslager von NKWD und Nachfolgerorganisationen gestellt. Lissin, Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre Chefingenieur beziehungsweise Generaldirektor, „gehörten“ über Nacht ubter anderem bedeutende Aluminiumwerke in diesem Industrierevier. Das Nowolipezker Metallurgiekombinat (NLMK) ist eines der Unternehmen, die ihn zum Jahresanfang 2010 mit 15 Milliarden $ zum reichsten Mann Rußlands machten. Der Sportschütze hatte bei der Vergrößerung seines Imperiums eine sichere Hand,  traf zumeist ins Schwarze und ließ Prochorow hinter sich.

Zu den Oligarchen gehört auch Vladimir Potanin, ein Mann der Bauindustrie. Der aus einer orthodoxen kommunistischen Familie stammende Absolvent der (Elite-)Hochschule für Internationale Beziehungen, hat das Sagen bei den Olympiabauten in Sotschi, wo er mit 2 Milliarden $ engagiert ist. Zusammengetan hat er sich dabei mit der us-amerikanischen JP Morgan Bank, liebäugelt noch mit der französischen Societe Generale.

Für sein Töchterchen Anastasia kaufte er eine 75-Meter-Yacht, die auf den gleichen Namen getauft wurde und mit der sie sich an Hochseeregatten beteiligt.

Michail Friedmann ist mit seinen „Alpha“-Unternehmungen in unterschiedlichen Bereichen tätig, ihm gehören „Alpha-Bank“ und „Alpha-Zement“, „Alpha-Versicherungen“ und viele andere mehr, und mit ihnen fährt er fast durchweg sichere „Alpha“-Profite ein. Wenn nicht, kann er durch „Mischkalkulationen“ ausbalancieren. Sein Privatvergügen sind Autorennen, an denen er hinterm Steuer teilnimmt. Seine Eltern emigrierten nach Deutschland.

Da er in der Montanindustrie bis mindestens 2014 keinen größeren Profit mit seinem Unternehmen „Metallo-Invest“ erwartet, hat sich neuerdings der Oligarch Alischer Usmanov einträgliche Medienunternehmungen erworben, so unter anderem Mail.ru, Mus-TV und Facebook; auch die führende Wirtschaftszeitung  Kommersant gehört ihm nunmehr. Außerdem hat er gewichtige Aktienpakete an den Staatsunternehmen „Gazprom“ und „Sberbank“. Seine Lieblingsyacht fährt unter dem Namen seiner Mutter „Dilbar“.

Suleiman Kerimow ist zwar nicht der reichste Unternehmer, aber der reichste Parlamentarier in Rußland. Als Senator in seiner Heimatstadt Derbent zahlt er etwa ein Drittel aller Steuern der Republik Dagestan, allerdings in Rubeln, nicht in Dollar. Für 1.25 Milliarden $ hat er sich sicherheits- und gewinnhalber beim Goldunternehmen „Poljus Zolota“ des schon oben gemeldeten Oligarchen Vladimir Potanin eingeloggt und sein Aktienpaket beläuft sich auf erkleckliche 37 Prozent.

Kommen wir zu einem Oligarchen, der bei Ihnen in Westeuropa der bekannteste sein dürfte, zu Roman Abramowitsch. Dessen Herzallerliebste Darja Shukova gebar ihm Anfang letzten Dezembers einen Erbprinzen. Der Vater revanchierte sich dafür mit einem bescheidenen Häuschen aus dem Besitz der Familie David Rockefeller auf der Karibikinsel St. Burts. Dorthin folgten zur Sylvesterparty etwa 250 Gäste seiner Einladung. Die Profite unter anderem von Unternehmen wie „Millhouse“ (Wert = 4 Millarden $) und „Evraz Group“ (Wert = 6 Milliarden $) sind im wesentlichen stabil. Ebenfalls zu seinem Vergnügen fahren unter seiner Flagge vier Yachten, darunter die mit 167 Metern größte Privatyacht der Weltmeere, „Eclipse“.

Oleg Deripasska, in grauen Vorzeiten der Oligarchie der erste unter den Oligarchen, hat einen Großteil des Vermögens verloren, unter anderem auch seine Anteile an der deutschen „Hochtief“, aber das jetzt begonnene Jahr dürfte ihm wenigstens eine Atempause gönnen. Denn nicht weniger als das Staatsunternehmen „Sberbank“ greift ihm bei der Umschuldung des strategisch wichtigen Aluminiumkonzerns „Rusal“ unter die Arme. Rußland spielt die zweite Geige im weltweiten Rüstungsgeschäft, und da sind Unternehmen wie „Rusal“ unverzichtbar.