13. Jahrgang | Nummer 2 | 1. Februar 2010

Arschbackenprosa

von Zitator

Am Morgen jenes 3. Oktober 1964 legte ich die Paradeuniform an. Ich war einer der beiden Fahnenträger im Offiziersrang. Das silbergraue Paradekoppel und die spiegelblank gewienerten schwarzen Chromlederstiefel wurden einer letzten aufmerksamen Kontrolle unterzogen, der Stahlhelm nach Kratzern untersucht, die weißen Handschuhe kritisch gemustert. Das Fahnenkommando meldet sich im Dienstzimmer des Regimentskommandeurs Gronau, um das in einer Eckvitrine aufbewahrte Ehrenbanner zu übernehmen. Auf dem kurzen Gang mit der Reliquie, dem Allerheiligsten des Wachregiments, überkam uns, wie es in der Bibel heißt, der Heilige Geist. Wir verwandelten uns. Wir waren nicht mehr drei Soldaten, sondern die Hüter einer Idee. (…)

Die Ankunft von Walter Ulbricht war gleichzeitig das Zeichen für den Beginn der Zeremonie. Laut ertönte die klare und durch ein im Ansatz rollendes R geprägte Stimme des Kommandeurs der Ehrenformation, Hans Wegner. Dieses Signal zum Stillgestanden ging in unsere Ohren, erreichte die Schaltstellen im Gehirn und gab Befehle in die entferntesten Muskelfasern weiter. Ein Ruck ging durch jeden, die Arschbacken wurden im Wortsinne zusammengepresst, die Hände packten Gewehr, Säbel oder Fahnenstange so fest, als wollten sie mit diesen zusammenwachsen, der Druck im Kopf schwoll an, Schweißband und Gurt des Helmes drohten zu bersten. Wir traten in einen körperlichen Ausnahmezustand. Ein unvergleichlich schönes Gefühl kam auf: Stolz und Befriedigung hier stehen zu können. (…) Nationalhymne, Flaggenhissen  Ansprachen.

Unsere Arschbacken lösten sich erst auf dem LKW. Die Innenflächen der weißen Handschuhe waren braun von Schweiß, Waffenöl, Brünierung. (…)

Zitiert aus: Eberhard Rebohle, Rote Spiegel. Wachsoldaten in der DDR, 256 Seiten, mit vielen Fotos, edition ost, Berlin 2009; entnommen einer Anzeige (Leseprobe) des Verlages im „Neuen Deutschland“ – Sozialistische Tageszeitung

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Schäferliedchen

von Theobald Tiger

Seid Ihr alle wieder Da -?
Wie war sie schön, die große Zeit!
Man fühlte sich als Gott.
Man nutzte die Gelegenheit
ganz aus bis zum Bankrott.
Der Orden reiches Übermaß
in manche Hände rann
und sonst noch was und sonst noch was,
was ich nicht sagen kann.